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Streit um Hilfslieferungen - Gerüchte um Angriff der ukrainischen Armee auf russische Armeefahrzeuge - Vertrauen Kiews und des Westens in Putin am Nullpunkt.
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Moskau/Wien. War das der erste Versuch Russlands, in die Ukraine einzumarschieren? Hat Präsident Wladimir Putin einmal mehr versucht, den Westen zu narren, indem er erst die internationale Aufmerksamkeit auf einen 280 Lkw umfassenden Hilfskonvoi lenkt, um in Ruhe einen militärischen Einmarsch in die Ostukraine in die Wege zu leiten? Steht ein Krieg zwischen Ukraine und Russland unmittelbar bevor?
Nein, zunächst einmal kann Entwarnung gegeben werden. Doch die Ereignisse am Freitag an der russisch-ukrainischen Grenze zeigen, wie angespannt die Lage dort ist. Anfänglich wollten Reporter westlicher Medien den Einmarsch russischer gepanzerter Truppentransporter in die Ostukraine beobachtet haben. Die Unsicherheit wuchs, als am Abend die ukrainische Armee meldete, dass man den gepanzerten Konvoi angegriffen und zum Teil vernichtet habe. Ukraines Präsident Petro Poroschenko vermeldete sogar, dass der Konvoi größtenteils vernichtet worden sei, man habe Ausrüstung zerstört. Der britische Premierminister David Cameron sei von dem militärischen Zwischenfall informiert worden.
Panik machte sich breit, die europäischen Börsen drehten ins Minus. Auch die UNO zeigte sich höchst beunruhigt und rief beide Konfliktparteien auf, den Weg der Deeskalation durch Verhandlungen zu beschreiten.
Schließlich lagen aber keine eindeutigen Beweise vor, dass die ukrainische Armee tatsächlich den gepanzerten russischen Konvoi angegriffen hat. Und Moskau dementierte die Meldung betont lässig: Es habe keinen russischen Einfall in die Ostukraine gegeben, aber es sei immer noch besser, die Ukrainer würden auf Phantome als auf Flüchtlinge oder die eigenen Soldaten schießen, so ein russischer General. Durch eine "Intensivierung ihrer militärischen Aktionen" wolle Kiew Lieferungen von humanitären Hilfsgütern aus Russland stören, lautet die Erklärung Moskaus für das Vorgefallene.
Laut "Guardian" und "The Daily Telegraph" soll es sich um 23 Radpanzer mit russischen Armeekennzeichen, darunter Truppentransporter und Tanklastwagen gehandelt haben, die nahe dem russischen Grenzort Donezk auf ukrainisches Territorium vorgedrungen sein. Die Nato bestätigte den Einmarsch und warf Russland vor, die Lage eskalieren zu wollen. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sprach von einem klaren "russischen Übergriff" auf das Gebiet der Ukraine. Ukrainische Militärs gaben allerdings an, dass derartige Grenzverletzungen durch die russische Armee die Regel seien. Moskau mache das ständig, um zu provozieren.
Konflikt um Hilfstransport
Zentrales Element des russisch-ukrainischen Konflikts ist ein Hilfskonvoi, bestehend aus 280 weißen russischen Lkw. Moskau behauptet, dass sich 2000 Tonnen an Hilfsgütern in den Fahrzeugen befänden - was zumindest zum Großteil stimmt. Kiew und westliche Regierungen vermuten aber einen weiteren Trick des russischen Präsidenten. Nach der russischen Invasion auf der Krim ist das wechselseitige Vertrauen auf den absoluten Nullpunkt gesunken, die Ukraine, die Nato und westliche Regierungen gehen davon aus, dass der Hilfskonvoi Vehikel Moskaus für einen Einmarsch in die Ostukraine ist. Medienvertreter berichteten zudem, dass einiger der russischen Hilfs-Lkw leer gewesen seien.
Kiew wollte die Lkw auf keinen Fall unkontrolliert passieren lassen, rund 60 Beamte begannen damit, die Fahrzeuge noch auf russischem Territorium in der Nähe der Stadt Kamensk-Schachtinski, etwa 20 Kilometer vor der Grenze, zu durchsuchen. Dann vermeldete die Ukraine, dass es zu einer Einigung mit Russland gekommen sei. Der finnische Präsident Sauli Niinistö bestätigte das. Der Hilfskonvoi sei unter Beaufsichtigung des Internationalen Roten Kreuzes in Richtung Einsatzgebiet im Osten der Ukraine unterwegs, hieß es. Eine derartige "Einigung" hatte es allerdings schon vor Tagen gegeben, angesichts der letzten Spannungen zwischen Russland und der Ukraine ist unklar, ob die Hilfslieferungen tatsächlich in die eingekesselten Städte Luhansk und Donezk gelangen.
Der russische Konvoi hat Kiew jedenfalls dazu bewogen, ebenfalls Hilfe zu schicken. Rund 800 Tonnen eigener Lieferungen mit 75 Lkw wurden in die umkämpften Gebiete gebracht. Zudem suchen die Ukraine und Russland weiter das Gespräch. Der ukrainische Außenminister Pavlo Klimkin will am Sonntag seinen Amtskollegen Sergej Lawrow und die Außenminister Deutschlands und Frankreichs in Berlin zu Gesprächen treffen.