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Haider und die österreichische Tiefenkultur

Von Gerald Mader

Politik

Von Galtung stammt der Begriff der strukturellen Gewalt, der einen festen Platz in der Friedensforschung hat. Er wurde später erweitert um den Begriff der kulturellen Gewalt, der in Galtung | neuesten Forschung über Tiefenkultur eine Fortsetzung findet, die den friedenswissenschaftlichen Diskurs bereichern sollte. Es war daher naheliegend, dass Galtung in einem Kommentar in der Presse das | Thema Haider unter dem Gesichtspunkt einer österreichischen Tiefenkultur behandelt hat.


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Die Kritik, dass Österreich seine nationalsozialistische Vergangenheit und ihre Bewältigung verdrängt habe, ist berechtigt. Dieses Trauma gibt es. Haider ist kein Nazi, aber er hat mit seinen

Reden jene angesprochen, die von einer Aufarbeitung der österreichischen NS-Geschichte nichts hören wollen. Sollte es daher unter einer FPÖ-Regierung dazu verstärkt kommen, dann wäre dies ein

begrüßenswerter positiver Effekt, der aber Haider einen Teil seiner Stammwähler entfremden müsste.

Die Auflösung der österreichisch-ungarischen Monarchie war das Trauma der Ersten Republik. Ich bezweifle, dass dieses Trauma in der jungen Generation am Ende der Zweiten Republik nachwirkt. Die

Schweiz war nie ein Imperium und hat mit der Blocher-Partei ähnliche Probleme. Haider ist ein begnadeter Demagoge, der mit einer populistischen Politik auf Wählerfang geht. Mit Schüssel, der ein

begnadeter Taktiker ist, verbindet ihm der "authentische Machtanspruch". Das, was Haider widerspiegelt, ist daher weniger sein Instinkt für eine spezifische österreichische Tiefenkultur, die es auch

gibt. Vielmehr spiegelt er · neben sich selbst · vor allem eines wider: Den Wunsch eines Großteils der österreichischen Bevölkerung nach einem Politik- und Machtwechsel und die Resonanz auf Fehler

und Schwächen einer überholten und ermüdeten Koalitionspolitik, deren Inhalt und Form nicht mehr zeitgemäß waren. Daher gibt es Sozialdemokraten, welche die Regierungsbeteiligung der FPÖ ablehnen,

aber gleichzeitig die Oppositionsrolle der SPÖ begrüßen, die zur notwendigen Reform zwingt. Ist Haider die Übertreibung des Österreichischen? Natürlich braucht Haider eine Umgebung, diese würde er

aber auch in anderen Ländern vorfinden. Die Anfälligkeit für Nationalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit findet sich leider fast überall in Europa. Aus der Geschichte wissen wir, dass es in

jedem Volk Menschen gibt, die zu unfassbaren Grausamkeiten fähig sind. Jedes Volk hat ein Recht auf schlechte Menschen meinte hierzu ein jüdischer Autor.

Warum wird Haider in der EU abgelehnt? Nicht weil er das "Österreichische" verteidigt · sein berühmter "kleiner Mann" und das "kleine Land" · sondern weil die EU die menschenverachtende Politik der

rechtsextremen Parteien ablehnt und weil die EU fürchtet, dass eine Regierungsbeteiligung der FPÖ die übrigen rechtsextremen Parteien in der EU stärkt und gesellschaftsfähig macht. Man kann darin

eine Festlegung der Feindschaft im Sinne Carl Schmitts sehen oder den Beginn einer moralischen Identität Europas. So sehr es zu begrüßen ist, wenn politische Werte und Inhalte anstelle der

postmodernen Beliebigkeit treten, sind die Gefahren einer Moralisierung der Politik und der Doppelmoral nicht von der Hand zu weisen. Es ist oft nicht eindeutig, wer wem und was und zu welchen

Zwecken instrumentalisiert.

Sicherheitspolitik ohne friedenspolitische Skrupel

An der Ablehnung der Regierungsbeteiligung der FPÖ durch die 14 EU-Länder und den USA konnte selbst die sicherheitspolitische Weichenstellung der ÖVP/FPÖ-Regierung nichts ändern, die dem eigenen

Rechtskurs, aber auch der Linie der NATO-Staaten und ihrer Verbündeten entspricht: Erhöhung des Militärbudgets und Aufrüstung trotz Sparkurs, Verzicht auf Neutralität, NATO als Option,

Beistandspflicht, Umrüstung des Bundesheeres auf militärische Einsätze ohne Beschluss des Sicherheitsrates, Kauf von Abfangjägern und als Draufgabe eine Law und Order Politik in der Innenpolitik.

Diese militärische Sicherheitspolitik dient den Interessen des Militärs und der Rüstung, aber sicher nicht den kleinen Leuten. Ist das wirklich ein Spektrum, das in kein Politschema eingereiht werden

kann?

Es stimmt, dass EU mit Neutralität nicht vereinbar ist. Deshalb haben sich in der Sicherheitspolitik nicht nur Österreich, sondern auch Schweden, Finnland und Irland das Recht vorbehalten, selbst zu

entscheiden, ob sie sich an militärischen Einsätzen beteiligen wollen. Wo liegt hier die Heuchelei? Vielleicht ist es eine Politik des Sowohl als Auch, die man kritisch als Lavieren bezeichnen kann.

