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Haitis vergessene Diktatur-Opfer

Von Silvia Ayuso

Politik

"Um Munition zu sparen, ließen sie uns verhungern." | An die 40.000 Haitianer ermordet. | Port-au-Prince. (dpa) Robert Duval durchfährt noch immer ein Schauder, wenn er an Fort Dimanche denkt. Während fast drei Jahrzehnten der Duvalier-Diktatur in Haiti war die Festung in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince ein gefürchtetes Gefängnis für politische Gefangene und ein Symbol der Diktatur.


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Duval weiß das nur zu gut, ist er doch selber acht Monate zwischen 1976 und 1977 in einer der nur drei mal vier Meter großen Zellen gesessen, in denen sich 40 Gefangene drängten - "wenn nicht einer starb", wie Duval bei einem Gang durch die Überreste seiner Zelle erzählt. "Und es starben viele", hebt er hervor.

Duval ist eines der Opfer der Diktatur, die nach der Rückkehr von Jean-Claude Duvalier am 16. Jänner nach dessen 25-jährigem Exil jetzt Strafanzeige wegen Menschenrechtsverletzungen gegen den Ex-Diktator erstattet hat. "Ich bat darum, dass sie Duvalier und das haitianische Heer verurteilen, denn sie haben mich eingesperrt, gefoltert und beinahe getötet. Viele andere wurden ermordet", erläutert er. Allein in der Zeit, die er selbst in dem als "Lenfers des hommes" (Die Hölle der Menschen) berüchtigten Gefängnis saß, habe man 180 Tote gezählt.

Einige seien totgeprügelt worden, aber die Mehrzahl starb einfach an "Unterernährung", erzählt er. "Sie gaben uns ein Stück Brot am Morgen, mittags dann eine Schale mit heißem Mais, den wir zum Auskühlen auf den Boden schütten mussten, und dieselbe Schüssel füllten sie uns mit Wasser, das wir schnell tranken, weil die Schüssel dann an die nächste Zelle ging. Und abends vier Löffel Reis oder Mais. Alles in allem 300 Kalorien am Tag", erzählt Duval.

"Unter solchen Bedingungen hält man nicht lange durch. Da sie nicht schießen oder Kugeln verbrauchen wollten, ließen sie dich so sterben", sagt Duval, ein gut 1,80 großer Mann, der als Gefangener in Fort Dimanche im Alter von 22 Jahren nur 40 Kilo wog. Duval kam dank einer Amnestie frei, die US-Präsident Jimmy Carter ausgehandelt hatte. Er stand auf einer Liste mit 13 Namen. "Ich bin einer der drei Überlebenden. Alle anderen waren schon tot", sagt er. Insgesamt wurden unter der Duvalier-Diktatur (1957 bis 1986) bis zu 50.000 Oppositionelle ermordet.

Auf die Frage, was er fühlte, als er von "Baby Docs" Rückkehr nach Haiti erfuhr, antwortet Duval: "Ekel. Ich fühlte mich, als ob sie mich erstickten. Das war ein harter psychologischer Schlag, dass der so was machen kann, das ist einfach obszön", erzählt der freundliche Mann, den man in Port-au-Prince vor allem wegen seines Fußballprojekts für Kinder im Slum Cité Soleil kennt.

In einem Land, in dem fast die Hälfte der Bevölkerung erst nach der Flucht von "Baby Doc" 1986 geboren wurde, ist Fort Dimanche kein Bezugspunkt mehr für Terror und Unterdrückung der Duvalier-Ära. Von dem gefürchteten Gefängnis ist nicht mehr sehr viel erhalten. In den vergangenen Jahren entstand dort ein Slum. Barfüßige Kinder spielen auf dem Gelände mit Plastik- und Holzstücken, unter den Blicken ihrer Eltern, von denen die meisten die Ära Duvalier auch nicht mehr erlebten.

Kaum einer kennt die Bedeutung von Fort Dimanche, und sie schauen ungläubig, wenn man ihnen erzählt, dass es während der Diktatur ein Gefängnis war. Manche glauben, man beziehe sich auf eine Polizeiwache mit dem gleichen fürchterlichen Namen in einem anderen Teil von Port-au-Prince. "Ein Manöver, um das die Erinnerung zu löschen", sagt Duval.

Aber er erkennt auch, dass seine Generation, die das Duvalier-Regime durchlitten hat, wahrscheinlich ihrer Aufgabe nicht gerecht wurde, die Erinnerung an diese Epoche wach zu halten. "Wir Opfer haben nicht genügend Zeit darauf verwendet, die junge generation zu unterrichten, denn wir waren zu sehr mit unserem Kampf um demokratische Freiräume", sagt er selbstkritisch.