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Haim Harari, der Leiter des Internationalen Komitees zur Umsetzung des "Institute of Science and Technology Austria" in Gugging, erklärt, warum wissenschaftliche Eliten nötig sind.
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Wiener Zeitung:Worin besteht die große Chance des ISTA in Gugging?Haim Harari: Ich glaube, dass Europa im Allgemeinen und Österreich im Besonderen ernste Probleme mit ihrem Forschungsapparat und mit ihren Universitäten haben. Denn hier untersteht alles den Regierungen. Und jede Regierung muss korrekterweise jeden gleich behandeln. Die meisten europäischen Länder haben Universitätssysteme entwickelt, die teils besser, teils schlechter sind, aber jedes von ihnen muss gleich behandelt werden. Das ist ein schönes, egalitäres, demokratisches Prinzip. Allerdings wird dieses Prinzip nicht auch auf die Oper, auf die Philharmoniker oder auf die Skiläufer angewendet. Dass auf diesen Gebieten nicht jeder gleich sein kann, ist jedem klar. Deshalb bemüht man sich, auch in finanzieller Hinsicht, mehr um die Eliten, um jene kleine Gruppe von Menschen also, die den gewissen Unterschied ausmachen. Wenn es jedoch um Wissenschaft und Forschung geht, dann gilt das Elitenprinzip leider nicht.
Aber gerade auf diesem Gebiet wären Elite wichtig.
Forschung beginnt mit sehr wenigen Menschen. Und wissenschaftliche Durchbrüche gelingen ebenfalls nur sehr wenigen Menschen. Diese Menschen müssen die Gelegenheit bekommen, praktisch alles zu machen, was sie wollen - freilich innerhalb eines vernünftigen Finanzrahmens. Alle großen Leistungen in der Forschung, die der Menschheit geschenkt wurden, sind das Resultat der Arbeit außerordentlicher Menschen, denen es ermöglicht wurde, der eigenen Neugierde zu folgen.
Wir haben also zu viel Mittelmäßigkeit?
Mittelmäßigkeit ist ein hässliches Wort. Nun, alle europäischen Universitäten sind viel zu durchschnittlich. Und erst allmählich kommt Europa zur Erkenntnis, dass man außergewöhnliche, einzigartige Institutionen schaffen muss. In Österreich gibt es dafür eine hervorragende Möglichkeit dank einer außergewöhnlichen Forscherpersönlichkeit, dank Professor Zeilinger, der diesbezüglich die Initiative ergriffen hat. Man braucht immer einen Auslöser. Österreich ist ein reiches, wohlhabendes Land, das sich Eliteforschung leisten kann. Außerdem ist es das Zentrum der neuen EU-Länder. Das ist eine einzigartige Chance. Die Wirtschaft hat die sich bietenden neuen Chancen bereits genützt, warum sollte nicht auch die wissenschaftliche Welt davon profitieren?
Wäre das Weizmann-Institut ein gutes Vorbild für das ISTA?
Das Weizmann-Institut ist in einer Zeit des Elends, des Krieges gegründet worden, es war motiviert vom echten Pioniergeist seiner Gründer, und wir hatten viel Glück. Was jetzt wie weise Voraussicht aussieht, war seinerzeit eher Megalomanie: ein kleines Institut für fünf verschiedene Wissenschaftszweige zu gründen. Das lässt sich also nicht kopieren. Andererseits hat das Weizmann-Institut von heute viele Züge, die es wert wären, kopiert zu werden. Etwa das Engagement in verschiedenen Wissenschaftsfeldern auf dem selben Campus. Das ist sehr untypisch für Forschungsinstitute, normalerweise gibt es nur ein einziges Fach - ausschließlich Biologie, ausschließlich Physik, etc. Das war vor 30 Jahren richtig so. Aber heute ist fast alles in der Wissenschaft multidisziplinär, manchmal auch interdisziplinär.
Forscher verschiedener Disziplinen sollte also auf einem Campus aufeinandertreffen?
Wenn ein Biologe nur ein paar Schritte gehen muss, um mit einem Computerexperten Kaffee zu trinken, ist das ein wunderbarer Zustand. Im persönlichen Gespräch können nämlich Zufälle passieren. Wenn man schon weiß, was man einen anderen Fachmann fragen will, kann man ihm ein E-mail schicken. Wissenschaft bedeutet aber, die richtigen Fragen zu stellen, und nicht, Antworten auf bekannte Fragen zu geben. Und die richtige Fragestellung entdeckt man oft eben beim Kaffeeplausch mit Wissenschaftern aus anderen Disziplinen.
