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Guter Stoff für neue Träume

Von Walter Hämmerle

Politik
Junge Menschen sorgen bei einer Demo für Instant-Kommunikation.
© © © Ramin Talaie/Corbis

Social Media sind als Zauberwort in aller Munde - wie ändern sie die Politik?


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Wien. Der Traum von umfassender Teilhabe an den öffentlichen Dingen ist so alt wie die Idee der Demokratie. Social Media sind lediglich die jüngsten Propheten dieser Vision. Dank diesen können sich, so definiert das Online-Lexikon Wikipedia, Nutzer via Internet untereinander austauschen und Inhalte einzeln oder in Gemeinschaft gestalten. Klingt einigermaßen unspektakulär, darin schlummert jedoch das Potenzial für die grundlegendste Veränderung unserer politischen Systeme seit der Etablierung der demokratischen Massenparteien. Das Potenzial wohlgemerkt, nicht die Gewissheit.

Im Österreich des Jahres 2011 sind Social Media zwar in aller Munde - kein Unternehmen, kein Interessenverband, die etwas auf sich halten, und selbstverständlich auch keine Partei, die nicht damit werben würde, "selbstverständlich" auf Facebook, Twitter und Co vertreten zu sein. Mehr ist es derzeit allerdings auch nicht. Vor allem politische Interessenvertretungen nutzen die neuen Möglichkeiten primär als zusätzliche Informationskanäle, die darin schlummernden Chancen für Bürgerbeteiligung und Mobilisierung liegen dagegen noch weitgehend brach, ist der Wiener Social-Media-Experte Josef Barth überzeugt.

Eine Vorstellung davon, wie es auch anders ginge, liefert ein Blick auf die USA. "Rein technologisch sind uns die Vereinigten Staaten zwei bis drei Jahre voraus", schätzt Yussi Pick, "allerdings lassen sich weder die US-Gesellschaft noch deren Kampagnenkultur eins zu eins auf Österreich übertragen." Pick muss es wissen, schließlich hat er jahrelang selbst als Berater für Online-Strategien in Washington Wahlkampagnen und NGOs betreut und führt heute gemeinsam mit Barth das Wiener Unternehmen Digital Strategies.

Trotz der bestehenden kulturellen und politischen Unterschiede lässt sich am Beispiel der USA zeigen, wofür Social Media taugen und wofür nicht. "Die US-Parteien haben verstanden, dass das Internet nicht der Platz ist, um Menschen zu überzeugen, sondern um sie zu mobilisieren und zu eigenem Engagement zu bewegen", erklärt Pick. Und: "Online-Aktivitäten sind für Kandidaten nur dann sinnvoll, wenn sie auch offline sichtbar werden" - sei es durch Spenden oder sonstige konkrete Unterstützung für eine Kampagne. Um Andersdenkende jedoch von den eigenen politischen Standpunkten zu überzeugen, bleibe auch in den USA der direkte Kontakt unerlässlich, sagt Pick - auf die klassischen Hausbesuche und das Schütteln unzähliger Hände bei Veranstaltungen könnten Politiker also nicht so bald verzichten.

Zweifel am Versprechen einer demokratischen Revolution dank Social Media hat Elmar Wiesendahl. Der Hamburger Parteienforscher, Jahrgang 1945, verweist auf Erfahrungen mit der Computerisierung unserer Gesellschaft in den 1980ern und 1990ern: "Auch damals haben sich alle Parteien dieser neuen Technologien bedient, jedoch fast ausschließlich, um so ihre Modernität zu demonstrieren. Die politischen Prozesse in den Parteien haben sich dagegen kaum verändert, die E-Demokratie hat sich nicht eingestellt."

Authentisch im Umgang mit den neuen Medien findet Wiesendahl im Moment einzig die Piratenpartei, der es gelungen ist, die Internet-Generation direkt anzusprechen, und die zuletzt bei den Berliner Senatswahlen mit 9 Prozent einen Überraschungserfolg landete, das ist auch der Wert, bei dem sie in Umfragen bundesweit rangiert. Einziger Haken: Die Piraten, die es in mehreren Ländern Europas - auch in Österreich - gibt, müssen nach Meinung Wiesendahls erst noch ihren politischen Kern finden. "Den etablierten Parteien in Deutschland und Österreich", davon ist Wiesendahl überzeugt, "wird das Andocken an die Social-Media-Kultur erst gelingen, wenn die Internet-Generation der heute 20- bis 30-Jährigen an die Schalthebel gelangt."

Doch wie wird sich die Politik dadurch verändern? "Soziale Medien sind in Öffentlichkeit übersetzte Emotionen", erklärt Barth. Das bedeutet nichts anderes, als dass Mobilisierung ausschließlich über Emotionalisierung zustande kommt - und für die Politik der Zukunft gilt das noch sehr viel mehr, als es ohnehin schon auf die Gegenwart zutrifft. Die Gefahr, dass durch eine solche Entwicklung eher über Köpfe als über Inhalte gesprochen wird, sieht Barth nicht. Der Antrieb, sich zu engagieren, erfolge vorrangig über Themen, nicht über Personen, dies werde auch durch die Zugkraft inhaltlicher Social-Media-Angebote belegt.

Nicht zu erwarten ist, dass die Parteien an sich auf absehbare Zeit überflüssig werden. Zwar wird ihr derzeitiges Beinahe-Monopol in Bezug auf die Festlegung der politischen Agenda zunehmend aufgeweicht, als Organisator politischer Entscheidungsprozesse sind sie jedoch auf lange Sicht unersetzbar. Denn auch direkte (Online-)Partizipation benötigt ein Minimum fester, belastbarer Strukturen - sowohl für die Organisation von Wahlkämpfen als auch für die Selektion von Themen und Kandidaten.

Allerdings, und darüber sind sich alle Beobachter einig, werden sich die Parteien für die Meinungen ihrer Mitglieder und/oder Unterstützer deutlich mehr interessieren müssen, als dies heute der Fall ist. Die Tradition, dass Parteilinien hinter verschlossenen Türen von einem kleinen Zirkel paktiert werden, wird zunehmend zur Ausnahme von der Regel intensiver Basiskommunikation werden. Bisher marginalisierte, weil unorganisierte Interessen haben künftig also eine bessere Chance auf Gehör - zumindest, wenn sie das Versprechen relevanter Stimmengewinne in sich tragen. Die Konkurrenz der schon bisher gut organisierten Interessenvertretungen wird diesbezüglich aber mächtig stark bleiben.

Der Siegeszug von Social Media stellt jedoch die Gesellschaft - und damit die Politik - vor eine andere, gravierende Herausforderung. Ihre Datenbanken liefern gigantische Datenmengen, mit deren Hilfe sich "prophetische Analytik" über menschliches Verhalten von beängstigender Treffsicherheit betreiben lässt. All diese Datenberge vor Missbrauch zu schützen, ist keine geringe Aufgabe - für die User wie für die Politik. Die Piraten haben zumindest eine Idee von den Ausmaßen dieses Problems. Damit sind sie den etablierten Parteien um Lichtjahre voraus.