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Wer gerne Dirigenten und Orchester beim Proben zuschaut, hat dazu im Fernsehen häufig Gelegenheit. (Häufiger jedenfalls als im sonstigen Leben.) Vorgestern Abend konnte man z. B. in arte mitverfolgen, wie Nikolaus Harnoncourt mit den Wiener Philharmonikern arbeitete. Geprobt wurde das Schluss- und Jubelstück eines jeden Neujahrskonzerts: der Radetzkymarsch. Harnoncourt ließ ihn langsamer spielen als üblich. Dadurch verwandelte sich der Marsch, der sonst schwungvoll, wenn nicht gar schmissig daherkommt, in ein fast feierliches, altösterreichisch gravitätisches Ereignis.
Den Sinn dieser Interpretation erklärte Harnoncourt im Gespräch. Er, der für seine Bemühungen um historischen Originalklang bekannt ist, versteht auch den berühmten Marsch aus seiner Zeit heraus. Dass die Tempowahl außerdem von einer "habsburgischen Ecke" in seinem Gemüt beeinflusst sein könnte, gab Harnoncourt zu, meinte aber zugleich, dass jeder Österreicher eine solche Ecke hätte. Ob das stimmt, wurde in der Sendung nicht weiter erörtert. Statt dessen stellte der Filmbericht den Marsch in seinen historischen und musikalischen Kontext. Der Feldmarschall Radetzky, bekanntlich einer der entschiedensten Feinde der bürgerlichen Revolution von 1848, wurde dabei nicht nur gerühmt. Die Bilder, die gezeigt wurden, nahmen aber trotzdem jede Rücksicht auf allfällige "Habsburgische Ecken": Reitende und exerzierende Militärs bewegten sich durchs Bild und dazu ertönte immer wieder der Marsch, den der Filmtitel als "Marsch der Märsche" anpries. (Hat man im halb französischen Sender arte noch nie die Marseillaise gehört?)