Das komplexe Zusammenspiel zwischen dem Recht der Welthandelsorganisation (WTO) und dem der Europäischen Union stand wieder einmal auf dem Prüfstand.
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Die 1995 in Kraft getretene WTO dient dem Abbau von Zöllen und anderen Handelsschranken im Welthandel. 1993 erließ der Rat der EU die Verordnung 404/93/EWG zur Regelung der Einfuhr von Bananen in die EU, aufgrund derer Präferenzregelungen für Bananen mit Ursprung in bestimmten Staaten Afrikas, der Karibik und des pazifischen Raumes - sogenannte "AKP-Bananen" im Rahmen des Lomé-Abkommens (1975) - festgelegt wurden. Das Streitbeilegungsgremium der WTO (Dispute Settlement Body, DSB), bei dem mehrere WTO-Mitgliedstaaten, darunter die USA, Beschwerde eingelegt hatten, entschied, dass diese Einfuhrregelung der Gemeinschaft für Bananen mit den WTO-Bestimmungen unvereinbar sei. Obwohl der Rat 1998 eine neue Bananen-Verordnung erließ, mit der die alte Regelung geändert wurde, war der DSB der Ansicht, dass auch diese Neuregelung nicht mit dem WTO-Recht kompatibel sei.
Er gestattete daher den USA auf deren Antrag, auf Einfuhren bestimmter Waren aus der EU retorsive Straf- oder Vergeltungszölle ("cross retaliation") in Höhe eines jährlichen Handelsvolumens von 191,4 Millionen US-Dollar zu erheben.
Sechs davon betroffene Unternehmen mit Sitz in der EU beantragten in der Folge beim Gericht erster Instanz in der EU, die Kommission und den Rat zum Ersatz des ihnen infolge der Anwendung der amerikanischen Vergeltungsmaßnahmen auf ihre US-Exporte entstandenen Schadens zu verurteilen. Aus ihrer Sicht ist die EU deswegen für den Ersatz des ihnen entstandenen Schadens verantwortlich, da es ja das WTO-widrige Verhalten der Organe der EU war, das den Schaden ausgelöst habe.
Hätte nämlich die EU - wozu sie ja nach WTO-Recht verpflichtet gewesen wäre - den sie verurteilenden Schiedsspruch des DSB korrekt befolgt, wären die USA nicht ermächtigt worden, Strafzölle auf ihre Exporte zu erheben. Ihre Exporteinbußen seien daher kausal durch das rechtswidrige Verhalten der Organe der EU verursacht worden. Sie, die sechs Unternehmen, hätten sich völlig WTO-konform verhalten und sehen sich nun als Opfer gleichsam "wahllos" gestreuter US-Vergeltungszölle. Im Übrigen könnten sie ein solches Risiko auch nur schwer über Exportkreditversicherungen abdecken.
Schöppenstedt-Formel
Die Gemeinschaftsgerichte sahen das anders. Sowohl das Gericht erster Instanz, als auch der durch Rechtsmittel angerufene EuGH waren der Meinung, dass die EU für Schäden im Zusammenhang mit dem Erlass einer Verordnung durch den Rat nicht einzustehen habe, auch wenn dieser Rechtsetzungsakt gegen WTO-Recht verstoßen sollte (EuG, T-69/00, EuGH, verbundene Rechtssachen C-120/06 P und C-121/06 P). Es handle sich dabei um eine Frage der Amtshaftung für rechtmäßiges, gesetzgeberisches Verhalten der Organe der EU gemäß Artikel 288 Absatz 2 EG-Vertrag, die aber nur dann ausgelöst werde, wenn es sich dabei nach der sogenannten Schöppenstedt-Formel des EuGH um eine hinreichend qualifizierte Verletzung einer grundrechtlich geschützten Position gehandelt habe. Obwohl bereits in sieben EU-Mitgliedstaaten ein solcher Rechtsgrundsatz der Haftung des Staates auch für rechtmäßiges Verhalten seiner Organe nachgewiesen werden kann, verneinte der EuGH das Vorliegen eines solchen im Gemeinschaftsrecht und führte darüber hinaus noch aus, dass ein Unternehmen, das am internationalen Handel teilnehme, eine solche Art von Risiko durchaus zu gewärtigen habe. Diese beiden Argumentationslinien des EuGH scheinen aber überprüfungsbedürftig zu sein.