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Haben die Afrikaner heute von den Österreichern Klischeevorstellungen?

Von Alexis Nshimyimana

Politik

"Vorurteile und Klischeevorstellungen von Fremden oder anders aussehenden Menschen sind ein allgemein menschliches Phänomen. Solche Bilder, die Menschen sich von Fremden machen, sind ein Spiegel ihrer eigenen Wünsche und Ängste. Aber erst, wenn sie von der Gesellschaft benutzt werden, um Herrschaft zu begründen, wenn sie geprägt, gebraucht und in die gewünschte Richtung gelenkt werden, dann handelt es sich um Rassismus." Das sagen Regina und Gerd Riepe in ihrem Buch "Du schwarz - Ich weiss".


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Der Autor dieses Artikels, ein Afrikaner in Österreich, versucht, ein Bild dieser Gesellschaft aus seiner Sicht zu geben. Es geht also nicht um Vorurteile oder Klischeevorstellungen und gar nicht um Rassismus gegenüber Österreichern, sondern um deren Beobachtungen aus einem afrikanischen Blickwinkel.

Umgang mit Älteren

Ein Afrikaner, der hier lebt, versteht nicht, wie mit älteren Leuten umgegangen wird: die meisten von ihnen verbringen ihren Lebensabend in Altersheimen, während ihre Kinder das Leben in einer schönen Wohnung genießen, in der genügend Platz auch für die Großeltern vorhanden wäre. Zu Weihnachten oder zum Geburtstag hat die Oma das Privileg zu einem Besuch aus oder in der Familie, und danach kehrt der Alltag wieder. Zum Vergleich zu denjenigen, die in Heimen leben, sind die, die alleine in ihren Wohnungen bleiben, noch schlechter daran: Es wird oft von Fällen berichtet, wo jemand stirbt, und Monate vergehen, bevor die Leiche in der Wohnung vom aufmerksamen Briefträger oder der Polizei entdeckt wird.

Dass es anders gehen kann, beweist das Beispiel Afrikas: alte Leute werden verehrt, denn je älter man wird, desto weiser wird man, und so darf man auch würdevoll diese Welt verlassen. Anstatt also in einem Altenheim zu enden, werden die alten Leute von und in der Familie versorgt. Sie werden nicht als Last empfunden, sondern als eine unerschöpfliche und unersetzbare Quelle von Wissen und Lebenserfahrung, die der jungen Generation weitergegeben werden. Zurecht wird gesagt, dass ein alter Afrikaner, der stirbt, vergleichbar ist mit einer Bibliothek, die verbrennt.

Als ich vor kurzem mit einem Freund über den hiesigen Umgang mit alten Leuten diskutierte, meinte er, dass alles seinen Ursprung in der Kindererziehung habe: Die Gesellschaft erntet sozusagen, was sie gesät hat. In der Wohnung dürfen Kinder keinen Lärm machen, sonst aktiviert der Nachbar seinen Besen oder im schlimmsten Fall wird die Polizei geholt. Babys beruhigt man mit Schnullern, damit sie nicht schreien, etc... Man vergisst leicht, dass damit natürliche Bedürfnisse unterdrückt wer-den, die später einmal in einer anderen Form auftreten, wie das frühe Wegziehen von Zuhause, das andere Probleme wie Drogenkonsum, Sekten u.a. mit sich bringt.

Zwischenmenschliches

Ich mag dieses mechanische Lächeln à la manière von Schauspielern nicht. Es ist leider selten hier, ein freundliches, ungezwungenes Lächeln zu bekommen. Wenn ein Afrikaner einen anlächelt, dann tut er das von ganzem Herzen, und dabei fühlt er sich auch wohl, denn "wer so recht aus voller Seele lacht, der kann kein schlechtes Gewissen haben".

Ein schlechtes Gewissen könnten manche Leute hier haben, denn für sie ist Vertrauen ein Fremdwort. Wie ist sonst zu erklären, dass hier das nur gilt, was auf Papier steht?

Vertrag oder Abmachung per Handschlag ist passé, und das ist schade!

Ignoranz

Angesichts der positiven Selbstdarstellung Europas in den Medien würde keiner in Afrika auf die Idee kommen, dass es Analphabeten in Österreich gibt. Die gibt es, und im Vergleich zu den hier gebotenen Möglichkeiten an Aus- und Weiterbildung sind es viele. Es wurde behauptet, dass der Analphabet des 20. Jahrhunderts nicht nur derjenige ist, der nicht schreiben und/oder lesen kann, sondern auch derjenige, der nur eine Sprache beherrscht. ÖsterreicherInnen schneiden hier nicht gut ab.