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Hält Amerikas Demokratie?

Von Michael Schmölzer

Politik

Midterm-Elections am 8. November gelten als Nagelprobe. Die Angst, dass die Lage außer Kontrolle gerät, geht um.


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Es sind Szenen, die man aus den USA kennt, wenn sich ein Hurrikan nähert: Überall werden Gebäudewände verstärkt, Fenster verbarrikadiert, Türen vernagelt, Panzerglas wird installiert. Doch das, was am 8. November auf die Amerikaner zukommt, ist keine Naturkatastrophe. Es sind die Midterms, die Zwischenwahlen, bei denen das Repräsentantenhaus neu gewählt, ein Drittel der Senatssitze bestimmt wird und Kandidaten für das Gouverneursamt gegeneinander antreten.

Die Stimmung ist derart aufgeheizt, dass viele bereits vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen warnen. Dass der 82 Jahre alte Ehemann der demokratischen Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi zuletzt in San Francisco überfallen und krankenhausreif geschlagen wurde, gilt als böses Omen. Denn in Wirklichkeit hatten es die Täter auf die Vorsitzende des Repräsentantenhauses selbst abgesehen, die glücklicherweise zum Tatzeitpunkt nicht im gemeinsamen Haus war.

Seit Ex-US-Präsident Donald Trump im Jänner 2021 seine Wahlniederlage gegen Joe Biden nicht anerkannt und seine Anhänger zum Sturm auf das Kapitol angestachelt hat, ist die politisch motivierte Gewaltbereitschaft in den USA groß. Und immer mehr Menschen stellen die Bedeutung demokratischer Wahlen überhaupt in Frage. In den Reihen der Republikaner findet sich ein beträchtlicher Anteil von Kandidaten, die das Wahlergebnis nur dann anerkennen wollen, wenn sie selbst zum Sieger gekürt werden.

Kampf um "Seele Amerikas"

Doch was passiert, sollte das nicht der Fall sein? Niemand kann das zum jetzigen Zeitpunkt vorhersagen, doch ist die Angst groß. Werden Demokratie und Rechtsstaat den vorhersehbaren Angriffen standhalten?

Kein Wunder, dass US-Präsident Joe Biden die Wahl zur Entscheidungsschlacht erklärt. Es sei nicht weniger als "ein Kampf um Demokratie, ein Kampf um Anstand und Würde, ein Kampf um Wohlstand und Fortschritt", im Gange, so Biden. Und: "Es ist ein Kampf um die Seele Amerikas selbst."

Das macht keinen großen Eindruck auf die Wähler. Bidens Beliebtheitswerte dümpeln auf niedrigen Niveau dahin, seine dramatischen Appelle ändern daran nicht viel. Der Politiker, der demnächst 80 Jahre alt wird, kann auch die, die ihm gewogen sind, nicht so richtig mitreißen. Seine Themen - das Recht auf Abtreibung, Legalisierung von Cannabis und der Verweis auf einen drohenden Putsch radikaler Republikaner - verfangen nicht.

Dazu kommt, dass traditionell die Partei des aktuellen US-Präsidenten bei Midterm-Wahlen abgestraft wird. Oft muss der Amtsinhaber die restlichen zwei Jahre seiner Amtszeit als "lame duck" gegen einen vom politischen Kontrahenten dominierten Kongress regieren. Den Demokraten gereicht weiters zum Nachteil, dass es die angespannte Wirtschaftslage ist, die die Amerikaner in erster Linie umtreibt. Die Inflation steigt, die Aktienkurse sinken - all das hilft den Republikanern, die diese Themen - häufig mit falschen Behauptungen - besetzt haben. Dass in Joe Bidens Amtszeit zehn Millionen Arbeitsplätze entstanden sind, Investitionen in die Infrastruktur getätigt und Studienschulden getilgt wurden, beeindruckt die US-Wähler derzeit kaum.

