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Polen feiert das Jubiläum des Urnengangs von 1989, der zum Triumphzug für die Gewerkschaftsbewegung "Solidarnosc" wurde.
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Warschau. "Überraschung" hieß das Lokal auf dem Platz der Verfassung. Dort, unweit des Kulturpalastes im Zentrum Warschaus, richtete das Bürgerkomitee der Gewerkschaftsbewegung "Solidarnosc" seine Wahlkampfzentrale ein. Die Kampagne war kurz und improvisiert; die Organisation war erst seit ein paar Wochen legalisiert. Das sowie der Urnengang, auf den sich die Oppositionellen vorbereiteten, ist durch die Verhandlungen am Runden Tisch kurz zuvor ermöglicht worden.
Die Gespräche zwischen den schon geschwächten sozialistischen Machthabern und den Vertretern von "Solidarnosc" sowie anderen Gruppierungen, die jahrelang im Untergrund arbeiten mussten, führten zu den ersten halbfreien Wahlen in Polen. Das Votum war für den 4. Juni 1989 angesetzt. Nur teilweise frei war es deswegen, weil im Sejm, im polnischen Parlament, zwei Drittel der Sitze für die Vereinigte Arbeiterpartei (PZPR) und deren Partner reserviert bleiben sollten. Der Rest, aber auch die Mandate in der zweiten Kammer, dem Senat, sollten dem Votum der Bürger entsprechend besetzt werden.
Dass die Oppositionellen dabei einen überwältigenden Sieg erringen konnten, war dann zwar doch keine Überraschung. Allerdings hatten umgekehrt die Machthaber mit solch einer Niederlage nicht gerechnet. Im Senat erlangten sie keinen einzigen Sitz, und von den 161 frei zu vergebenden Mandaten im Sejm konnte die "Solidarnosc" 160 für sich verbuchen.
So hatte es General Wojciech Jaruzelski, damals Erster Sekretär der PZPR, freilich nicht geplant. Er hatte den Wahlen zugestimmt, jedoch die Opposition als zu fragil eingeschätzt, als dass seine Partei nicht weiter mitregieren konnte. Doch nach dem Urnengang blieben ihm nur noch wenige Monate als - mit knapper Mehrheit vom Parlament gewählter - Staatspräsident Polens. Sein Nachfolger wurde Gewerkschaftsführer Lech Walesa; Tadeusz Mazowiecki hatte da bereits die erste nicht-kommunistische Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg gebildet. Im Herbst 1991 kam es dann zu den ersten freien Parlamentswahlen.
Aber es ist das Votum vom 4. Juni 1989, an das in Polen am heutigen Mittwoch feierlich erinnert wird. Staats- und Regierungschefs aus mehreren Dutzend Ländern nehmen daran teil, unter anderem US-Präsident Barack Obama. Viele Polen vergleichen das Ereignis gern mit dem Fall der Berliner Mauer - um gleichzeitig zu betonen, dass die Geschehnisse in ihrem Land früher stattgefunden haben und damit der wesentliche Auslöser für den Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Osteuropa waren.
Kontroversen bis heute
Allerdings stammen aus dieser Zeit auch Spannungen, die sich in der polnischen Politik bis heute auswirken. Die Debatten kreisen um mögliche ökonomische Fehler auf dem Weg zum Kapitalismus, um Bruchlinien innerhalb der Opposition und auch um die Bewertung von Entscheidungen. Jaruzelskis Tod vor eineinhalb Wochen und die Beisetzung mit militärischen Ehren haben die Diskussion zusätzlich angeheizt. Der General hatte 1981 das Kriegsrecht verhängt, es aber bis zu seinem Lebensende als "geringeres Übel" vor dem Hintergrund einer angeblich möglichen Intervention der Sowjetunion verteidigt.
Die Vereinbarungen am Runden Tisch selbst sorgten ebenfalls für Kontroversen, die sich Jahre später in Zwistigkeiten zwischen der nun regierenden Bürgerplattform (PO) und der von den Zwillingsbrüdern Jaroslaw und Lech Kaczynski gegründeten Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zeigten. Die Wege dieser Gruppen, die beide aus dem Solidarnosc-Lager stammen, haben sich da schon längst getrennt. PiS konzentrierte sich eine Zeit lang auf die Abrechnung mit Mitarbeitern des früheren Regimes, vor allem der Geheimdienste, was in einigen Fällen zu haltlosen Beschuldigungen führte. Am Runden Tisch war zuvor eine Art dicker Strich vereinbart worden, der zunächst einmal unter die Vergangenheit gesetzt werden sollte, um die künftige Entwicklung nicht zusätzlich zu belasten. Ob dies richtig war, ist ebenfalls bis heute Gegenstand von Debatten.