Wie viele Wissenschaftszweige sollen es beim ISTA in Gugging sein - so dass es nicht zu groß wird, aber alles Notwendige vorhanden ist?
Man kann nie alles Notwendige haben. Physik, Biologie etc. müssen unbedingt sein, nicht nur Physik oder nur Biologie. Was die Unterfächer betrifft, ist der Blickwinkel ein anderer. Die moderne Wissenschaft verlangt einerseits hohe Spezialisierung, andrerseits hängt alles von vielen verschiedenen Wissensgebieten ab. Das braucht Wissenschafter, die gleichzeitig Universalgelehrte wie Leonardo da Vinci und hochspezialisierte Experten sind. De facto ist das natürlich ein wenig anders: Man braucht Mediziner, die sich auch mit der Lasertechnik auskennen - aber sie müssen nicht gleichzeitig alle Teilgebiete der Medizin oder die über den Laser hinausgehende Physik beherrschen.
Jetzt kommt also alles auf die Auswahl der Fächer an?
Es kommt darauf an, die Wissenschafter zu finden. Wäre es nicht wunderbar, wenn wir einen Wissenschafter hätten, der das Zentralnervensystem erforscht und ein Mittel gegen die Parkinsonkrankheit entwickelt? Aber wenn man einen solchen Experten nicht hat, verzichtet man besser darauf. Denn für einen mittelmäßigen Forscher, der etwas tut, was man an 500 anderen Orten der Welt auch macht, braucht man kein Spitzenforschungsinstitut.
Sind solche außergewöhnlichen Forscher verfügbar?
Man sagt mir: Beginnen wir mit Österreichern. Wenn man alle Österreicher nimmt, die im Ausland arbeiten, dann ist eine enorme Anzahl von Spitzenforschern darunter. Sie werden natürlich nicht alle herkommen. Wenn man aber fünf oder zehn Gruppenführer rekrutieren kann, dann ist das ein guter Anfang.
Die Forschungsinhalte sollen sich durch die verfügbaren Forscherpersönlichkeiten ergeben?
Ja, das ist meine persönliche Ansicht. Und auch die der anderen internationalen Wissenschafter.
Und die Politiker werden sich dem beugen?
Die Politiker sagen, dass sie sich dem beugen werden. Sie sagen aber nicht, dass sie das auch tun werden, von dem sie jetzt sagen, dass sie es tun würden. Wie ein israelischer Premierminister einmal gesagt hat: Ja, ich habe das versprochen, aber ich habe nicht versprochen, mein Versprechen zu halten.
Wann soll denn das ISTA konkret die Arbeit aufnehmen?
Das ist zu schwer zu sagen. Ich weiß jetzt über die österreichische Politik weit mehr, als ich je wissen wollte. Nationale Politik, Land gegen Bund, Wien gegen Niederösterreich, Universitäten - das ist sehr kompliziert. Nicht so kompliziert wie in Israel, aber doch ziemlich. Realistisch gesehen, wird es ein Jahr dauern, bis das ISTA die ersten Forscher anstellt und ein weiteres, bis sie ihre Arbeit aufnehmen können. Das ist optimistisch geschätzt - optimistisch-realistisch.
"Elite" war in der österreichischen Bildungsdebatte ja schon nachgerade ein unanständiges Wort -
Nicht nur in der österreichischen.
Das wirkt sich aufs Bildungssystem aus. Kann ein Elite-Institut derart abgekapselt in unserer Bildungslandschaft existieren?
