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Haltesignal für den Balkan-Express

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Serbien wird von seiner Vergangenheit eingeholt. | Mazedonien im Streit mit Athen. | Brüssel. Seit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags vor rund einem halben Jahr hat die EU-Erweiterung am Westbalkan zwar etwas an Schwung gewonnen. Für Serbien, Mazedonien und Montenegro besteht inzwischen Visafreiheit. Kroatiens Beitrittsverhandlungen befinden sich in der Zielgeraden und die Beitrittsanträge aus Belgrad, Podgorica und Tirana liegen in Brüssel.


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Doch warten die meisten Länder der Region auf greifbare Fortschritte in Richtung EU. Der österreichische Außenminister Michael Spindelegger forderte, dass die Union ihre "Warteraumpolitik" gegenüber dem Westbalkan aufgeben müsse.

Eine Ausnahme ist Kroatien, das wahrscheinlich noch vor der Sommerpause Ende Juli alle 33 möglichen Verhandlungskapitel eröffnet haben wird. Ausständig sind zwar noch die schwierigsten Bereiche "Außen- und Sicherheitspolitik", "Wettbewerb" sowie "Justiz und Grundrechte". Doch die ersten beiden dürften demnächst formell auf den Verhandlungstisch kommen. Lediglich für die Eröffnung des dritten sind noch nicht alle Voraussetzungen erfüllt. Dafür wartet Chefankläger Serge Brammertz vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag noch auf Unterlagen für die Prozesse gegen den kroatischen Ex-General Ante Gotovina und zwei weitere Angeklagte.

Konkret sind Artillerieprotokolle von der Rückeroberung der Krajina im Jahr 1995 ausständig. Weil die Dokumente zum Teil verschollen sind, versuchen derzeit die Behörden in Kroatien, sie zu rekonstruieren. Brammertz nächster regulärer Bericht über den Status der "vollen Kooperation" des Landes steht im Juni an. Fällt der positiv aus, was erwartet wird, kann auch das letzte Kapitel aufgeschlagen werden. Dann halten Diplomaten einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen noch heuer für realistisch. Nach Ausarbeitung, Unterzeichnung und Ratifizierung des Beitrittsvertrags in allen EU-Ländern könnte Kroatien spätestens am 1. Jänner 2012 der 28. Mitgliedstaat der Europäischen Union werden.

Wo ist Ratko Mladic?

Auf den Bericht von Brammertz wartet unterdessen auch Serbien. Denn noch immer ist der serbische Weg in Richtung EU wegen unterschiedlicher Auffassungen über die "volle Kooperation" mit dem UN-Tribunal blockiert. Die Niederlande wünschen dafür den immer noch flüchtigen serbischen Ex-General Ratko Mladic hinter Gitter. Der wird für das Massaker an rund 8000 Zivilisten in Srebrenica im Juli 2005 verantwortlich gemacht. Ohne Mladics Auslieferung wollen die Niederländer keine Freigabe für die Umsetzung eines Annäherungsabkommens zwischen Serbien und der EU geben. Die wäre aber die eine Voraussetzung für Kandidatenstatus und Beitrittsverhandlungen.

Nur ein tatsächlicher Fahndungserfolg oder ein Machtwort des UN-Chefanklägers, das derzeit eher unwahrscheinlich ist, könnte die Situation für die Serben deblockieren. Und dann wartet als größte Hürde noch das Spezialproblem Kosovo. Diese ehemalige südserbische Provinz hat sich vor mehr als zwei Jahren für unabhängig erklärt, was die serbische Regierung bis heute nicht anerkennt. Für dieses jüngste und ärmste europäische Land ist es auf der anderen Seite ein Problem, dass ihm auch die fünf EU-Staaten Griechenland, Rumänien, Slowakei, Spanien und Zypern die Anerkennung verweigern.

Viel weiter ist da schon Mazedonien, das bereits seit 2005 über offiziellen Kandidatenstatus verfügt. Doch die "Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien", wie es korrekt heißt, ist durch einen erbitterten Streit um ihren Namen mit dem EU-Nachbarn Griechenland gelähmt. Athen will "Republik Mazedonien" nicht akzeptieren. Das könne nämlich Gebietsansprüche auf die fast gleichnamige griechische Nordprovinz bedeuten.

Skopje will dagegen nicht die Hauptstadt der "Republik Nordmazedonien" sein und provoziert die Griechen mit der Benennung seines Flughafens und seiner Autobahn nach Alexander dem Großen. Dieser berühmteste Makedonier war in der Antike der Begründer des griechischen Weltreiches. Immerhin hat die EU-Kommission letzten Herbst einmal grundsätzlich die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen empfohlen. In einem gemeinsamen Brief mit Spindelegger hat der griechische Vizeaußenminister Dimitri Droutsas im Jänner erklärt, dass noch heuer der Namensstreit gelöst und die Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien aufgenommen werden sollen.

Wenig Hoffnung auf eine EU-Annäherung gibt es indes in Bosnien-Herzegowina. Weil die beiden Teile des gespalteten Landes bisher nicht geschafft haben, funktionierende gesamtstaatliche Institutionen zu schaffen, steht Bosnien-Herzegowina immer noch unter der Aufsicht der Internationalen Gemeinschaft.

Geprüft werden in Brüssel derzeit die Beitrittsanträge von Montenegro und Albanien. Kein gutes Omen für Tirana ist aber wohl die politische Krise, die seit den umstrittenen Wahlen vor fast einem Jahr regelmäßig zu Massenprotesten führt.