Genau genommen wäre es zwar erst am morgigen Mittwoch soweit, der Halbzeittermin für das Kabinett Schüssel II, doch die Bundesregierung versammelte sich schon gestern zu einer halbtägigen Klausur in der Wiener Hofburg, um zufriedene Bilanz über die eigenen Leistungen zu ziehen und einen Ausblick auf anstehende Vorhaben zu skizzieren. Ganz und gar nicht angetan von der Regierungsbilanz zeigte sich die SPÖ.
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"Wir habe eine Halbzeitbilanz, die nicht schlecht aussieht", zeigte sich Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mit dem bisher Geleisteten zufrieden. Von 150 im Regierungsprogramm festgelegten Punkten seien bisher nur 30 noch nicht angegangen worden. Dem pflichtete auch Vizekanzler Hubert Gorbach bei: "Wir können mit Stolz behaupten, dass Österreich mit sehr viel Schwung regiert wird."
Selbstkritische Töne gab es zum Thema regierungsinterne Koordination: Mitunter hätten er und Gorbach bei den Pressefoyers nach dem Ministerrat über heikle Themen hinwegschwindeln müssen, weil in einer Woche zu viele sensible Fragen auf einmal zusammen gekommen seien, meinte Schüssel. Bei der Koordination der Regierungsarbeit gebe es daher noch Optimierungsbedarf. Dem konnte auch Gorbach nur zustimmen, wenn er meinte, die Hardware funktioniere hervorragend, die Software müsse man aber noch besser verkaufen.
Ein Schwerpunkt im kommenden Jahr wird laut Gorbach die Reform des Führerscheinwesens sein. Der Führerschein soll künftig Scheckkarten-Format haben. Zudem solle das Erstellungsverfahren vereinfacht werden, indem es nur mehr eine Anlaufstelle, die Fahrschule, geben wird. Auf diese Weise soll Bürokratie abgebaut und damit der Erwerb der Fahrberechtigung billiger werden.
In der umstrittenen Frage von Postämter-Schließungen machte Gorbach deutlich, dass er sich eine "gescheite Lösung" erwarte. Zwar wolle er nicht den Post-Vorständen Vorschriften machen, doch sollten Kostensenkungen nicht rein über Filialschließungen im ländlichen Raum erfolgen. Vorstellbar ist für ihn etwa, dass zwei Kleingemeinden von einem Post-Beamten, der vormittags in der einen und nachmittags in der anderen Zweigstelle seine Dienst versehe, betreut werden. Zudem sprach sich der Minister dafür aus, weitere Partnerschaften mit der Wirtschaft vor Ort, etwa Greißlern, einzugehen. Der Universaldienst, der eine ausreichende Versorgung des ländlichen Raums garantiert, müsse jedenfalls beibehalten werden.
Im Sozialbereich will sich die Regierung künftig besonders auch um gefährdete männliche Jugendliche mit Lernproblemen kümmern: Diese seien, so Schüssel, besonders gefährdet.
Präsentiert wurde bei der Klausur auch eine Broschüre: Unter dem Motto "Österreich im Aufschwung" werden auf 31 Seiten die bisherigen Projekte der Minister und Staatssekretäre dargestellt.
Nicht anwesend waren bei der Klausur Außenministerin Ursula Plassnik und Verteidigungsminister Günther Platter, die in Brüssel weilten. FP-Klubchef Herbert Scheibner ließ sich vertreten.
Ganz anders stellt sich aus der Perspektive der SPÖ die Halbzeitbilanz der Bundesregierung dar: Die Arbeitslosenzahlen erreichten fast monatlich neue Höchstwerte, das Wirtschaftswachstum bleibe hinter dem EU-Schnitt zurück, die Pensionen würden gekürzt, Kranksein werde teurer, und anstelle eines Nulldefizits gebe es eine Rekordverschuldung des Staates, erklärte Klubobmann Josef Cap via Aussendung. Zugleich setze die Regierung ihre "Politik der Machtergreifung unter dem Deckmantel angeblicher Reformen" fort.