Schützenhilfe aus Luxemburg für Spaniens Immobilienbesitzer
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Barcelona. "Habemus Urteil" und "Es ist weißer Rauch!" sollen Mohamed Aziz und sein Anwalt gescherzt haben. So beschreibt die spanische Zeitung "El País" den Moment, als am Donnerstag das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) über die spanischen Hypothekenverträge bekannt wurde. Aziz konnte die Hypothek seiner Wohnung nicht mehr bezahlen und wurde im Jänner 2011 delogiert. Der in Spanien lebende Marokkaner wandte sich an den Europäischen Gerichtshof mit dem Einwand, dass die Klauseln in seinem Hypothekenvertrag nicht mit den europäischen Verbraucherschutzrechten vereinbar seien. Der EuGH gab Aziz nun recht.
Jetzt muss Spanien sein Hypothekenrecht reformieren, andernfalls kann der Gerichtshof in Luxemburg Sanktionen verhängen.
Der dazugehörige Gesetzesentwurf liegt bereits seit Anfang März im Abgeordnetenkongress zur Behandlung auf. Die regierende Partido Popular hatte jedoch darauf bestanden, das Urteil des EuGH abzuwarten.
Mit der Entscheidung aus Luxemburg zugunsten der Hypothekennehmer steigt der Druck auf die vom Korruptionsskandal "Barcenas" geschwächte Partei von Mariano Rajoy weiter an.
Dieser sagte noch am Donnerstag, man werde das Urteil des EuGH im neuen Hypothekengesetz umsetzen. Rajoy erteilte aber gleichzeitig allen darüber hinaus gehenden Änderungswünschen eine klare Absage.
Auf Gegenwehr stößt Rajoys Abfuhr vor allem bei den Aktivisten der "Plattform der Hypothekenbetroffenen", in ihrer spanischen Abkürzung kurz PAH. Die Plattform hat in einem Volksbegehren über 1,4 Millionen Unterschriften gesammelt. Das Manifest der Initiative zählt drei grundlegende Forderungen auf: Erstens soll mit der Zwangsversteigerung der Immobilie die Schuld des Hypothekennehmers getilgt werden. Hintergrund: Meist erzielt das Objekt bei der Zwangsversteigerung nur einen geringen Teil des Ankaufswertes. Die Differenz samt Prozesskosten und Zinsen bleibt vielen Betroffenen nach der Delogierung noch als zusätzliche Schuldenlast erhalten. Zum Zweiten fordern die Unterstützer einen sofortigen Zwangsräumungsstopp für Hauptwohnsitze. Im Falle der Zahlungsunfähigkeit eines Kreditnehmers soll die Immobilie in ein soziales Mietobjekt umgewandelt werden, wobei die Miete nicht mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens betragen soll. Die dritte Forderung verlangt eine rückwirkende Anwendung der neuen Regeln für bereits exekutierte Fälle.
Delogierung im Eilverfahren
Montse García ist eine der Aktivisten der PAH und Sprecherin für den Bereich Badalona, einem Stadtteil von Barcelona. "Wir sind überglücklich über das Urteil des EuGH, denn es zeigt uns, dass wir weiterkämpfen müssen", sagt García, die selbst ihre Hypothek nicht mehr zahlen konnte. "Am Anfang waren wir zu viert und jetzt sind es 250 Familien in meiner Zone." Aktivisten wie Montse dienen Betroffenen als Anlaufstelle, beraten sie über ihre Möglichkeiten, begleiten sie zu ihrer Bank und verhandeln mit den Bankangestellten über einen möglichen Aufschub.
Eine Ursache der Immobilienkrise sehen viele in den aggressiven Vergabepraktiken der spanischen Banken in der Vergangenheit. Laut der PAH wurden Hypothekenkredite oft mit Laufzeiten von bis zu 40 Jahren und Raten von bis zu 50 Prozent des Einkommens vergeben. Bis zu 80 Prozent des Kaufwertes wurden aus der Hypothek bezahlt.
In Österreich sind derartige Verträge eine Seltenheit. Laut Reinhard Aumann, dem Wohnbauverantwortlichen der Erste Bank, werden hierzulande Laufzeiten von maximal 30 Jahren vereinbart, wobei erfahrungsgemäß der Durchschnittswert zwischen 20 und 25 Jahren liegt. Außerdem würde die Kreditrate zwischen 30 und 40 Prozent des Einkommens liegen und die Bank erwarte mindestens 25 Prozent Eigenkapital. "In Spanien wurde die Immobilienkrise aber vor allem durch Kredite an Baugesellschaften verursacht, die überproportional zum Bedarf gebaut haben", bemerkt Aumann.
Das jüngste Urteil des EuGH kritisiert unter anderem die rasche Durchsetzung der Bankinteressen bei Exekutionsverfahren. Wenn ein Hypothekennehmer beispielsweise mit einer einzigen Zahlung in Verzug gerät, kann die Bank die Delogierung in einem Schnellverfahren beantragen. Beruft der Verbraucher nun auf Nichtigkeit des Vertrages wegen missbräuchlicher Klauseln, kann er keinen Aufschub der Delogierung erreichen. Sogar wenn der Verbraucher recht erhält, kann er seine Immobilie nicht mehr zurückerlangen, sondern lediglich eine Entschädigung.
Die Diskussion über die Regeln bei der Hypothekenvergabe wird in Spanien von einer Serie von mehreren dutzend Selbstmorden unmittelbar vor der Delogierung überschattet.