Große Kongresse wie der soeben zu Ende gegangene der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) in Wien, bei dem nicht weniger als 2.700 wissenschaftliche Studien präsentiert wurden, werfen zwangsläufig die Frage auf, ob sich so etwas wie ein Gesamtschluss daraus ziehen lässt. Den gibt es tatsächlich und er ist so simpel, wie er sich aus einer Rechnung mit lauter Bekannten nur ziehen lässt: Die Ärzte wollen das Beste für ihre Patienten, von denen sie schließlich leben (müssen). In diesem Bemühen werden sie vor allem von den Pharmafirmen unterstützt, die - völlig legitim - auch lebensfähig bleiben wollen. Dagegen steht die politisch-ökonomische Forderung nach einer Kostensenkung im Gesundheitswesen. Und dazwischen der (potenzielle) Patient, zu dessen natürlichen hedonistischen Ansprüchen sich jener gesellt, auch kurativ die besten Optionen zu haben.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Ohne nun noch einmal die unangenehmen Daten und Fakten im Hintergrund zu erwähnen - ESC-Präsident Univ.-Prof. Dr. Jean-Pierre Bassand hatte bereits zu Beginn des Kongresses deutlich gemacht, warum es geht: "Unser Ziel ist es, die Lebensqualität der Menschen durch die Bekämpfung der Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern." Denn: "Diese Krankheiten stellen eine enorme Belastung für die Gesellschaft dar." Aus diesem Grund hat die ESC auch einen "Herzplan für Europa" erstellt und will künftig speziell mit der EU zusammen arbeiten, wobei vor allem die Vorsorge betont werden soll.
Denn: Auch wenn sich Herzkrankheiten bisweilen auf genetische Veranlagungen zurück führen lassen - Schicksal sind sie dennoch nicht, wie u. v. a. Dr. Jolanda Boer vom Nationalen Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt der Niederlande in Bilthoven in einer Zusammenfassung der Analyse von 35.000 Studienteilnehmern betonte. Demnach sollten Menschen mit einem solchen Risiko besonders gesund leben, da sich Lebensstilfaktoren wie Übergewicht und Rauchen bei ihnen besonders "modifizierend" auswirken, die Sache also deutlich verschlimmern.
Doch wie teilt man dies insbesondere jenen Menschen mit, die - entsprechend ihren Lebensumständen - über wenig mehr an Vergnügungen verfügen können als über fettreiche Mahlzeiten, alkoholische Getränke und etwas Entspannung und Erholung beim TV? (Wobei übrigens auch Fett mittlerweile erwiesenermaßen zu den "Glücklichmachern" in der Ernährung zählt!)
Da nimmt es weiter nicht Wunder, dass die Wohlhabendsten jeder Gesellschaft am wenigsten unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden, was wohl nicht ausschließlich am Bildungsniveau liegen kann: Kleine Portionen "gesunder Nahrung" vertragen sich nun einmal schwerlich mit den Anforderungen, die etwa an Schwerarbeiter gestellt werden. Und auch dem viel gepriesenen "Wundermittel" Sport sind hier zwangsläufig Grenzen gesetzt.
Gewiss, die berühmte "Mittelmeer-Diät", die wir alle kennen, wäre ideal. Sie war imstande, wie die bekannte Lyon-Studie aus dem Jahr 1994 zeigte, bei bereits Herzkranken den Cholesterinwert um 27 Prozent und das Herz-Kreislauf-Risiko um 70 Prozent zu reduzieren. Was bedeutete, "dass die Effekte einer gesunden Ernährung weit über das Cholesterin selbst hinausgehen", so Univ.-Prof. Dr. Ulrich Keil vom Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster in einem vom "Becel-Institut" organisierten Symposiums beim ESC-Kongress.
