Den Haag. Es ist längst nicht mehr nur die Luxusuhr aus Fernost und das Ronaldinho-Trikot am Wiener Naschmarkt. Produktfälschungen haben unser Leben durchdrungen: Essen, Pharmazeutika, Alltagsgegenstände vom Akku für das Handy bis zum Spielzeug für Kinder.
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Der Markt ist riesig, das Risiko für die Täter gering. "Aber wenn du eine Rolex in Hongkong kaufst, musst du dir darüber im Klaren sein: Du unterstützt damit die Organisierte Kriminalität", sagte Benoit Godart, First Officer und Experte der europäischen Polizeibehörde Europol.
Für mafiöse Gruppierungen gibt es viele gute Gründe, in das Geschäft mit Produktfälschungen und -piraterie einzusteigen. Laut Godart ist das Risiko, erwischt zu werden, sehr gering. "Die Kriminellen benutzen sehr gut organisierte Netzwerke, es gibt sehr hohe Gewinnspannen." Es gibt eine Rechnung unter Experten: Für jeden Dollar, den man in den Drogenhandel investiert, bekommt man 16 Dollar heraus, und das bei sehr hohem Verfolgungsdruck. Wer Luxusgüter fälscht, bekommt 20 Dollar für einen. Wer Plagiate von Medikamenten produziert oder mit illegalen Downloads handelt, hat eine Gewinnspanne von eins zu 1.000.
Geringes Risiko, große Spanne
"Und das bei weit geringerem Risiko als im Drogenhandel. Die neapolitanische Camorra ist sehr aktiv in diesem Bereich, und das ist ein Grund für die Vergrößerung ihrer Macht und ihrer Stärke", sagte Godart. Einer Schätzung des US Department for Justice zufolge verdiente die Camorra rund 2,5 Mrd. Dollar (1,80 Mrd. Euro) mit Produktpiraterie im Jahr 2007. Es wurden 2007 alleine von den US-Behörden gefälschte Waren im Wert von 300 Millionen Dollar (216 Mio. Euro) sichergestellt, die der Camorra zugerechnet wurden.
"Produktfälschung betrifft die Gesellschaft als Ganzes", konstatierte der Europol-Experte. Da ist zunächst das Faktum, dass die Branche per definitionem im Schwarzmarkt angesiedelt sei. Es habe Auswirkung auf die Beschäftigungssituation: Die billigst hergestellten Waren brächten Dumping-Löhne mit sich.
Gefährliche Medikamente
Es gebe zudem ein sehr bedrohliches Szenario, das in der Öffentlichkeit viel zu wenig wahrgenommen werde - speziell im Bereich der Pharmaindustrie, die sich immer mehr dem Phänomen gefälschter Medikamente ausgesetzt sieht. "Die Unternehmen werden nicht länger in die Forschung investieren", so Godart. Die Erforschung und Entwicklung neuer Medikamente bis zur Marktreife wird mit etwa 800 Millionen Euro veranschlagt. Wenn diese Produkte innerhalb kürzester Zeit als Fälschung zu weit günstigeren Preisen auf dem Markt oder im Internet zu erwerben sind, bedeutet das ein Verlustgeschäft. 95 Prozent der im Internet vertriebenen Arzneimittel sind gefälscht oder zumindest Substandard, schätzte im Vorjahr ein Experte der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES).