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Straßburg will sich die Einnahmen aus den Sitzungswochen des EU-Parlaments nicht entgehen lassen.
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Sie haben gerade den Unterricht beendet. Aus dem naheliegenden Lyzeum sind sie schnurstracks in die naheliegende Brasserie gegangen, ein Gasthaus am Rande der Altstadt von Straßburg. Die fünf Burschen und drei Mädchen, alle um die 16 Jahre alt, haben sich um zwei kleine Tische gruppiert, reden über ihre Facebook-Freundschaften, Musik und darüber, was sie am Nachmittag unternehmen wollen. Sie trinken den süßlichen elsässischen Wein oder Bier, das in der Umgebung gebraut wird. Sie reden Französisch. Mit den Zweitnamen der umliegenden Gässchen können sie nur wenig anfangen. Die heißen Rotfässelgässel oder Zimmerlitgass.
"Früher", erzählt der Kellner in fließendem Deutsch, "haben die Jungen in der Schule meist Deutsch gelernt." Doch mittlerweile habe sich das Englische als erste Fremdsprache durchgesetzt. Und so mancher wähle sogar Russisch. Vor allem, wenn er im Tourismusbereich arbeiten will.
Denn auch nach Straßburg kommen immer mehr russische Gäste. Sie ist überhaupt ein Anziehungspunkt für Touristen, die Stadt am Rhein, gelegen am Drei-Länder-Eck von Frankreich, Deutschland und der Schweiz, über Jahrhunderte deutsch geprägt und seit Jahrzehnten wieder französisch. Ihre Geschichte erzählt sie in ihrer Architektur. So lässt sie Ankommende das gotische Münster mit dem reliefgeschmückten Portal bewundern, das sich im Flüsschen Ill spiegelnde Gebäudeensemble von "Petite France" oder die von Deutschen erbauten Fachwerkhäuser.
Einige Touristen schaffen es auch über den mittelalterlichen Teil hinaus, in eine Gegend, die zwar jünger ist, jedoch ebenfalls auf ihre historische Bedeutung verweisen möchte - besonders auf deren europäische Dimension. In diesem Viertel erhebt sich das geschwungene Glasgebäude des EU-Parlaments, unweit davon ist der Sitz des Europarates.
Die meisten aber, die Monat für Monat ins Parlament strömen, sind nicht freiwillig hier. Die Mehrheit der Abgeordneten lehnt den Doppelsitz der Volksvertretung ab. Lieber würden sie ihre Arbeit nur in Brüssel verrichten, anstatt einmal im Monat für die Plenarsitzungen nach Straßburg zu pilgern - in Sonderzügen oder mit dem Flugzeug, samt Assistenten und Praktikanten sowie einer Menge Dokumente im Gepäck. Die Mehrkosten dieser Reisen werden auf bis zu knapp 200 Millionen Euro geschätzt. Dennoch haben die Mandatare in der soeben zu Ende gegangenen Plenarwoche zwölf Straßburg-Tagungen auch für heuer beschlossen.
Der Großteil von ihnen hat es zähneknirschend getan. Im Vorjahr noch hatten sie zwei Sitzungen zusammengelegt, doch Frankreich gefiel das nicht. Das Land klagte und erhielt vom Europäischen Gerichtshof recht. Es geht um Geld: Tausende Menschen müssen in den Sitzungswochen beherbergt, verpflegt und mit diversen Dienstleistungen versorgt werden. Und die Preise schnellen in dieser Zeit in die Höhe. Ein Hotelzimmer in einem Plattenbau mit einem in der Ecke eingebauten Plastik-Toiletten-Dusch-Ensemble kann da schon einen Hunderter kosten. Demokratie ist für Straßburg eben ein gutes Geschäft.