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Hamster im Jungbrunnen

Von Kerstin Viering

Wissen
Hamster & Co. verlängern trickreich ihr Leben.
© © Foto Begsteiger / Imagebroker / Lukasseck

Die Auszeit hilft, Energie zu sparen und Chromosomen zu schützen.


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Berlin. Es gibt momentan sicher gemütlichere Plätze auf der Erde als die Dsungarei. Die Winter sind streng in der zentralasiatischen Beckenlandschaft. Im Jänner zeigen die Thermometer durchschnittlich minus 16 Grad Celsius. Das ruft nach Winterschlaf. Doch der Dsungarische Zwerghamster denkt gar nicht daran. Nacht für Nacht huscht der Nager über die Schneedecke, um noch ein paar Samen vom letzten Sommer einzusammeln.

Tagsüber hingegen verkriecht er sich in seinem Bau, senkt seine Körpertemperatur auf 18 Grad ab und fällt für rund sechs Stunden in die Torpor genannte Kältestarre. Nach diesem Mini-Winterschlaf bringt er sich wieder auf seine Betriebstemperatur von 35 Grad. Die Auszeit hilft den Hamstern, Energie zu sparen. Offenbar bleiben die coolen Nager aber auch länger jung, wie Wissenschafter um Thomas Ruf vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde der Veterinärmedizinischen Uni Wien herausgefunden haben.

Dem Zusammenhang zwischen Winterschlaf und Alter ist Ruf schon länger auf der Spur. So haben er und sein Team kürzlich Daten über die Lebenserwartung von rund 800 Säugetierarten ausgewertet. Dabei zeichnet sich ein Trend ab: Wer sich im Winter eine Auszeit nimmt, wird deutlich älter. "Ein 50 Gramm schwerer Winterschläfer lebt zum Beispiel ungefähr 50 Prozent länger als ein Nicht-Winterschläfer mit ähnlichem Gewicht", sagt Ruf.

Kennen Winterschläfer einen geheimnisvollen Jungbrunnen? Um das herauszufinden, haben die Forscher den Torpor dieses Zwerghamsters untersucht. "Wir hatten die Idee, dass sich ein Blick auf die Chromosomen lohnen könnte", erläutert Ruf. Die an den Enden der Chromosomen sitzenden Schutzkappen - die Telomere - haben etwas mit der Lebenserwartung zu tun. Bei jeder Zellteilung verkürzen sie sich, bis ihr Schutz eines Tages versagt. "Die Länge der Telomere ist deshalb ein Anhaltspunkt dafür, wie lange ein Tier oder Mensch noch zu leben hat", so der Experte. Hat der Winterschlaf also vielleicht einen Einfluss auf deren Länge?

Um diesem Verdacht nachzugehen, haben die Forscher die Nager im Labor in Winterstimmung versetzt. Einige Hamster lebten 180 Tage lang bei neun Grad, andere bei 20 Grad. Bei allen Tieren wurde registriert, wie oft sie in Torpor fielen und wie tief sie ihre Körpertemperatur absenkten. Zu Beginn und nach dem Ende des Versuchs musste jeder Hamster ein paar Haare lassen, aus denen sich das Erbgut isolieren ließ. Je häufiger und tiefer ein Tier in die Kältestarre sank, umso länger waren seine Telomere. Bei vielen Hamstern waren diese Schutzkappen nach dem Versuch sogar in besserem Zustand als vorher.

Nager-Methusalems

Eine mögliche Erklärung gibt es auch schon. "Die Telomere verkürzen sich nur bei Zellteilungen, die bei Körpertemperaturen unter 20 Grad nicht mehr stattfinden", erläutert Ruf. Während das Tier im Torpor liegt, ist der Verschleiß gestoppt. In den Wachphasen geht er zwar weiter, gleichzeitig ist dann aber ein Enzym namens Telomerase aktiv, das die Enden wieder verlängert. Mitunter wachsen die Telomere dann schneller, als sie sich abnutzen - ein Jungbrunnen für die Zellen.

Ewiges Leben für die Hamster bedeutet dies aber nicht. Schließlich hängt der Todeszeitpunkt auch von Krankheiten oder Feinden ab. Doch immerhin können die Dsungarischen Zwerghamster dank ihrer Auszeiten im Labor ihren zweiten Geburtstag erleben.

In manchen Regionen bringen es diese Nager sogar auf ein biblisches Alter von neun Jahren. "Ein so langes Leben würde man bei einem Tier von der Größe eines Hirschs erwarten, aber nicht von einem 100 Gramm schweren Kleinsäuger", sagt Ruf. Das Erfolgsgeheimnis der Nager-Methusalems könnte im Winterschlaf liegen. Ob sie in dieser Zeit auch ihre Telomere verlängern, untersuchen die Forscher gerade.

Thomas Ruf hält das für wahrscheinlich. Denn das Leben mit Stoffwechseltricks zu verlängern, lohnt sich vor allem unter einer Bedingung: Das Risiko, dass man im Maul eines Raubtiers landet und damit alle Mühe umsonst war, sollte relativ gering sein. Das aber macht den Siebenschläfer zu einem perfekten Kandidaten für einen körpereigenen Jungbrunnen. Denn bei einer großen europäischen Siebenschläfer-Studie kam kürzlich heraus, dass diesen Tieren während ihrer monatelangen Auszeit in Erdhöhlen offenbar wenig Gefahr droht.

Ganz ähnliche Gründe könnten auch hinter dem langen Leben von Fledermäusen stecken, die 50 Jahre alt werden können. "Durch ihren Winterschlaf in sicheren Höhlen und durch ihre Flugkünste entgehen diese Tiere vielen Feinden." Da liegt es nahe, dass auch sie den Telomer-Trick beherrschen könnten.

Mensch muss wach bleiben

Der Mensch kann seine Hoffnungen auf einen ähnlich funktionierenden Jungbrunnen wohl begraben. In seinen Zellen ist das Enzym Telomerase kaum aktiv. Die Schutzkappen der Chromosomen verkürzen sich immer weiter. Daran etwas zu ändern, wäre auch gefährlich. Die Aktivitäten dieses Enzyms erhöhen das Krebsrisiko deutlich. "Derzeit wären wir auch gar nicht in der Lage, Menschen in Winterschlaf zu versetzen", auch wenn es praktisch wäre, betont Ruf. Zu viele ihrer Geheimnisse haben Hamster und Co. bisher noch für sich behalten. Auch wer die Nase voll hat von Kälte und winterlichem Grau, muss vorerst wach bleiben.