Soziale Kluft in Südafrika droht Demagogen den Boden zu bereiten.
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Wien/Johannesburg. Es brodelt in Südafrika. In der Innenstadt von Kapstadt plünderten kürzlich Demonstranten Geschäfte. Ursprünglich hatten sie für eine bessere öffentliche Versorgung demonstriert, für Zugang zum Stromnetz und Wasseranschlüsse. Dies fehlt in vielen Townships, was für Wut sorgt. Und immer wieder streiken frustrierte Arbeiter, die sich als unterbezahlt ansehen, zuletzt in der Automobilindustrie. Aber auch im Bergbau droht die Gewerkschaft erneut, den für Südafrika so wichtigen Sektor lahmzulegen. Gerade im Bergbau zeigen sich die Probleme des Landes wie in einem Brennglas: Das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Reich und Arm birgt viel Sprengkraft. Und die, die unten stehen, fühlen sich oft von der Politik ignoriert.
Besonders spiegelten das die Bergarbeiterstreiks vor rund einem Jahr wider, bei denen die Polizei bei Protesten rund um die Platin-Mine in Marikana 34 Demonstranten erschoss. Die blutigen Ereignisse gingen durch die Weltmedien, in Südafrika sind sie bis heute nicht aufgearbeitet und sorgen für heftige Diskussionen.
Nun untersuchen eine Kommission und Minister aus der Regierung die Vorfälle. Sie stellen sich Fragen wie: Auf wen ist der Schießbefehl zurückzuführen? Inwieweit hat sich die Polizei selbst verteidigt, inwieweit hat sie willkürlich getötet (Zeugen berichteten davon, dass Bergarbeitern in den Rücken geschossen wurde)?
Die entscheidenden Fragen werden aber laut dem weißen ehemaligen Anti-Apartheidskämpfer Horst Kleinschmidt nicht gestellt: nämlich die nach den Machtverhältnissen. Es ginge darum, ob die Polizei dazu benützt wird, "ein gewisses System zu stabilisieren", also das Aufbegehren der Armen zu unterdrücken.
Die Spuren der Apartheid
So gab es Aussagen vor der Kommission, dass Cyril Ramaphosa, der Vizepräsident des regierenden African National Congress (ANC), kurz vor den Schüssen in Marikana in einer E-Mail die Proteste als "kriminelle Aktionen" bezeichnet und ein Einschreiten gefordert hatte. Ramaphosa war geschäftlich mit Lonmin verbandelt, der britischen Firma, die die Platin-Mine in Marikana betreibt.
Und die Machtverhältnisse sind laut Kleinschmidt mit den sozialen Zuständen verwoben. Im Bergbau herrsche noch immer ein System vor, "das wie unter der Apartheid funktioniert", berichtete der 68-jährige in Wien bei einem Vortrag im Dokumentations- und Kooperationszentrum Südliches Afrika (Sadocc).
Die Minenbetreiber rekrutieren demnach Wanderarbeiter, die aus verschiedenen Teilen Südafrikas, aber auch aus Mosambik oder Malawi stammen. Die Kumpel trennen Sprachbarrieren und dadurch wird es ihnen schwer gemacht, sich zu organisieren. Ein weiterer Effekt: Es kam in den Regionen, in denen die Minen sind, zu keiner Vollbeschäftigung, durch die die Löhne gestiegen wären. Auch nach der Apartheid hätten Minenbetreiber und Regierung wenig für bessere Unterkünfte oder die medizinische Versorgung der Arbeiter getan, sagt Kleinschmidt. Ein Beispiel dafür, wie die Regierung aber auch ausländische Investoren die Nöte der Armen ignorieren.
Die Lage der Bergarbeiter führt zu einer der entscheidenden Fragen, die laut dem Träger des Bruno-Kreisky-Menschenrechtpreises gestellt werden müsse: ob der politische Wille bestehe, den sozialen Folgen der Apartheid zu begegnen.
Bei der Betrachtung Südafrikas fällt die Antwort ernüchternd aus. Die Arbeitslosigkeit beträgt offiziell etwa 20 Prozent, tatsächlich dürften es aber wohl 40 sein. Das Schulsystem liegt so darnieder, dass es für viele Leute schwierig ist, selbst einfachste Arbeiten in Fabriken zu finden. "Die Kluft zwischen Reich und Arm wird immer größer", sagt Kleinschmidt. Das sei Südafrikas größtes Problem. Und: "In vielerlei Hinsicht bin ich enttäuscht. Wir haben für die Armen nicht nach unseren Möglichkeiten gehandelt."
Das sagt ein Mann, der sich immer für ein gerechteres Südafrika eingesetzt hat. Kleinschmidt zählte zu den wenigen Weißen, die sich gegen die Apartheid auflehnten. Er dokumentierte für ein christliches Institut die unrechtmäßigen Verhaftungen des Apartheid-Regimes. Kleinschmidt war gar für ein halbes Jahr der Erziehungsberechtigte der Kinder von Nelson und Winnie Mandela, als die Eltern in Haft waren. Auch er selbst saß drei Monate ohne Gerichtsverfahren in Einzelhaft und floh schließlich ins Exil. In London leitete er dann eine Organisation, die für Verhaftete in Südafrika einen Rechtsbeistand organisierte. Und Kleinschmidt half nach dem Ende der Apartheid beim Aufbau eines neuen Südafrikas mit, etwa in der Verwaltung.
Nun, rund 20 Jahre nach dem Ende der Vorherrschaft der Weißen, will Kleinschmidt nicht die positiven Seiten des Wandels verschweigen: Es gebe eine freie Presse, die Missstände beim Namen nennt, und eine lebendige Zivilgesellschaft, die sich für die Armen einsetzt. Aber: In der Politik und im regierenden ANC spielt die Verteilungsfrage laut Kleinschmidt eine viel zu geringe Rolle. Und das droht den Boden für Demagogen zu bereiten. So hetzt in Südafrika der Jungpolitiker Julius Malema, der selbst als äußerst korrupt gilt, mit simplen Schlagwörtern die Massen auf, macht dabei Stimmung gegen Weiße oder Inder. Malema führt die Partei Economic Freedom Fighters an. "In der sozialen Landschaft Südafrikas ist so eine Partei besonders gefährlich", warnt Kleinschmidt.