Aber welche andere Möglichkeit hat ein kleines Land, das aus wirtschaftlichen Gründen aus der EU nicht austreten kann, aber bei der Aufrüstung der Großen nicht mitmachen will?

Die neue Bundesregierung hat diese Probleme nicht, da sie keine friedenspolitischen Skrupel plagen. Hier hat sie auch keinen Widerstand der USA und der EU zu befürchten, da ihre Sicherheitspolitik

mit der der NATO übereinstimmt, welche für die Wiederbelebung der alten Sicherheitspolitik und den Vorrang des Militärischen eintritt. Nur die kleinen paktfreien europäischen Staaten sind ein Gegner

dieser Militarisierung der europäischen Außenpolitik. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass nach einiger Zeit das Interesse des Westens an der militärischen Sicherheitspolitik wichtiger

wird als das Engagement gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ. Gerade deshalb ist es wichtig, dass die Auseinandersetzung mit Haider und der neuen Bundesregierung nicht nur im Bereich der

Menschenrechte, sondern in gleicher Weise über eine Sicherheitspolitik geführt wird, die militärische Einsätze ohne Beschluss des Sicherheitsrates in Europa politikfähig machen soll.

Politisierung ja,

geister Bürgerkrieg nein

Die Kritik der 14 EU-Staaten an der Regierungsbeteiligung der FPÖ ist überzogen, aber grundsätzlich gerechtfertigt, da eine Kultur des Friedens Einmischung verlangt. Wer sogar die militärische

Intervention bejaht, kann die zivile Einmischung nicht verneinen. Ein Boykott, der sich allerdings gegen ganz Österreich richtet, ist falsch und kontraproduktiv. Der Sturz dieser Regierung, so sehr

er von vielen gewünscht wird, darf nicht von außen kommen. Es ist Aufgabe einer breiten Opposition, die Beendigung der Regierungsbeteiligung der FPÖ aus eigener Kraft herbeizuführen. Wir brauchen

keine Hysterie, keinen geistigen Bürgerkrieg, sondern eine echte politische Auseinandersetzung. Die neue Politisierung weist den Weg, wie aus einer Krise der in ihren Eigeninteressen gefangenen

politischen Klasse die echte Chance eines Neubeginns werden kann. Es gilt, sie zu nützen, Nicht durch ein konfliktscheues Lavieren, sondern durch eine starke, aber differenzierte Opposition, ohne

Phrasen, mit viel Zivilcourage und ohne Gewalt.

Differenzierter Dialog

Das Schlaininger Friedenszentrum schöpft seine Kraft und seine Legitimation aus der friedenspolitischen Zielsetzung der Sicherheitspolitik und dem Eintreten für eine Kultur des Friedens. An dieser

Positionierung hat sich und wird sich auch durch die Bildung einer ÖVP/FPÖ-Bundesregierung nichts ändern. Tatsache ist aber, dass sich die internationalen Rahmenbedingungen für Friedenspolitik

insgesamt in den letzten 10 Jahren trotz der Proklamierung des Jahres 2000 zum Internationalen Jahr der Kultur des Friedens verschlechtert haben. Die Militarisierung der Außenpolitik und der

Gesellschaft haben zugenommen.

ÖVP und FPÖ haben ein Arbeitsübereinkommen unterzeichnet, das den Schwerpunkt der Sicherheitspolitik nicht auf zivile Friedenssicherung, sondern auf eine verstärkte militärische Sicherheitspolitik

legt. Dies entspricht zum Großteil der sicherheitspolitischen Großwetterlage, die von der NATO vorgegeben wurde. Dennoch ist es für Österreich eine falsche Prioritätensetzung, deren Umsetzung

außerdem aus budgetären Gründen schwierig sein wird. Wir werden daher jene Kräfte, auch in der Bundesregierung, unterstützen, die ein ziviles Engagement in der Sicherheitspolitik für sinnvoller

halten. Jedenfalls werden die Verschlechterungen der österreichischen Rahmenbedingungen für Friedenspolitik für uns kein Grund zur Resignation sein, sondern wir sehen darin eine Herausforderung und

einen Ansporn, unsere Friedensarbeit zu verstärken und appellieren an alle, die mit unserer friedenspolitischen Zielsetzung übereinstimmen, uns zu unterstützen.

Voraussetzung einer erfolgreichen Friedensarbeit ist ein ständiger Dialog, auch mit jenen, die anderer Auffassung sind. Die Burgenländische Landesausstellung 2000 "Krieg oder Frieden. Vom Kult der

Gewalt zur Kultur des Friedens" bietet eine gute Gelegenheit, sich mit Krieg und Frieden umfassen auseinanderzusetzen. Wir werden uns darüber hinaus bemühen, einen differenzierten Dialog mit der

neuen Bundesregierung zu führen. Die Frage, worauf ich meine Zuversicht gründe, dass es zu einer Trendwende in der Sicherheitspolitik wieder kommen werde und dass es möglich ist, die neue

Bundesregierung friedenspolitisch zu beeinflussen, beantworte ich mit den Worten des UNO-Generalsekretärs Khofi Annan: "Weil ich ein glücklicher Narr bin". Und es geschieht immer wieder, dass ein

friedenspolitischer Fortschritt durch einen Rückschritt bewirkt wird.