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Hälfte des Krankengeldes entfällt auf Arbeitslose

Von Jan Michael Marchart und Clemens Neuhold

Der Vorstand der Sozialversicherungsträger, Peter McDonald, über Arztproteste, Sozialmissbrauch und Kostenbremsen.


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"Wiener Zeitung": In den Spitälern kommt es zu langen Wartezeiten bei Operationen, Ambulanzen gehen über, die Ärzte gehen auf die Straße. Steckt das Gesundheitswesen in seiner größten Krise?

Peter McDonald: Ich verwehre mich gegen die Behauptung, das Gesundheitswesen müsse gerettet werden. Das wird bewusst hochgespielt. Die Ärztekammer führt Verhandlungen und verunsichert die Menschen mit Szenarien, die nicht der Realität entsprechen.

Aber die Verunsicherung rührt auch daher, dass Jungärzte ins Ausland gehen und die Ärzte, die hier sind, demonstrieren.

In diesem Land braucht sich niemand Sorgen machen, medizinisch nicht entsprechend versorgt zu werden. Alle Österreicher sind sozial abgesichert - nicht selbstverständlich im Vergleich mit anderen EU-Ländern. Linz hat die höchste Spitalsdichte Europas, Österreich die höchste Ärztedichte weltweit.

Nun soll die Leistung der Spitäler auf Hausärzte ausgelagert werden. Diese wollen dafür aber mehr Geld.

Hinter der Forderung nach mehr Geld stecken vorrangig standes- und keine gesundheitspolitischen Motive. Die Entlastung der Spitäler ist ja genau die Idee hinter der laufenden Gesundheitsreform. Die Länder und die Sozialversicherung müssen die Spitalsentlastung gemeinsam finanzieren und das, was wir uns vorgenommen haben, umsetzen.

Sie haben es mit Ihrem Anreiz-Modell für Selbständige - gesünder leben, weniger Selbstbehalt zahlen - ins neue ÖVP-Programm geschafft. Dort werden Selbstbehalte für alle angeregt. Was sagen Sie dazu?

Ich finde es gut, dass eine Regierungspartei den Grundsatz der Selbstverantwortung und der Eigenvorsorge aufgenommen hat. In der Sozialversicherung der Selbstständigen sind Einkommensschwache und chronisch Kranke ohnehin vom Selbstbehalt befreit. Ich habe eingeführt, dass kein Selbständiger mehr als fünf Prozent seines Einkommens für Selbstbehalte ausgibt und belohnt wird, wenn man mit dem Arzt gemeinsam auf seine Gesundheit schaut, unabhängig davon, ob man gesund oder krank ist. Dieses Modell haben bereits über 50.000 Selbständige erfolgreich absolviert. Im Programmprozess der ÖVP wird diskutiert, ob dieses Modell für sie mehrheitsfähig ist. Von der SPÖ-Seite wird Ablehnung signalisiert. Daraus lässt sich ableiten, dass es sich um ein mittel- und nicht um einen kurzfristigen Ansatz handelt.

Auch Unselbständige zahlen bereits Selbstbehalte.

In der Sozialversicherung gibt es einige Selbstbehalte. Von der Rezeptgebühr angefangen, bis zur Gebühr für die E-Card. Im OECD-Schnitt liegen wir damit im Mittelfeld und beziehen 17 Prozent unserer Einnahmen daraus. Die Diskussion betrifft jetzt aber einen Selbstbehalt beim Arztbesuch. Österreich landet bei dieser Diskussion stets in den ideologischen Schützengräben, die Diskussion kann nur ganz schwer sachlich geführt werden.

Bei der Steuerreform stand auch die Betrugsbekämpfung im Fokus, das betrifft auch Ihr Haus.

Der Verhinderung von Sozialmissbrauch widmen wir uns in der Sozialversicherung seit jeher. Die ehrlichen Beitragszahler sollen nicht draufzahlen, weil sich Einzelne aus der Verantwortung stehlen können.

Wird man in Österreich zu leicht krankgeschrieben, wie AMS-Chef Johannes Kopf im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" meinte?

Generalverdächtigungen vermeide ich. Aber ich höre immer wieder von Fällen, wo Ärzte sagen, wenn sie die Person nicht krankgeschrieben hätten, wäre diese zu einem anderen Arzt gegangen. Vertrauen ist gut, stichprobenartige Kontrolle ist besser. Wir wollen Ärzte unterstützen, sich dem Druck Einzelner nicht beugen zu müssen. Wir haben in den letzten Jahren eine stark steigende Entwicklung beim Krankengeld. Plus 7,6 Prozent waren es im Jahr 2014. Fast die Hälfte des Geldes entfällt auf Arbeitslose. Wir ziehen die Schnittstelle zwischen Sozialversicherung und Arbeitslosigkeit einer Analyse unter. Trotzdem muss gesagt werden, dass auch bei 40 Millionen Krankenstandstagen nur wenige davon Missbrauchsfälle sind.

Die Wiener Gebietskrankenkasse kontrolliert mit Testpatienten. Kommt das in ganz Österreich?

Es ist anzunehmen, dass es im Zuge der Steuerreform Gesetzesvorschläge dazu gibt. Wir müssen aber aufpassen, nicht zu weit in eine Verbots- und Misstrauensgesellschaft abzugleiten. Es geht weniger um das Volumen der Missbrauchsfälle, sondern um das Signal dahinter, dass es sich hier um geldwerte Leistungen handelt, die Dritte begleichen müssen.

Die Kostenbremse Ihres Vorgängers und heutigen Finanzministers Hans Jörg Schelling, wird oft zitiert und ist Role-Model für die Verwaltungsreform. Hat Ihr Vorgänger gesunde Kassen hinterlassen?

2007 sind einzelne Gebietskrankenkassen mit dem Rücken zur Wand gestanden, in Wien war die Zahlungsfähigkeit für die Leistungen der Versicherten bedroht. Die Sozialversicherungen haben mit der Regierung damals vereinbart, dass die Kassen entschuldet werden, wenn die Kostenentwicklung so eingebremst wird, dass mittelfristig nicht mehr Geld ausgeben wird als eingenommen.

Kann man wirklich von einer Kostenersparnis sprechen, wenn der Steuerzahler einspringt?

Es war eine Mischform. Die Regierung hat uns unterstützt, während wir in den Jahren zuvor ausgenommen wurden. Umgekehrt haben wir uns verpflichtet, nicht mehr auszugeben, als wir einnehmen - herausfordernd, bei steigendem medizinischen Fortschritt und bekannter demographischer Entwicklung. Wir haben drei große Kostenblöcke: Ein Drittel der Beitragseinnahmen fließt in Spitäler, ein weiteres Drittel in verhandelte Tarife mit Medizinern und Gesundheitsdienstleistern, wo wir in manchen Gruppen stark bremsen konnten, ohne auf Leistungen verzichten zu müssen. Im Gegensatz zu heute war der medizinische Fortschritt in den letzten Jahren im Pharmabereich - der dritte Block - eher flau, umso wichtiger war unsere Einigung mit der Pharmawirtschaft auf Rabatte bei Arzneikosten.

Es ist ein guter Weg des Finanzministers, eine Kostenbremse im Verwaltungsbereich einzuführen. Das kann aber nur ein erster Schritt sein. Wir brauchen auch eine umfassende Diskussion über eine Aufgabenreform für Bund, Länder und Gemeinden, um besser arbeiten zu können. Der Reformeifer der Regierung darf jetzt bloß nicht verebben.