Steigende Medikamentenkosten, hohe Arbeitslosigkeit und schwache Konjunktur belasten die Krankenkassen.
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Wien. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger sieht Rot für 2015 und 2016. Der Hauptverband rechnet mit einem Defizit von 137 Millionen Euro. Im Vorjahr haben die Kassen noch ein Plus von 88 Millionen Euro geschrieben. Peter McDonald, Vorstand des Hauptverbandes, macht dafür unter anderem die steigenden Medikamentenpreise verantwortlich. Allein im letzten Halbjahr 2014 stiegen die Arzneikosten um acht Prozent und im 1. Quartal dieses Jahres gar um 10 Prozent. Der Anteil der Ausgaben für hochpreisige Medikamente, also jene über 700 Euro, stieg innerhalb weniger Jahre sogar immens an. Die Konsequenz: Laut Finanzstatistiken und Gebarungsvorschauen des Hauptverbandes wird in den nächsten Jahren die Wachstumsrate der Beitragseinnahmen nicht mit jener der Arzneien (siehe Grafik) gleichziehen.
"In den letzten drei, vier Jahren hatten wir den ’Vorteil‘, dass der medizinische Fortschritt und die Kosten flau waren", sagt McDonald. Dieser "Vorteil" ist passé.
Für erhitzte Gemüter sorgt etwa das Hepatitis-C-Medikament Sovaldi. Hierzulande wurde die Krankheit bei 34.000 Patienten diagnostiziert. Die Kassen sprechen mit Einbeziehung einer Dunkelziffer von bis zu 80.000 Betroffenen. Die Heilungschancen von Sovaldi liegen laut Vertreiber Gilead bei 90 Prozent - eine Zahl, die die Kassen bezweifeln. Zudem sollen die Nebenwirkungen für die Patienten geringer sein. McDonald sagt, dass sich die Kosten für die Behandlung eines Patienten mit Sovaldi samt weiterer Kombinationen auf bis zu 87.000 Euro, ja sogar bis zu 150.000 Euro summieren können. "Wir müssen dem Patienten das geben, was er braucht", sagt dazu McDonald. Faktum ist: Bekommt jeder Patient die Therapie, würde das die Kassen finanziell enorm belasten. 63 Millionen haben die Kassen bereits investiert. 3700 Personen haben eine Therapie mit Sovaldi bekommen.
Hauptverband setzt auf Arzneimittel-Kopien
Laut McDonald wurden bereits Gegenmaßnahmen eingeleitet. Derzeit wird der Medikamenteneinsatz optimiert und ein Hepatitis-C-Register eingeführt, um die tatsächliche Wirksamkeit des Medikaments zu beobachten. "Ist sie geringer, muss es eine Refundierung geben", sagt McDonald. Zudem wird Sovaldi nur verschrieben, wenn die Krankheit bereits weit fortgeschritten ist und andere Mittel nicht wirken.
Die Vereinbarung zwischen dem Hauptverband und Gilead über den Erstattungsbeitrag für Sovaldi läuft Ende Juli aus. Bis dahin wird ein neuer Preis verhandelt. Die deutschen Kassen einigten sich erst nach einem halben Jahr mit Gilead auf eine Preisreduktion. Dort kostet eine Pille statt 700 jetzt 488 Euro. In Österreich möchte man ebenfalls eine deutliche Preissenkung erreichen, laufende Verhandlungen will McDonald aber nicht kommentieren. Auch Jan Oliver Huber, als Generalsekretär des Hersteller-Dachverbands Pharmig McDonalds Verhandlungspartner, hält sich bedeckt. Beide wollen eine Verlängerung des Pharma-Rahmenvertrages, in dem die Arznei-Rabatte festgesetzt werden. Im Juli soll eine Einigung her. Huber verweist auf ein neues Hepatitis-C-Medikament von Gilead, Harvoni, das "deutlich billiger" als Sovaldi sein soll. Heilungsquote: 99 Prozent. "Unmöglich", tönt es aus dem Hauptverband. Den hohen Preis für Sovaldi rechtfertigt Huber damit, dass durch effizientere Therapiezeiten Spitalsaufenthalte verkürzt und die Kosten gesenkt würden. Außerdem erspare man bei Heilung den Spitälern hohe Folgekosten. Die Kosten für Entwicklung, Erforschung und Vermarktung neuer Arzneien würden Milliarden verschlingen. Dennoch kostet in Ägypten Sovaldi nur 300 Euro pro Packung. Der Preis hänge vom Reichtum eines Landes ab, sagen die Kassen.
