Die EU tastet sich an Reformen in der Eurozone heran. Gleichzeitig muss sie Einigkeit in den Handelsverhandlungen mit den USA zeigen - und in jenen mit Großbritannien.
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Brüssel. Emmanuel Macron muss sich weiter gedulden. Monatelang hatte der französische Staatspräsident auf die Bildung einer neuen Regierung in Berlin gewartet, um die deutsch-französische Achse zu stärken und sich dadurch zusätzlichen Antrieb für seine Reformideen zu holen. Ein Großteil von diesen betrifft die Entwicklung der Eurozone. Ein eigenes Budget für die Währungsgemeinschaft, ein eigener Finanzminister, ein Euro-Parlament und eine rasche Verständigung auf eine europäische Einlagensicherung: All das schwebt Macron vor. In Berlin aber wird der Enthusiasmus gebremst. Deutschland meldete bisher immer Widerspruch gegen Pläne an, die etwa eine Vergemeinschaftung von Schulden bedeuten könnten. Und auch andere Länder, vor allem im Norden Europas, sprechen sich gegen eine Vertiefung der Eurozone aus und plädieren für eine korrekte Einhaltung bestehender Regeln.
Dass Macron nicht das Tempo vorgeben kann, das er gern hätte, wurde ebenso beim Frühlingsgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel klar. Der Präsident trat zwar am Freitag gemeinsam mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel vor die Presse. Doch erhielt er von seiner Amtskollegin nicht viel mehr als die Zusicherung, dass es bis Juni, bis zum nächsten Spitzentreffen, Fortschritte bei der Reformdebatte geben soll. "Wir sind gut beschäftigt, aber auch guten Mutes", erklärte Merkel.
Verschnaufen im Handelsstreit
Allerdings sind es nicht nur die Entwicklungen auf dem eigenen Kontinent, die die Europäer beschäftigen. Denn der transatlantische Zwist rund um US-Zölle auf Stahl- und Aluminium-Importe könnte wieder aufflammen - trotz der Verschnaufpause für die EU. Denn Produkte aus der Union sollen vorläufig von den Abgaben ausgenommen sein.
Doch möchte die EU diese Ausnahme permanent verankert wissen. Sie gilt nämlich zunächst einmal bis Anfang Mai. Schon forderte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström die USA auf, bei den angekündigten Verhandlungen über den Abbau von Handelsbarrieren, auf "künstliche Stichtage" zu verzichten. Die EU sei "nicht erpressbar", befand wiederum der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. Und Macron konstatierte: "Wir sprechen über nichts, wenn man uns die Pistole an den Kopf hält."
Auch andere Handelsgespräche werden sich schwierig gestalten: jene zwischen der Union und Großbritannien, das seinen Austritt aus der EU vorbereitet. Die Staats- und Regierungschefs bestätigten die Einigung auf eine Übergangsperiode, die nach dem Brexit in gut einem Jahr beginnen soll. Bis Ende 2020 kann Großbritannien noch am Binnenmarkt und an der Zollunion teilnehmen - wenn auch nicht mehr an den Entscheidungsprozessen der Gemeinschaft. Die britische Premierministerin Theresa May zeigte sich zufrieden: Die Verständigung auf die Frist gebe Bürgern und Unternehmen Sicherheit.
"Kein Rosinenpicken"
Doch der härteste Teil der Verhandlungen dürfte noch vor May liegen. Denn die künftigen Beziehungen zwischen der Insel und dem Kontinent müssen neu geregelt werden. Und es zeichnet sich ab, dass die Wünsche Londons dabei keineswegs alle erfüllt werden. Der britischen Regierung schwebt ein Handelsabkommen vor, das über die Verträge hinausgeht, das die Union mit anderen Drittstaaten abgeschlossen hat. Doch die Europäer winken ab. "Kein Rosinenpicken" heißt es dann - und diese Formulierung fand selbst ins Schlussdokument des EU-Gipfels Eingang, der die sogenannten Leitlinien für die kommenden Gespräche festlegte.
Das bedeutet, dass die EU die in London lancierte Idee ablehnt, einzelne Bereiche - wie etwa Finanzdienstleistungen - im Binnenmarkt verankert zu lassen. Zwar plädiert auch sie für eine "möglichst enge Partnerschaft" mit dem Königreich. Doch sei die nun einmal eingeschränkt durch die generelle Absage Großbritanniens an den gemeinsamen Markt. Um dessen Integrität zu erhalten, werden nach der Trennung "Reibungen im Handel" auftreten und Prüfungen sowie Kontrollen notwendig werden. "Dies wird leider negative wirtschaftliche Folgen haben, insbesondere im Vereinigten Königreich", ist in den Leitlinien zu lesen.
Ein Knackpunkt bleibt darin nur am Rande erwähnt. Die "schriftlichen Zusicherungen" Mays zu Irland und Nordirland werden begrüßt. Wie aber eine harte Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordteil der Insel vermieden werden kann, ist noch immer offen. Für die Regierung in Dublin wäre eine Notfalllösung akzeptabel: Gelingt keine Einigung, soll sich Nordirland weiterhin an EU-Regeln halten. Das weist London freilich zurück.