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"Habe versucht, ihm zu helfen"

Von Marketa Kutilova, Prag

Europaarchiv

Der slowakische Maler Laszlo Sumegh hat vor einigen Jahren das Sozialhilfeprojekt "Chance" gegründet. Er ist einer der wenigen in Prag, die sich wirklich um die Straßenkinder kümmern. Gegenüber der "Wiener Zeitung" berichtet er von seinen Erfahrungen, Erfolgen und Rückschlägen.


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"Wiener Zeitung": Ist es möglich zu sagen, was für Kinder das sind, die auf der Straße landen?

Laszlo Sumegh: Normalerweise kommen die Kinder aus Problemfamilien und Erziehungsheimen. Aber das ist nicht ausschließlich so: Es gibt auch welche aus "gutem Hause". Die andere Gruppe ist die, die sexuell missbraucht wurde. Und dann habe ich auch Klienten, die seit 20 Jahren auf der Straße leben, die aber noch immer wie Kinder sind. Die werden nicht erwachsen. Aber das Problem ist, dass diese Leute für die staatlichen Stellen nicht existieren.

"Wiener Zeitung": Aber die Polizei hat doch spezielle Einheiten, die die Kinder aufstöbern?

Laszlo Sumegh: Gerade das ist das Problem. Speziell für Kinder unter 15. Die haben zuvor in großen Gruppen gelebt, sie hatten gemeinsame Treffpunkte, wo sie zusammenkommen konnten. Aber dann hat die Polizei begonnen, sie zu suchen. Die Kinder sind verschreckt und leben jetzt allein, auf eigenes Risiko. Sie laufen einfach weg, kapseln sich ab. Aber was am schlimmsten ist: Sie verlieren das Vertrauen zu allen Erwachsenen.

"Wiener Zeitung": Was geschieht, wenn sie so ein Kind auf der Straße antreffen?

Laszlo Sumegh: Zunächst kontaktiere ich die zuständige Behörde. Manchmal versuchen wir, selbst einzugreifen. Neulich habe ich einen Buben getroffen, der aus einem Kinderheim davongelaufen ist und nach Prag kam, um hier nach seiner Großmutter zu suchen. Aber die kümmerte sich überhaupt nicht um ihn, und so haben wir ihm ein Bahnticket gekauft und ihn zurück ins Heim geschickt. Das war einer der glücklicheren Fälle. Zuvor habe ich Jirka entdeckt, er lag letzten Winter auf einer Parkbank. Sein Vater hat ihn rausgeworfen als er 15 Jahre alt war. Er ist auf den Strich gegangen, damit er was zu Essen hat. Dann hat er sich mit Hepatitis B und C angesteckt. Ich habe versucht, ihm zu helfen. Ich versuchte ihn zu überzeugen, dass das Leben nicht nur aus Bahnhof, Hunger und einer feindlichen Umwelt besteht. Er ist dann aber verschwunden. Für immer. Und die gesamte Gesellschaft ist dafür verantwortlich.

"Wiener Zeitung": Was machen die Kinder auf der Straßen? Wo bekommen sie ihr Geld her?

Laszlo Sumegh: Manche von ihnen klauen, andere verkaufen ihren Körper, auch kleine Buben (...) Manche hängen an der Nadel. Die meisten findet man häufig in den Spielhallen oder in anderen Klubs. Viele sind auch Transvestiten. Der Grund ist, sie fühlen sich auf diese Art sicherer.

"Wiener Zeitung": Wenn sie ihre Schützlinge auf er Straße besuchen, wie können sie ihnen konkret helfen?

Laszlo Sumegh: Ich habe immer meine "Straßentasche" bei mir. Den größten Platz nehmen saubere Spritzen ein, und die Schachtel für gebrauchte. Mehr als Zwei Drittel meiner Klienten sind drogenabhängig. Das macht meine Arbeit um einiges härter. Das bringt eine ganze Reihe anderer Probleme mit sich, wie HIV, Hepatitis etc.. Manche der Kinder sind bereits gestorben.

"Wiener Zeitung": Diese jungen Menschen kommen in ihr Zentrum, um zu Essen, zu trinken oder einfach, um sich zu unterhalten. Sie sind die einzige Person, zu der sie vertrauen haben...

Laszlo Sumegh: Das ist der Grund, warum ich keinen einzigen falschen Schritt machen darf. Sonst würde ich ihr Vertrauen für immer verlieren.

Das Gespräch führte Marketa Kutilova