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Häftlinge warten auf die Revolutionstribunale

Von Arian Faal

Politik

Brutale Übergriffe im Teheraner Evin-Gefängnis. | Gespräch mit Ex-Gefangenem. | Teheran/Wien. "Ich bin froh, dass ich noch am Leben bin. Ich dachte nie, dass ich meine Familie noch einmal sehen würde." Sirouz K. (Name der Redaktion bekannt) ist abgemagert und total verstört. Er war eine Woche im berüchtigten Evin-Gefängnis Teherans und ist seit Donnerstag wieder frei. Seine Hände zittern.


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"Ich hatte Glück, andere warten auf das Revolutionstribunal und werden sicherlich verurteilt", erklärt er mit Tränen in den Augen. Das "Evin" ist eine Haftanstalt am nördlichen Stadtrand der Millionenmetropole. Es wurde in der Schahzeit im ehemaligen Domizil von Seyed Ziaeddin Tabatabai gegründet und ist seit Beginn der islamischen Revolution 1979 immer wieder die "zentrale Stätte für politische Häftlinge".

Auch nach der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni brachten Revolutionsgarden und Basijmilizen hunderte Demonstranten, die von Wahlbetrug sprachen und lautstark gegen den Urnengang protestierten, hierhin. Unter ihnen Politiker, Schriftsteller, Chefredakteure, Verleger und Geistliche - und eben auch Sirouz. Wegen der Brutalität, mit der die Gefängniswärter mit den Häftlingen umgehen, bekam es im Laufe der Jahre den Beinamen "Ort des Schreckens".

"Niemand kann sich vorstellen, was an diesem Ort abgeht. Wir waren 200 Leute und warteten auf unsere Anhörung. In drei Tagen haben wir nur einen Tee bekommen. Das war alles. Können Sie sich vorstellen, wie die Stimmung war? Eine Mischung aus Angst und Wut. Immer wieder wurde auf Einzelne wahllos hingeprügelt. Mit meinem T-Shirt habe ich den blutigen Arm eines Freundes verbunden", sagt er resignierend.

Sirouz holt Luft und fasst sich wieder. Es ist mutig und riskant, dass er kurz nach seiner Entlassung mit Europa telefoniert. Mehrmals jährlich finden im Evin-Gefängnis auch Hinrichtungen statt, wie zum Beispiel Steinigungen nach der Verurteilung wegen Ehebruchs.

Aufnahmen von der Anstalt gibt es fast nicht, da sie von außen und innen nicht fotografiert werden darf. "Es sitzen auch viele bekannte Politiker dort, sogar den unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Moussavi würden die Revolutionsgarden am liebsten für zehn Jahre in einer der Zellen sehen", sagt Sirouz.

Ins Leben zurückfinden

Viele Freunde von Sirouz hatten nicht so viel Glück wie er. Für sie bereitet die Regierung die Revolutionstribunale auf Massenverhandlungen für die über 1300 verhafteten Demonstranten vor, die gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Mahmoud Ahmadinejad auf die Straße gegangen waren. Der zuständige Generalstaatsanwalt Teherans, Saeid Mortazavi, gilt als einer der strengsten und gnadenlosesten Advokaten der Welt und hat schon angekündigt, gegen die "Rowdies", die die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört hätten, rigoros vorgehen zu wollen. Dies kommt einer Vorverurteilung gleich.

Während Moussavi die Freilassung aller verhafteten Demonstranten forderte und zu neuen Demonstrationen aufrief, stellen sich die Pasdaran Miliz und die Basijtruppen auf weitere Verhaftungen ein. Sirouz hat von all dem genug und wird sich für einige Wochen nördlich von Teheran zu Verwandten begeben, um, wie er sagt, "ins Leben zurückzufinden."