Berlin/Wien - Der Favorit bei den Parlamentswahlen in der Ukraine, der ehemalige Regierungschef Viktor Juschtschenko, muss im Falle seines Wahlsieges mit den Oligarchen kämpfen, um seine Wirtschaftsreformen umzusetzen. Seinem Mitte-Rechts-Bündnis "Unsere Ukraine" sagen Umfragen für den 31. März einen Sieg über die Kommunisten und einen Stimmenanteil von rund 20 Prozent voraus.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Reformbedarf habe die Ukraine vor allem bei der gesetzlichen Regelung für Privatbesitz an Grund und Boden, so der Politikwissenschaftler Eberhard Schneider vom Institut für Internationale Politik und Sicherheit in Berlin im Gespräch mit der APA. Was in Russland mit Ausnahme der landwirtschaftlichen Flächen bereits gesetzlich geregelt ist, bleibt in der Ukraine politisch weiter hart umkämpft. Das größte Problem sieht Schneider freilich in den so genannten "Oligarchen", die große Teile der ukrainischen Wirtschaft kontrollierten. Deren "unverschämte Handlungsmöglichkeiten" müsse ein neuer Regierungschef einschränken.
Kampf gegen Titanen . . .
Juschtschenko werde bei einem Wahlsieg auf einen Koalitionspartner angewiesen sein, so Schneider weiter. Dabei spiele Präsident Leonid Kutschma, dessen Chef der Präsidialverwaltung Wladimir Litwin mit einem eigenen Bündnis ins Rennen geht, eine zentrale Rolle. "Juschtschenko ist als Regierungschef gestürzt worden durch eine unheilige Allianz zwischen Kommunisten und Oligarchen", die von Kutschma unterstützt worden sei, erinnert der Politikwissenschaftler. Auch das Beispiel der Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko, die als frühere Energieministerin und Vize-Regierungschefin versucht habe, "Licht in den Energiesektor hineinzubringen", zeige, wie schwer gegen die Schattenwirtschaft vorzugehen sei. Timoschenko war von Kutschma im Vorjahr von ihren Regierungsfunktionen entlassen und anschließend wegen angeblicher Steuervergehen mehrmals verhaftet worden.
Inwieweit Leonid Kutschma Juschtschenko nach den Wahlen unterstützen werde, hänge auch davon ab, ob der Präsident bereit sei, Juschtschenko als Nachfolger im Präsidentenamt hinzunehmen. Denn der populäre Politiker Juschtschenko hätte bei den Präsidentenwahlen in zwei Jahren gute Chancen, "vor allem wenn er jetzt bei den Wahlen gut abschneidet", schätzt Schneider. Kutschma darf 2004 laut Verfassung kein drittes Mal antreten, könnte jedoch versuchen, das Grundgesetz zu ändern.
. . . gegen präsidiale Macht . . .
Juschtschenko wolle der Regierung mehr verfassungsrechtliche Befugnisse geben, die regionale Selbstverwaltung stärken und den privaten Besitz an Grund und Boden gesetzlich regeln. Litwin dagegen wolle die Befugnisse des Präsidenten in der Verfassung stärken. Wirtschaftlich würden beide Blöcke auf eine Kombination aus Marktwirtschaft und staatlichen Elementen setzen. Als ehemaliger Zentralbankchef habe Juschtschenko gute Kontakte zum Internationalen Währungsfonds und zur Weltbank. "Er gilt auch im Ausland als sehr angesehener Politiker, der seinerzeit die Währung stabilisiert hat." Als Reformgegner gelten die Kommunisten.
Unter den zahlreichen Parteien und Bündnissen hätten nur wenige eine Chance, die Vier-Prozent-Hürde zu überspringen, betont Schneider. Neben dem Juschtschenko-Block gelte aus heutiger Sicht nur der Einzug der Kommunisten, des Pro-Kutschma-Bündnisses "Für eine geeinte Ukraine", der "Vereinigten Sozialdemokraten", der "Politischen Union Frauen für die Zukunft" und der Grünen als gesichert. Der neu gegründete Block "Für eine geeinte Ukraine" soll nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers offenbar "eine Partei der Macht" wie die Kreml-Partei "Einheit" in Russland werden.
. . . und gegen Windmühlen.
Massive Zweifel äußert Schneider über den demokratischen Ablauf der Wahl. "Man setzt massiv auf so genannte administrative Ressourcen." Juschtschenkos Wahlkampagne werde vom Staatsapparat behindert, indem Sendemasten abgebaut und Radiostationen, die Interviews mit ihm ausstrahlten, durchsucht würden, berichtet Schneider. Plakate werden sowieso abgerissen. Manipulationen seien vor allem bei der Wahl von Direktwahlkandidaten zu erwarten. Der Politikwissenschaftler schildert auch "haarsträubende Versuche", Kandidaten zu "klonen", um die Wähler in Verwirrung zu stürzen: So wurden zufällige Namensvettern von mißliebigen Kandidaten in manchen Wahlkreisen kurzerhand ebenfalls als Kandidaten aufgestellt und Wahlgruppierungen mit täuschend ähnlichen Bezeichnungen ins Leben gerufen, um anderen Stimmen wegzunehmen. "Das geht etwa auf der Krim so weit, dass Leute schnell ihren Namen geändert haben auf den Namen des Gegenkandidaten." Juschtschenko konnte die Eintragung eines Wahlbündnisses gerade noch mit Mühe verhindern, welches einen seiner Plattform "Unsere Ukraine" täuschend ähnlichen Namen angenommen hatte.
Wie die "Frankfurter Allgemeine" am Montag berichtete, wurde auch der bisher ungeklärte Mord am Journalisten Georgij Gongadse gegen Juschtschenko ausgeschlachtet. In einer "investigativen" Dokumentation, die der Kutschmas Schwiegersohn gehörende Fernsehsender ICTV kürzlich ausstrahlte, werden die Amerikaner beschuldigt, den Mord an Gongadse zu einer Kampagne gegen Kutschma genutzt zu haben. Der US-freundliche Juschtschenko, der sich den russischen Energiegiganten Gasprom schon längst zum Feind gemacht hat, wird darin als Nutznießer des Verbrechens, als vaterlandsloser Geselle und als US-Marionette dargestellt.