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Hamburger sind auch anders

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Mit einem (Hand-)Schlag hat Hamburg reges Interesse geweckt. Hummel-Hummel, Schwarz-Grün heißt der neue Gruß. Doch wie sind die Hamburger jenseits der Politik?


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Nichts ist mehr, wie es war - im wiedervereinigten Deutschland. Die schwarzen Schwaben liebäugeln mit den Grünen; die "Pfeffersäcke" an der Alster hüpfen bereits mit ihnen ins Bett. Schwarz-Grün könnte politische Modefarbe in Deutschland werden. Ob die Kombination auf Bundesebene jemals Chancen hätte, wird vom Verlauf des Hamburger Experiments abhängen.

Eins steht - seit langem - fest: Der Blick auf die Hansestadt und ihre Bewohner lohnt sich auch abseits der Politik. Ihr Wappen ist Sinnbild: Ein Tor zur Welt. Hafen, Reeper, Fischköppe, St. Pauli - das Wasser prägt Funktion, Bild und Bewohner der Stadt, der wohl "britischsten" in deutschen Landen.

Während andere Städte langsam schrumpfen, wächst "HH" und bleibt ein Magnet für Pfiffige, Findige, Kreative. Was die Fachleute "kreative Klasse" nennen, Musiker, Modeschöpfer, Werbefritzen, Wissenschaftler, aber auch Banker und Anwälte, reiht Hamburg an die dritte Stelle der deutschen Beliebtheitsskala.

Buch, Medien, Theater und Musicals - sie finden eine betriebsame, sich wechselseitig befruchtende Nährlösung. Rund 11.000 Firmen der Medienwirtschaft mit mehr als 70.000 Beschäftigten sind an der Elbe ansässig, 40 Zeitungs- und 200 Zeitschriftenverlage. Sie erwirtschaften zusammen einen Umsatz von rund 25 Milliarden Euro, sind viertgrößter Arbeitgeber der Stadt. Mehr als ein Drittel aller deutschen Zeitungen und Zeitschriften kommen aus dieser Stadt.

Kreativ? Ob es ein Hamburger war, der die Currywurst erfand, ist noch heftig umstritten. Nicht aber, dass das "Hansa"-plast von hier aus seinen Siegeszug um die blutenden Daumen der Welt antrat. Ein Hamburger Verleger war es, der vor knapp 60 Jahren das erste deutsche Taschenbuch auf den Markt brachte. Und 1928 erfand Rotring-Gründer Riepke den Tintenkuli. Die Gitarre, die sich selbst stimmen kann, ist gleichfalls eine Hamburgerin.

An Typen war und ist Hamburg immer reich - ein Zeichen für seine tolerante Lebensart. Die 94-jährige Heidi Kabel zum Beispiel, Doyenne des Ohnsorg-Theaters. Oder Corny Littmann, der erzschwule Chef des Schmidt-Theaters. Oder Marlene Jaschke, alias Jutta Wübbe, die aufdringlich-naive Hausfrau mit dem weinroten Glockenhut, dem Wellensittich und dem Drang zur großen Opernarie. Oder der Urhamburgische Jung, Ehren-Schleusenwärter und Hitlistenkönig Freddy Quinn aus Niederfladnitz im Waldviertel. Von den St. Pauli-Typen gar nicht erst zu reden.

Weltoffenheit und kleines Karo mischen sich hier an der Waterkant (gesprochen: Woderkant). Sommerfrischlern am Ossiacher See wird ein Alleinunterhalter im Shantykostüm aufgefallen sein, der seit Jahrzehnten sein "Auf der Reeperbahn" schmettert: Rolf Radde aus Hamburg mit dem Autokennzeichen HH-RR. Er ist ein typischer Vertreter seines Schlages: Laut und selbstbewusst, direkt und herzhaft, aktiv und vorwärtsblickend, praktisch und geerdet, lebenslustig und humorig. Nun ja, seit Brahms wissen wir, dass es Hamburger Musiker irgendwie nach Österreich zog.

Der Hamburger Dialekt mit seinen nasalen Urlauten und den ßpitzen ßteinen speist sich aus dem Niederdeutschen, das zu Hansezeiten die lingua franca der gesamten Nord- und Ostseeküste war, dem Platt und dem Missingsch, einem Vorläufer des Hochdeutschen.

Trocken ist in Hamburg nur der Humor: Es ist wieder mal Land unter. Zwei Nachbarn haben sich aufs Dach gerettet. Ruft der Eine: "Guck ma, da schwimmt ein Hut!" - "Nee, dat is der Hein. Der mäht bei jedem Wetter!"

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