Ergänzend dazu stellte Univ.-Prof. Dr. Jim Mann von der Universität von Otago in Neuseeland fest: "Es ist klar, dass ein Übermaß an gesättigten Fettsäuren (also vor allem tierische Fette) eine negative Wirkung besitzt, die über den Fettstoffwechsel hinaus geht. Es kommt nämlich zur Entstehung einer Insulin-Resistenz." Was in der Folge erhöhte Blutzuckerwerte bedeutet und im schlimmsten Fall Diabetes. Mann: "Ein Übermaß an gesättigten Fettsäuren erhöht die Insulinresistenz allein schon um zehn Prozent. Es hat aber auch keinen Sinn, zu viel ungesättigte Fettsäuren zu sich zu nehmen (wie etwa im Olivenöl). Da werden viele Menschen nur dick davon dick werden. Und die Menschheit wird derzeit von Stunde zu Stunde dicker." Weshalb laut Mann unbedingt auch Nahrungsergänzungsmittel wie etwa Fischöl in die Berechnungen des Fettverzehrs einbezogen werden sollten.
Doch die Pharmakonzerne setzen in Kenntnis ihrer "Pappenheimer" sowieso - und auch nach dem Skandal um "Lipobay" - weiter auf Statine als Cholesterinsenker. Und stützen sich dabei etwa auf die britische "Heart Protection Study" mit 20.500 Patienten, unter ihnen fast 6.000 Diabetiker, deren Ergebnis Dr. Jane Armitage (Oxford) in Wien zusammenfasste: "40 Milligramm des Medikaments Simvastatin senkten die Gesamtsterblichkeit der Behandelten um 13 Prozent. Die Rate der Herz-Kreislauf-Todesfälle ging um 17 Prozent zurück, jene größerer akuter Herzprobleme um ein Viertel. Das zeigte sich bei Nicht-Diabetikern genauso wie bei Zuckerkranken."
Das scheint nicht eben umwerfend. Dennoch steigt die Einnahmehäufigkeit von Statinen laut Univ.-Prof. Dr. Terje Pedersen (Universitätsklinik Oslo) pro Jahr um 15 bis 25 Prozent und die Ausgaben dafür betrugen zuletzt jährlich rund 18,3 Mrd. Euro. Schering-Plough und Merck, Sharp & Dohme kündigten infolge dessen in Wien bereits neue Medikamente an, welche sowohl die körpereigene Cholesterinproduktion behindern als auch die Aufnahme des Fetts aus dem Darm blockieren sollen. Das erste, Ezetimibe ("Ezetrol"), kommt demnächst in Österreich auf den Markt.
Wie die Dinge liegen, wird also auch künftig repariert werden müssen, was beschädigt wurde. Gen- und Stammzelltherapie sind dieweil immer noch weite Forschungsfelder, die vorhandenen praktischen Möglichkeiten hingegen ausbaufähig, wenn auch zunächst kostenintensiv. Ein Beispiel dafür bilden die modernen Stents, die in verengte Herzgefäße eingesetzt werden.
Sie verfügen über eine Beschichtung und geben bestimmte Medikamente ab, die verhindern, dass sich die Gefäßwand wieder verengt, es also zu einer (relativ häufigen) Restenose kommt. Einer der Pioniere der sogenannten Ballon-Dilatation, Univ.-Prof. Dr. Bernhard Meier (Herz-Kreislauf-Zentrum in Bern): "In einem Beobachtungszeitraum von neun Monaten fiel damit die Restenose-Rate von 21,4 auf 7,1 Prozent." Da diese Stents aber dreimal so teuer sind wie die herkömmlichen, kamen sie in Europa bisher nur zu 20 Prozent zum Einsatz. Das sollte sich nun ändern.
Dr. Marie-Claude Morice (Institut Cardiovasculaire Paris Sud): "Eine Analyse hat gezeigt, dass sich mit einem herkömmlichen Stent im ersten Jahr lediglich 54 Euro einsparen lassen. Durch die Verhinderung weiterer Eingriffe rechnen sich die neuen Stents fast schon nach einem Jahr."