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Haben wir denn noch echte Feinde?

Von Max Haller

Gastkommentare
Max Haller war von 1985 bis 2015 Professor für Soziologie an der Universität Graz und forscht jetzt an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien.
© privat

Das Freund-Feind-Denken in der Politik sollte man nicht zum letztlich alles Bestimmenden hochstilisieren.


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Die Glossen von Konrad P. Liessmann sind meist amüsant zu lesen, da sie eine Thematik klar auf den Punkt bringen; Überspitzungen liegen dabei in der Natur der Sache. Die Position seiner jüngsten Glosse "Eine bittere Lektion" kann man allerdings so nicht stehen lassen. Liessmann argumentiert darin, die jahrzehntelangen Friedensjahre hätten bei den meisten die Illusion genährt, der Friede wäre langfristig gesichert und Krieg nicht mehr möglich.

Dagegen ergebe sich eine realitätsgerechtere Einstellung auf der Basis der Grundthese von Carl Schmitt, dem "verachteten ‚Kronjuristen‘ des Dritten Reiches". Für diesen bestand das zentrale Element politischen Handelns darin, dass sich Freunde und Feinde herausbilden und als solche notfalls auch zum Mittel des Krieges greifen würden. Erfolgreiche Politik bestehe, auch in westlichen Staaten, darin zu erkennen, welchen Staaten man trauen dürfe und welchen nicht. Diese Feinde könne man sich nicht aussuchen.

Als Feinde definiert der "Duden" Personen, zu denen man ein feindliches Verhältnis hat, deren Interessen den eigenen zuwiderlaufen und die eine Bedrohung für die eigene Gruppe darstellen. Bei ihrem Verhalten muss man daher mit allem rechnen. Entspricht diese Darstellung dem politischen Leben? Zumindest in demokratischen Staaten wohl kaum. Zwar gibt es auch in hier konfligierende Interessen, diese werden jedoch mit friedlichen Mitteln (Verhandlungen, auch Demonstrationen, Streiks) ausgetragen. Die Tatsache, dass es in der Politik nicht ohne Parteien geht, wie schon Max Weber feststellte, wurde von Schmitt ungebührlich radikalisiert zum Freund-Feind-Gegensatz. Und nun schlägt Liessmann in die gleiche Kerbe.

Es ist eine kühne Behauptung, das halbe Jahrhundert Friedenszeit in Europa und die ebenso lange Vermeidung von Weltkriegen hätten praktisch einen Ausnahmezustand dargestellt, der nun durch den Krieg Wladimir Putins in der Ukraine beendet worden sei. Auch ein reaktionärer Schreiber kann richtige Einsichten haben. Dies konzedieren Schmitt auch viele Autoren (insbesondere Juristen) in Deutschland, von denen er keineswegs verachtet wurde, sondern auf die er auch noch nach 1945 erheblichen Einfluss hatte.

Gewalt gegen politische Feinde

Dass in der Politik oft ein Freund-Feind-Verhältnis besteht, ist nicht zu bestreiten. Dass diese Art von Beziehung jedoch ihren Kern darstelle, war eine zentrale These des Faschismus. Im Anschluss an Friedrich Nietzsche, Georges Sorel und andere Eliten- und Machttheoretiker haben Benito Mussolini und Adolf Hitler systematisch Gewalt und Terrorismus ausgeübt, um die öffentliche Ordnung zu destabilisieren, an die Macht zu kommen und dann die Ordnung in ihrem Sinne wiederherzustellen. Ihre Gegner mussten nach dieser Logik nicht nur bekämpft, sondern ausgeschaltet werden.

Dies traf nicht nur kommunistische, sozialistische, christliche und andere Gegner der NSDAP, sondern sogar Kampfgefährten Hitlers selbst. So wurde der SA-Führer Ernst Röhm 1934 ermordet, weil Hitler in ihm einen gefährlichen Konkurrenten und Feind heranwachsen sah. Diesen Mord rechtfertigte Schmitt öffentlich, ebenso wie das Ermächtigungsgesetz von 1933, das die Demokratie ausschaltete und der nationalsozialistischen Diktatur den Weg ebnete.

Rechte Politiker benutzen Gewalt bis heute als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele. In Putins Reich werden Regimekritiker eingesperrt, viele gar ermordet. Gewalt wenden auch autoritäre Führer wie Recep Tayyip Erdogan in der Türkei oder Viktor Orban in Ungarn an, wenn sie durch eigens erlassene Gesetze Oppositionelle von der Politik ausschließen. In jüngerer Zeit war das Erschreckendste, dass selbst US-Präsident Donald Trump zur Anwendung von Gewalt bei der Erstürmung des Kapitols im Jänner 2021 ermutigte. Seither ist die ganze US-Politik von einem verhängnisvollen Freund-Feind-Denken durchzogen.

Klassifizierung in gut und böse

Dass das Freund-Feind-Verhältnis in der Politik auf nationaler und internationaler Ebene eine Rolle spielt, ist also zweifellos richtig. Dieses Verhältnis aber zum letztlich alles Bestimmenden hochzustilisieren, ist nicht nur ethisch fragwürdig, sondern auch historisch falsch. Es führte in den internationalen Beziehungen auch dazu, politische Kontrahenten von vornherein als gut oder böse zu klassifizieren. Die vielen verheerenden Kriege der USA gegen wechselnde Gruppen von "Schurkenstaaten" zeigen, zu welchen Folgerungen eine solche Sichtweise auch demokratische Staaten bringen kann.

Gerade wegen dieser Kriege wurden ganze Länder zu Feinden des Westens erklärt. Freundschaftliche Beziehungen zwischen autoritären Staaten wie China und dem Westen wird es noch lange nicht geben. Innerhalb der Europäischen Union, ja des ganzen Westens, gibt es sie bereits zum großen Teil. Aber auch mit autoritär regierten Staaten sind jedoch korrekt-sachliche, auf gemeinsamen Interessen basierende Beziehungen vorstellbar, die auf wechselseitigem Vertrauen im Hinblick auf die Nichtanwendung militärischer Mittel beruhen (deren Besitz wird dennoch nicht überflüssig). Ansätze zur Etablierung vertrauensvoller Beziehungen zwischen Europa und Russland, die es Anfang des 21. Jahrhunderts tatsächlich gab, wurden wohl aufgrund eines Freund-Feind-Denkens fallengelassen.