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Unctad-Experte Ricupero im Interview. | Umwelt muss auf die WTO-Agenda. | "Wiener Zeitung": Die großen Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC-Staaten) werden derzeit von der Weltöffentlichkeit und von Finanzinvestoren hofiert. Asien wächst, Lateinamerika ist ungebeutelt von der Wirtschaftskrise.
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Rubens Ricupero: Diese neue Macht hat zwei Gründe. Erstens: China und Indien melden sich zurück. Die waren vor 300 Jahren schon die größten Volkswirtschaften, dann haben sie die industrielle Revolution verschlafen, aber jetzt holen sie auf. Der zweite Grund ist, dass die US-Finanzkrise nicht nach Brasilien oder China schwappen konnte. Diese Länder haben die Idee der finanziellen De-regulierung niemals implementiert. Nur diejenigen Länder mussten leiden, die Barrieren für das Kapital zwischen den Staaten abgeschafft haben, so wie es die USA geraten hatten.
Haben die USA, der wichtigster Spieler bei internationalen Wirtschaftsabkommen, keinen Druck ausgeübt?
Doch, einen enormen, aber wir haben in Brasilien Widerstand geleistet. Wir haben immer einen Unterschied zwischen Globalisierung des Handels und Globalisierung der Finanzwelt gesehen - und auch gemacht. Das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe.
Sie haben in Brasilien 1994 die Währung Real eingeführt und das Land damals aus einer hartnäckigen Inflation geführt, von der manche meinen, dass sie jetzt in Europa oder den USA droht.
Damals haben wir in Brasilien ein starkes Banken-system kreiert. Viele Banken sind in Konkurs gegangen. Aber übrig geblieben sind sehr solide Institute. Bei der jetzigen Weltwirtschaftskrise ist keine einzige Bank in Brasilien, oder in Lateinamerika oder in Indien krachen gegangen. Wir haben nur bei den Exporten und bei Investitionen aus dem Ausland etwas von der Krise gemerkt.
Was macht die Stärke der brasilianischen Banken aus?
In den USA gab es einen Moment, wo pro vorhandenem Dollar 35 Dollar in Krediten verborgt wurden. In Lateinamerika haben wir das nie erlaubt. Wir haben eine hohe Eigenkapitalquote. Die angeblich strengen Regeln, die international mit Basel III eingeführt werden sollen, kosten uns ein müdes Lächeln, weil wir bereits doppelt so hohe Anforderungen haben. Wir haben eine Vergangenheit finanzieller Instabilität - und wir haben daraus gelernt.
Produkte, die in China hergestellt worden sind, sind überall. Russland hat Öl. Was kann Ihr Land Brasilien dem entgegenhalten?
Abgesehen von unseren Rohstoffen sind wir wahrscheinlich die letzte Zuflucht der Lebensmittelproduktion. Laut OECD wird Brasilien seine Nahrungsmittelproduktion bis 2020 um 40 Prozent steigern; die EU hingegen nur um 3 Prozent. Warum ist das wichtig? Die UNO glaubt, dass die Weltbevölkerung bis 2050 von derzeit knapp 7 Milliarden auf 9 Milliarden anwächst. Diese Leute müssen ihr Essen von irgendwo her bekommen. Wahrscheinlich aus Brasilien.
Umweltbelange haben in internationalen Handelsübereinkommen bisher wenig zu melden. Schwellenländer unterstreichen gerne ihren Aufholbedarf - und dass sie nicht daran denken, die vom Westen ramponierte Erde auf ihre Kosten zu sanieren.
Das Wachstum von China und Indien hat seinen Preis - beide Staaten beziehen ihre Energie vor allem aus Kohle. Anders Brasilien, dessen Gesamtenergie bedarf zu 40 Prozent aus erneuerbaren Quellen gedeckt wird. Früher oder später wird die Umwelt in WTO-Runden miteinbezogen werden. Ich glaube, es ist ein großer Fehler, sich allein auf die Wirtschaft zu konzentrieren. Die Erderwärmung und Klimaveränderung ist derzeit die größte Bedrohung.
Indien legt sich bei den Umweltfragen übrigens viel mehr quer als China. Aus einem einfachen Grund: China hat in der Zwischenzeit doppelt so viel in grüne Technologien investiert wie die USA. Die sehen schärferen Regeln für die Umwelt recht locker entgegen.
Wie erreicht man diese?
Ich glaube fest an Druck. Man muss Druck auf die Wirtschaft ausüben, um seine Ziele zu erreichen. Europa und Greenpeace haben uns das vor Augen geführt, als sie Brasilien vor fünf Jahren ausgerichtet haben, keine Sojabohnen mehr zu kaufen, die auf ehemaligen Amazonas-Gebiet angebaut worden sind. Die Bauern haben sich daraufhin umstellen müssen. Ich habe das sehr begrüßt.
Zur Person
Derzeit ist der Brasilianer Rubens Ricupero (Jahrgang 1937) Rektor an der Universität FAAP in São Paulo. Von 1995 bis 2004 war er Generalsekretär der Unctad - einer UN-Organisation, deren Ziel die Förderung des Handels zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ist.
Ricupero hat als brasilianischer Finanzminister 1994 die Währung Real eingeführt und damit die grassierende Hyperinflation erfolgreich bekämpft.
Er war Vorsitzender von Gatt, der Vorgängerorganisation der WTO, und hat die sogenannte Uruguay- Runde (1990/1, der Wegbereiter der jetzigen Doha-Runde) über internationalen Handel geleitet. Ricupero war Gast bei der Außenwirtschaftstagung über BRIC-Staaten der WKO.