An sich hasse ich ja das Wort Elite, auch wenn ich es vorher selbst benützt habe. Ich würde es gerne zurücknehmen. Ich habe auch Einspruch erhoben, als mir mein guter Freund Anton Zeilinger von seiner Idee erzählt hat, die Begriffe Elite und Exzellenz zu verwenden, und zwar deshalb, weil dadurch alles andere abgewertet wird. Die Elite muss die anderen hinaufziehen. Das Weizmann-Institut ist wie eine Insel im Land, das spürt man gleich, wenn man den Campus betritt. Es ist sauber, schön, voll Blumen, eine angenehme Atmosphäre - wie in einem Paradies. Wir spüren das und sind deshalb besessen von dem Gedanken, der Gemeinschaft etwas dafür zurückzugeben. Nicht, um das "Stigma der Elite" loszuwerden oder um die Wände des Elfenbeinturms niederzureißen. Wir fühlen uns alle tief verpflichtet, etwas für das ganze Land zu leisten. Wir entwerfen Programme für die naturwissenschaftliche Ausbildung in den Schulen, wir bilden Lehrer für neue Lehrpläne aus. Wir bringen zehntausende Kinder zu uns für wissenschaftsbezogene Aktivitäten, halten tausende Lehrerkurse und öffentliche Vorlesungen, Kurse für junge und für ältere Menschen. Wir haben seit 30 Jahren ein einzigartiges System: 32.000 israelische Studenten bekommen Stipendien, die einen Teil der Studiengebühren decken, damit sie als Mentoren oder "große Brüder" für Kinder mit schwachem sozio-ökonomischen Hintergrund arbeiten.
In Österreich wird viel von einer Krise des Bildungssystem gesprochen. Kann es besser werden, wenn die Spitze der Bildungspyramide dazu etwas beiträgt?
Ja. Einer der großen Fehler in der Bildungspolitik ist die Frage: In wen sollen wir mehr investieren - in die Masse oder in die kleine Gruppe der Talentierten? Die Antwort muss sein: in beide. Wenn jemand in der Früh aufwacht, fragt er sich auch nicht: Kaufe ich mir ein Haus oder ein Stück Schokolade? Man darf so eine Frage gar nicht stellen. Die beiden Dinge widersprechen einander nicht. Es gibt kein Entweder-Oder.
Glauben Sie, dass das Spitzenforschungsinstitut automatisch das Niveau unserer Universitäten beeinflussen wird?
Ja, die Universitäten werden, wenn es ein Erfolg wird, in einen Wettbewerb mit ihm eintreten müssen. Sie werden, wenn sie gute Professoren wollen, ihnen mehr bieten müssen - nicht nur Geld, sondern auch Laborausstattung, Raum, Techniker. Das Weizmann-Institut hat indirekt höhere Universitätsstandards in Israel diktiert. Das ist genauso wie in der Musik. Die Staatsoper hebt den Standard anderer österreichischer Opernhäuser.
Man sagt, dass unsere Massenuniversität das Niveau drückt. Braucht es Zugangsbeschränkungen zur Universität?
Entschieden: ja. Aber wenn man vorschreibt, dass alle Universitäten auf dem gleichen Niveau sein müssen, dann schafft man ein Problem. Dann müssen alle die gleichen Anforderungen an Studienanfänger stellen und schließen so einen Teil der Bevölkerung vom Studium aus, obwohl er Hochschulreife hätte. Wenn man ein System mit besseren und weniger guten Unis hat, kann man unterschiedliche Standards anwenden. So ist es in den USA: Wer nicht gut genug ist, um nach Harvard zu gehen, geht an die Michigan State Universität, die auch eine gute Uni ist.
Und wie stehen Sie zu Studiengebühren?
Ich glaube, dass es eine antiegalitäre Politik ist, keine Studiengebühren zu haben. Wenn das Studium gratis ist, subventioniert man die Möglichkeit, auf Kosten der Allgemeinheit in Zukunft ein überdurchschnittliches Einkommen zu haben. Meine Idee wäre eine Studiengebühr von 2000 Euro im Jahr. Nach vier, fünf Jahren Studium müsste es teurer werden, oder dann, wenn man ein bestimmtes Alter, 30 oder 35, überschritten hat. Sollte der Student jede Woche einige Stunden sozialen Dienst leisten, erhält er die Hälfte der Studiengebühren zurück. So machen wir das in Israel. Auf diese Weise könnten die Universitäten Besseres leisten, die Studentenschaft wäre befreit von Leuten, die nicht an die Universität gehören. Für mich ist das ein Zugang, der links von der Mitte angesiedelt ist, auch wenn mir klar ist, dass hierzulande die Diskussion in den Parteien anders läuft.
Diese ideologischen Debatten haben die Massenuniversität erzeugt.
