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fauna & flora
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An dem Tag, als unsere sieben Kücken sieben Wochen alt wurden, entließ ihre Mama sie ins Erwachsenenleben. Das Federkleid war noch nicht bei allen ganz geschlossen. An zwei Brüsten zeigte sich noch eine kleine kahle Stelle. Die Schwanzfedern waren noch kurz, und die Kämme zwar blutrot, aber sehr schmal. Doch wie es bei Jugendlichen zu sein pflegt, schien das Jungvolk mehrheitlich überzeugt, dass es gut war, endlich allein über das Wohin zu bestimmen.
Das Geschlechterverhältnis in der Schar ist bedauerlicherweise 5:2 für die Männer ausgefallen. Das ist ganz verkehrt. Wir haben schon einen erwachsenen Hahn, der, erst ein Jahr alt, seine Sache gut macht. Er erspäht jeden Greifvogel am Himmel und warnt seine Damen mit lauten Rufen. Mit hohen glucksenden Tönen zeigt er ihnen Leckerbissen an, die sie dankbar annehmen.
Als am Tag zwei des neuen Lebensabschnitts eines der frechen Hähnchen gar zu krähen versuchte, und zwei andere so taten, als würden sie gleich ganz ernst gegeneinander kämpfen, da wurde es dem Chef zu bunt. Er wollte die Kleinen maßregeln, doch die flatterten keck über den Gartenzaun und waren für weitere Abmahnungen nicht mehr greifbar.
Wir werden die Hähnchen nach Möglichkeit verschenken. Die übrigen werden wir essen. Diese Aussicht stimmt mich melancholisch, wenn sie so selbstbewusst und schreckhaft an mir vorbeiziehen. Ich erkläre mir selbst, dass unsere Hähne wenigstens ein schönes freies Leben haben, bevor sie gegessen werden.
Immer geht ums Essen: Am Waldrand sitzen Greifvögel und spähen nach Mäusen. Man kann nicht sicher sein, dass sie die Kücken ungeschoren lassen. Jüngst hatten wir einen Ausflug gemacht. Den ganzen Tag war kein Mensch ums Haus, deshalb war ich froh, alle sieben lebendig vorzufinden. Umso schockierter war ich, als sich beim Abendappell nur sechs von ihnen im Stall fanden. Das größte Hähnchen war weg. Ich fand nicht einmal eine Feder. So sauber arbeitet nur der Fuchs: Marder wie Greifvögel rupfen beim Töten stets ein paar Federn aus.
Meine Tochter T. meinte, das Schicksal des Hähnchens sei nicht schlimm, es wäre sowieso irgendwann getötet worden. Mir leuchtete das nur halb ein. Denn das Leben des Hahns war ungebührlich verkürzt worden, auch wenn dies den Vorteil mit sich brachte, dass wir ihn nicht umbringen mussten.
Als ich am Montag den Stall aufmachte, zählte ich wieder: Sechs Stück stürmten auf die Wiese. Da sah ich im Augenwinkel etwas Weißes aus dem Wald zur Hühnerschar hin rennen. Es war das Hähnchen. Bis auf eine Verletzung am Kamm war es unversehrt. Es war seinem Angreifer entkommen. Ich war sehr froh, allerdings stehe nun wieder ich an der Stelle des Fuchses.
Stefanie Holzer, geb. 1961, lebt als Schriftstellerin in Innsbruck.