Auch die jungen, demokratisch gesinnten Menschen fühlen sich von dem Mann im Weißen Haus nicht angesprochen, viele sind einfach nicht motiviert, zur Wahlurne zu schreiten. Die Demokraten versuchen zu mobilisieren, Freiwillige gehen von Haus zu Haus, jetzt hat sich Ex-Präsident Barack Obama persönlich eingeschalten: "Legt euer Handy weg, lasst TikTok in Ruhe - geht wählen", beschwört er die junge Basis. "Steht auf von der Couch und geht wählen."

Die Dramatik führt offenbar zu einer hohen Wahlbeteiligung: Mehr als 23 Millionen US-Amerikaner haben - Stand Montag - ihre Stimme bereits abgegeben. Völlig unklar ist, ob das den Demokraten oder doch den Republikanern hilft.

Lange Unklarheit möglich

Ob es am Tag nach den Wahlen eine eindeutige Antwort darauf gibt, ist ebenfalls unsicher. Und das auch abseits aller republikanischen Sabotageakte. Denn viele Rennen im Senat werden knapp verlaufen, Experten gehen davon aus, dass sich die Entscheidung mehrere Tage oder sogar Wochen hinziehen könnte. Das schon deshalb, weil in vielen Bundesstaaten erst nach Schließung der Wahllokale mit der Auszählung begonnen wird. In Georgia kommt es zu einer Stichwahl, wenn im ersten Anlauf kein Kandidat mehr als 50 Prozent erreicht. Sollte die Mehrheit im Senat an diesem Sitz hängen, ist lange Unklarheit vorprogrammiert.

Wobei das Rennen in Georgia eines der spannendsten der gesamten Wahl ist. Der demokratische Senator und Pastor Raphael Warnock gilt als Wackelkandidat. Herausforderer ist der Republikaner Herschel Walker. Der lehnt etwa Abtreibungen streng ab, wird aber nach Berichten darüber kritisiert, dass er mehrfach Frauen zu Schwangerschaftsabbrüchen gedrängt und diese bezahlt haben soll.

Ein Kopf-an-Kopf-Rennen wird auch in Pennsylvania erwartet. Dort trifft der tätowierte zwei Meter große Demokrat John Fetterman gegen Mehmet Oz an, einen der berühmtesten TV-Ärzte der USA. Fetterman hat zuletzt einen Schlaganfall erlitten und gilt Kritikern als nicht fit genug für einen Senatssitz. Oz wurde immer wieder als Quacksalber kritisiert, weil er auch wirkungslose Vitaminpräparate angepriesen haben soll. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen gibt es auch in Ohio, Nevada und Arizona.

Sollte ein Sieg knapp ausfallen, dann ist in einigen US-Bundesstaaten automatisch eine Neuauszählung vorgesehen. Möglich sind in den USA auch Klagen gegen den Wahlausgang. Oft geht es hier um Verfahrensfragen, etwa ob bei Briefwahlunterlagen Informationen fehlten oder ob sie rechtzeitig eingingen. 2020 haben Trump und seine Verbündeten versucht, das Gerichtswesen regelrecht als Waffe für ihre Zwecke einzusetzen. Dutzende Gerichte mussten sich mit Trumps Vorwürfen befassen - und wiesen sie schließlich zurück.

Warten auf Trump-Kandidatur

Dazu kommt die Möglichkeit, dass sich republikanisch dominierte Wahlbehörden unter fadenscheinigen Vorwänden weigern, das Ergebnis zu zertifizieren. Vor einigen Monaten lieferte ein Landkreis in New Mexico ein Beispiel dafür, was nach den Midterms passieren könnte: Eine von den Republikanern kontrollierte Kommission wollte nach einer Abstimmung das Ergebnis nicht bestätigen. Sie berief sich auf unzutreffende Behauptungen hinsichtlich angeblicher Probleme mit den Wahlmaschinen. Der Oberste Gerichtshof von New Mexico musste einschreiten.

Die Wahlen werden aber noch aus ganz anderen Gründen als wegweisend angesehen. So ist davon auszugehen, dass Trump knapp danach seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2024 offiziell bekannt geben könnte. Und auch der amtierende US-Präsident Joe Biden hat zuletzt gegenüber CNN gemeint, dass er die Entscheidung, noch einmal anzutreten, vom Ausgang der Midterms abhängig macht.