Weniger Beiträge durch hohe Arbeitslosigkeit
Der Hauptverband steht vor harten Entscheidungen: Entweder die Ausgaben drücken oder die Versicherungsbeiträge anheben. McDonald will sich auf Sparen beschränken, indem er weiter auf Generika, also günstigere Arznei-Kopien, und mehr Wettbewerb bei den Herstellern setzt. "Was angesichts des langen Patentschutzes im Hochpreisegment unrealistisch ist", sagt ein hoher Hauptverband-Vertreter hinter vorgehaltener Hand. In Österreich gibt es zudem die Idee, eine EU-Einkaufsgemeinschaft für Medikamente zu bilden. Gesetzliche Höchstpreise halten die Kassen für kontraproduktiv. Dies würde dazu führen, dass manche Präparate in Österreich nicht angeboten werden. Aber die hohen Arznei-Kosten sind nicht das einzige Problem für die Kassen. Hinzu kommt ein wirtschaftliches Nullwachstum, die "besorgniserregende Situation am Arbeitsmarkt", so McDonald. Je weniger Beschäftigte, desto geringer die Beitragseinnahmen der Kassen. Jeder zusätzliche Arbeitslose kostet die Sozialversicherung jährlich rund 1300 Euro. Belastend ist zudem der Anstieg der Teilzeit-Arbeiter sowie Pensionisten und gesamt eine geringe Lohnerhöhung.
Umverteilungs-Schlüsselbei Kassen
Die Prognosen für die nächsten Jahre rutschen aber auch deswegen deutlich ins Minus, weil etwa die Mehrwertsteuer-Refundierung für Arzneien beendet und der Strukturfonds, der 2010 100 Millionen und 2011 bis 2014 jährlich 40 Millionen zuschoss, aufgelöst wurden.
Dennoch gibt es ungehobene Sparpotenziale, ist der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka überzeugt. Dass Patienten automatisch ins Spital und nicht zum Hausarzt gehen, sei teuer. "Das ist Sache der Länder. Hier haben die Kassen kaum Mitspracherecht, auch wenn sie mehr zahlen." Dieser Punkt ist Teil der Gesundheitsreform. Czypionka kritisiert zudem, dass die Kassen nach ihrer Sanierung 2014 sofort neue Leistungen angeboten haben. Stichwort: Gratis-Zahnspange. Die war aber eine Regierungs-Forderung. Die Kosten: 80 Millionen Euro. Neben den Medikamenten gibt es zwei weitere große Kostenstellen: Arztgehälter und die Drittel-Finanzierung der Spitäler. Weil man "Leistungen aus den Spitälern auslagern möchte, braucht es mehr Ärzte und nicht weniger", sagt Czypionka. "Die Spitalsfinanzierung kann nur effizienter und vielleicht über den Finanzausgleich geringer werden", sagt der Experte. Für die Zukunft sieht Czypionka eine Kostenexplosion auf uns zukommen, weil die Babyboomer in Pension gehen und altersbedingt krankheitsanfälliger werden. Ein Hauptverbands-Funktionär, der anonym bleiben will, sagt dazu, dass Österreich "als reiches Land" dadurch nicht in Bedrängnis kommen wird. "Ab 2035 gehen die Pensions-Kosten wieder runter."
Mehr Präventionsarbeit würde die Ausgaben langfristig ebenfalls entlasten, meint der Arzt und Gesundheitsexperte Eiko Meister. Ein Beispiel sei McDonalds Modell für Selbstständige - gesünder leben, weniger Selbstbehalt. Meister: "Psychotherapie kann Arbeitskrankheiten wie Burn-Out vorbeugen und Folgekosten sparen" - "Das wirkt aber nicht von heute auf morgen."
Czypionka fügt an, dass sich auch eine Erhöhung des tatsächlichen Pensionsantrittsalters positiv auf die Kosten der Kassen auswirken würde. "Arbeiten die Leute länger, zahlen sie länger Beiträge", sagt er. Für Pensionisten zahlt schließlich der Bund einen fiktiven Dienstgeberanteil via Pensionsversicherung von 1,5 Milliarden Euro an die Kassen.
Jede Kassa hat unterschiedliche Schlüssel. Hebt man ihn an, fließt mehr Geld an die Kassen. Senkt man ihn, wie in den letzten Jahren, weniger. Leo Chini, Leiter des Forschungsinstitutes für Freie Berufe an der WU Wien, sieht die Möglichkeit, von den reicheren Kassen (z.B Beamte, Bauern, SVA), wo der Schlüssel höher ist, auf die Gebietskrankenkassen umzuverteilen.