Die Universität war früher war ein Ort, wo ein paar ernsthaft Studierende ihre gewählte Disziplin verfolgten, um Forscher und Denker zu werden. Und die Lehrer waren wirklich intellektuelle Giganten. Wegen der großen Zahl an Studenten sind heutzutage weder sie noch die Professoren das, was sie einmal waren. Das ist gut, weil es zeigt, dass die höhere Bildung in Schichten eingedrungen ist, die früher nicht einmal davon träumen konnten. Es ist aber auch schlecht, weil die oberen zwei Prozent etwas verloren haben. Was wir vor 50 oder 100 Jahren hatten, war die Spitze eines Eisbergs. Wir haben es versäumt, den dazugehörenden Eisberg zu schaffen, und haben statt dessen einen Eislaufplatz gebaut.
Wir sprechen hier über Spitzenforschung, während der Nahe Osten wieder brennt.
Das einzige, was ich dazu sagen möchte: Schauen wir die Welt mit ihren sechs Milliarden Menschen an! Eine Milliarde lebt in Ländern, die an der Wissensrevolution teilhaben. Rund eine weitere - in den großen Städten Chinas, Koreas, Osteuropas - versucht, ebenfalls daran teilzuhaben. Aber vier Milliarden haben nicht einmal eine Ahnung davon. Das betrifft die gesamte muslimische Welt, Afrika, den Großteil von Südamerika, die ländlichen Gebiete von China und Indien. Länder wie Österreich, Israel, die USA und die westeuropäischen Staaten geben täglich 15 bis 20 Euro pro Kind für Bildung aus. Trotzdem sagen wir, unsere Universitäten sind mittelmäßig und unsere Schulen nicht gut. Aber vier Milliarden Menschen geben nur 50 Cent pro Kind und Tag für Bildung aus.
Wäre Bildung auch unsere Chance gegen den islamischen Fundamentalismus?
Ich will nicht die Probleme des Terrorismus oder der islamischen Welt im Allgemeinen diskutieren. Aber auf lange Sicht gesehen, ist die einzige Lösung: Bildung. Die Wissensrevolution zu den anderen vier Milliarden bringen. Der Bildungsmangel ist der Dünger, auf dem alles gedeiht - von Aids bis zum Terror. Er verursacht das alles zwar nicht, aber ist ein sehr fruchtbarer Boden dafür. Manchmal glaube ich, dass ich verrückt sein muss, angesichts der täglichen Schrecken über Bildung zu sprechen, die doch erst in 40, 50 Jahren Früchte trägt. Wenn es aber so lange dauert, dann ist das Grund genug, sofort damit zu beginnen, nicht erst morgen.
Haim Harari, geboren 1940 in Jerusalem, Physik-Studium an der Hebrew University in Jerusalem, 1965 Promotion.
1967 jüngster jemals berufener Professor (für Hochenergiephysik) am Weizmann-Institut, wo er erfolgreich auf dem Gebiet der Teilchenphysik arbeitete. Von 1988 bis 2001 war Harari Präsident des Weizmann-Instituts.
Das Weizmann-Institut, gegründet 1934, ist Israels Zentrum für außeruniversitäre Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften. Es umfasst 18 Forschungsabteilungen in fünf Fakultäten, die auf einem zentralen Campus in Rehovot bei Tel Aviv in rund 50 Institutsgebäuden vereinigt sind. Seit 1959 unterhält es eine eigene Firma, die die Vermarktung des geistigen Eigentums des Instituts betreibt. Bei Hararis Antritt als Präsident lukrierte die Firma rund eine Million Dollar an Tantiemen, am Ende seiner Amtszeit waren es 70, derzeit sind es schon über 100 Millionen Dollar jährlich. Auch diese Vermarktungsfirma gilt als Vorbild für die Konzeption des ISTA.
Als Vorsitzender des Komitees, das die vom israelischen Parlament global für Hochschulen bewilligten Mittel verteilt, nahm Harari lange Zeit Einfluss auf Entwicklungen in der Wissenschaftslandschaft Israels.
Harari ist auch Vorsitzender des Davidson Institute for Science Education.
Buchveröffentlichung (2005): "A View from the Eye of the Storm: Terror and Reason in the Middle East".
Harari wurde 2006 zum Leiter des Internationalen Komitees zur Umsetzung des ISTA, des "Institute of Science and Technology, Austria" in Gugging bestellt, seit Juni dieses Jahres ist er Mitglied des Boards of Trustees des ISTA; er empfiehlt die Suche nach einem anderen Namen , da diese Abkürzung allein angesichts der unzähligen Einträge in der Suchmaschine Google zu Verwechslungen führen könnte. Er selbst speichert seine Dokumente in einem Ordner "SNOW" als Abkürzung für "Science Niederösterreich Wien".