Chinesen bauen halb Europa nach - jetzt ist Österreich dran.
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Die "Chinese Minmetals Corporation" beherrscht eine Kunst, die fast alle chinesischen Konzerne auszeichnet: gnadenlos kopieren. Das in Peking ansässige Metall-Unternehmen hat gleich ein ganzes Dorf in allen Einzelheiten nachgeahmt. Und zwar die 800 Einwohner zählende österreichische Gemeinde Hallstatt samt dazu gehörigem, allerdings viel zu klein geratenen See, der 1863 erbauten protestantischen Kirche, Dreifaltigkeitssäule, Geschäften und Restaurants. Das architektonische Klon-Projekt wurde - wenn auch seitenverkehrt - in der Kreisstadt Boluo, wo 800.000 Menschen wohnen, binnen Jahresfrist errichtet und zählt nun zu den kuriosesten Attraktionen der südchinesischen Provinz Guangdong. Am 2. Juni findet im Beisein des Hallstätter Bürgermeisters Alexander Scheutz samt Gattin und Quintett der Salinen-Musikkapelle Hallstatt die offizielle Eröffnung statt.
Die romantische Imitation des von der Unesco als Weltkulturerbe deklarierten idyllischen Tourismus-Orts im Salzkammergut erstreckt sich auf einem Quadratkilometer und hat sechs Milliarden Yuan gekostet, umgerechnet 735 Millionen Euro. Baubeginn war im April vorigen Jahres. Das schrullige Vorhaben hat jedenfalls hüben wie drüben für Erstaunen gesorgt: Als die Hallstätter erstmals vom Plan erfuhren, dass ihre Heimatgemeinde einfach nach China verpflanzt werden solle, schwankten sie zwischen Entrüstung und Begeisterung. Die einen hatten so wenig Verständnis für die ungewöhnliche Vorgangsweise der Chinesen wie die Inhaberin des Hallstätter Hotels "Grüner Baum", Monika Wenger: "Wir waren lange ahnungslos, weil die zwar alle Details bis zu den Fensterläden fotografiert haben, aber niemand mit uns Kontakt aufnahm". Die anderen betrachteten es als Glücksfall, dass die Medien praktisch weltweit über ihre Gemeinde berichteten: "Diese tolle Werbung", freute sich etwa Pamela Binder, Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Dachstein-Salzkammergut, "ist für uns ein wahres Geschenk".
Der internationale Medien-Hype brachte zwar den rot-weiß-roten Tourismus-Hot-spot, der jährlich bis zu 800.000 Gäste empfängt, optimal ins Gespräch - die Begeisterung in China ist allerdings enden wollend. Der Immobilienexperte Xu Kaigin, der die eleganten Ein- und Mehrfamilien-Villen für umgerechnet 250.000 bis 650.000 Euro an betuchte Klientel zu verhökern versucht, tut sich trotz vollmundiger Versprechungen ("So etwas findet man in China kein zweites Mal") ziemlich schwer dabei. Ob sich genügend Käufer finden und "Hashitate", wie Hallstatt auf chinesisch heißt, plangemäß zu einer Touristen-Attraktion ersten Ranges wird, steht noch in den Sternen: "Ein Fake bleibt ein Fake", hielt etwa die englisch-sprachige Zeitung "China Daily" fest.
Goethe im Frack
Das eilige Experiment, eine malerische Touristen-Attraktion aus Europas Alpen detailgetreu in einer chinesischen Gegend nachzubauen, wo lediglich mickrige Berghügel vorhanden sind, war kein Erstversuch: Bereits vor einem Jahrzehnt ließ ein chinesischer Immobilienunternehmer am Stadtrand von Peking das in der Nähe von Paris gelegene Chateau de Maisons-Laffitte nachbauen. Es wird nun als Hotel genutzt und ist Mittelpunkt einer relativ mondänen Villensiedlung, deren Baustil an französische Landhäuser angelehnt ist. Seither wurden diverse bauwerkliche Inspirationen aus Europa in China realisiert, und prompt waren derartige Imitate nach westlichem Vorbild schwer in Mode.
