Österreich behauptet, eine herausragende Kulturnation zu sein. Unser Umgang mit der jüngste Krise in Afrika beweist das Gegenteil.
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Allein in den vergangenen paar Wochen sind rund 1500 Menschen beim Versuch, aus Nordafrika nach Europa zu flüchten, ertrunken. Doch in Österreichs Öffentlichkeit wird dieses Sterben eher als Marginalie betrachtet. Auf eine Bitte des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), Flüchtlinge aus Libyen und anderen Staaten aufzunehmen, hat Wien (so wie Berlin) nicht einmal geantwortet, berichtet das UNHCR.
1500 Opfer - das entspricht etwa der Hälfte der bei den 9/11-Anschlägen in New York getöteten Menschen; das sind 50 Mal so viele Todesopfer wie durch EHEC oder etwa 500 Mal so viele Tote wie bisher durch die Fukushima-Havarie.
Während die - weit entfernten - USA, Norwegen oder Schweden Flüchtlinge aus der Krisenzone aufnehmen wollen und sogar die Pleite-Portugiesen ein symbolisches Kontingent anbieten, zeigt sich Österreich hartleibig und schmallippig; das Boot ist angeblich wieder einmal voll.
Das löst Brechreiz aus. Natürlich kann Europa, kann Österreich nicht ein Einwanderungsland für schlecht oder gar nicht ausgebildete afrikanische Wirtschaftsflüchtlinge sein. Natürlich braucht Österreich eine Einwanderungspolitik, die sich primär am nationalen Interesse orientiert. Und natürlich können die demokratischen (hoffentlich) Revolutionen in Tunesien und Ägypten kein Asylgrund hierzulande sein.
Aber in Libyen herrscht Krieg, und zwar ein eher grausamer Krieg. Ein paar hundert Flüchtlingen, die dem zu entkommen suchen, auch ohne juristische Verpflichtung und zeitlich befristet Asyl zu gewähren, sollte eigentlich nicht die Republik in ihren Grundfesten erschüttern und die autochthone Bevölkerung in eine Hungerkrise stürzen. Wenn es sich Österreich leisten konnte, dem libyschen Diktator und langjährigen geschätzten Geschäftspartner Muammar Gaddafi von einer Musikkapelle des Bundesheeres ein Ständchen darbringen zu lassen, dann dürfte sich die Republik auch das Durchfüttern von ein paar hundert Opfern dieses Freundes der Republik gerade noch leisten können.
Ein ziemlich übler Verdacht drängt sich da auf: Wenn sich in Nordafrika herumspricht, dass innert weniger Wochen so viele gestorben sind, dann könnte das ja weitere potenzielle Flüchtlinge davon abhalten, die gefährliche Flucht zu wagen. Und wenn sich im Inland herumspricht, wie schmallippig die Regierung Asyl verweigert, könnte das ja ein paar Wähler davon abhalten, zur FPÖ zu flüchten. Die im Mittelmeer Ertrunkenen müssen sich diesfalls halt als Kollateralschaden einer unkonventionellen Form politischer Kommunikation verstehen; Pech gehabt sozusagen.
Natürlich wäre es klug, löste die EU dieses Problem, indem die Flüchtlinge - das UNHCR spricht von mickrigen 6000 - über ganz Europa verteilte. Aber als Ausrede taugt die EU diesmal nicht. Niemand, auch Brüssel nicht, hindert die Wiener Regierung, in eigener Verantwortung anständig zu handeln.
Österreich ist bekanntlich stolz darauf, eine große Kulturnation zu sein und präsentiert sich der ganzen Welt als Großmacht des Feingeistigen. Doch wer ungerührt zusieht, wie 1500 Menschen auf der Flucht ersaufen, ohne zu helfen, ist keine Kulturnation. Indem wir das der ganzen Welt zeigen, erweisen wir nicht nur den Opfern dieser Kulturlosigkeit, sondern auch uns selbst einen denkbar schlechten Dienst.