In der 30 Kilometer von Shanghai entfernt gelegenen Autostadt Anting etwa, wo VW seine Santana produziert, steht seit sechs Jahren der naturgetreue Nachbau eines typisch deutschen Stadtteils, der immerhin 20.000 Bewohner beherbergen sollte. Das Frankfurter Architekturbüro Albert Speer & Partner beglückte seine Auftraggeber mit zuckerlfarbigen Wohnblöcken der typischen Bauhaus-Stil-Architektur auf 600 Hektar, ohne auf dazu passende Accessoires wie einen pompösen Brunnen sowie Statuen von Goethe und Schiller im Frack zu vergessen.
Etwa zur selben Zeit wurde in Chengdu ein der englischen Stadt Dorchester nachempfundes Wohnviertel-Plagiat namens "British Town" aus dem Boden gestampft, mit Viktorianischen Gebäuden und sogar einem - enttäuschend klein geratenen - Buckingham-Palast. In der Nähe der Millionen-Metropole Shanghai, in Songjiang, wiederum wurde "Thames Town" errichtet, wo englische Pubs eben so wenig fehlen wie ein Churchill-Denkmal. Glanzpunkt ist ein 66 Meter hoher Kirchenturm, der an die Kathedrale von Bristol erinnert. Mit derartigen Attraktionen wurde den Chinesen, die bekanntlich nicht massenhaft ins Ausland reisen dürfen, sozusagen die Welt ins Haus geliefert. Und den betuchten Bürgern sollte zugleich Lust auf westlichen Lebensstil gemacht werden. Ausgefallene, originell anmutende Immobilien würden sich als ideale Statussymbole betuchter Bürger exzellent eignen, war das Kalkül, weil sie als viel individueller und lebenswerter eingeschätzt werden als die typische Einheitsarchitektur made in China.
Die Inspiration hiefür wurden beispielsweise in europäischen Superstädten wie Barcelona, Venedig oder Amsterdam beschafft und die architektonischen Vorbilder bereits in etlichen Landesteilen im Kleinformat nachgebaut. Das breite Spektrum reicht von diversen Themenparks - so etwa wurde 2007 im Industrierevier Shenzhen ein dem Schweizer Städtchen Interlaken nachempfundener Vergnügungspark eröffnet - über monströse Outlet-Villages wie das 65.000 Quadratmeter umfassende "Florentina Village" in Wuqing, wo es neben Prosecco und Proscuitto bzw. Versace und Valentino Michaelangelos David in Jeans sowie einen Venezianischen Canale samt Gondeln zu sehen gibt, bis hin zu ganzen Stadtteilen wie den vorhin erwähnten.
Geisterstädte ohne Mieter
Die Hallstatt-Kopie könnte sich für den Minenkonzern Minmetals allerdings noch als eine Art Tretmine erweisen: Seine bisherigen Bauprojekte, die er im deutschen, spanischen, britischen und italienischen Stil durchzog, sind nämlich alles andere als überzeugende Erfolgsstorys. Sie liegen ganz auf einer Linie mit ähnlich gearteten Flops: Denn während manche Projekte angesichts des chinesischen Immo-Booms noch mühelos zu verkaufen waren - 85 europäisch angehauchte Villen am künstlichen "Lake Dragon" in Guangzhou haben vor drei Jahren innerhalb von zwei Tagen für insgesamt 160 Millionen Dollar einen Besitzer gefunden - sieht es bei manchen ziemlich mau aus:
Die deutsche Oase Anting etwa hat nicht annähernd das gehalten, was sich die Businessmen versprachen. Erst einer von fünf geplanten Quadratkilometern Fläche ist bebaut, aber bislang hat nur jede fünfte Immobilie einen Käufer gefunden. Auch in "Holland Town", eine Autostunde von Shanghai entfernt, wo neben schmalen Backsteinhäusern sogar eine Windmühle steht, sieht es traurig aus: Nur wenige wollen sich dort eine sündteure Bleibe leisten.
In Hallstatt indes wird die Plagiats-Aktion mittlerweile cool gesehen: Tourismusdirektorin Pamela Binder, die heuer schon 20 Tourismusmanager und jede Menge Journalisten aus China empfangen konnte, rechnet mit 50 Prozent Buchungsplus im laufenden Jahr, wofür nicht zuletzt der wachsende Anteil asiatischer Gäste sorgen soll. Die Marktgemeinde mit 4000 Jahren Vergangenheit lässt an ihrem neuen Selbstbewusstsein keinen Zweifel aufkommen. Auf der Homepage der Salz-Metropole heißt es beispielsweise: "Hallstatt - das Original. Millionenfach fotografiert - einmal kopiert - nie erreicht".