Auch wenn sich in Polen der Enthusiasmus über einen EU-Beitritt in Grenzen hält, blicken etliche Unternehmen freudig den Zeiten eines erweiterten Marktes entgegen. Neue Möglichkeiten würden sich vor allem für kleine und mittlere Betriebe ergeben, betonen Regierung und WirtschaftsvertreterInnen.
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Polen jammern gern, heißt es. Und viele geben es auch lachend zu, wenn sie auf diese Redensart angesprochen werden. Gleichzeitig betonen sie: Die Löhne seien niedrig, die Abgaben und Preise steigen, Chaos herrsche in der Verwaltung des Landes. Eine Verbesserung ihrer Situation durch den EU-Beitritt erwarten sich die wenigsten.
In der Tat hat sich das Wirtschaftswachstum in Polen in den letzten Jahren eingebremst. 2002 betrug es geschätzte 1,2 Prozent, Investitionen sind um 7,5 Prozent zurückgegangen. Nominell liegen die Industrielöhne bei 20 Prozent des EU-Wertes. Für heuer wird allerdings ein Wachstum des BIP von bis zu drei Prozent prognostiziert.
Jammern nütze da wenig, findet Przemyslaw Trawa. Er ist Vorstandsmitglied der Internationalen Messe Poznan, eines Messeveranstalters, der mehr als die Hälfte des Marktes in Polen hält. Vielmehr müssten sich Unternehmen neuen Anforderungen stellen - und das nicht erst nach dem EU-Beitritt. So hat die Messe bereits 1991 beschlossen, in den kommenden 20 Jahren 80 Prozent ihres Gewinns in Investitionen zu stecken. Die Infrastruktur entspreche schon jetzt EU-Standards.
Auch für andere große Unternehmen werde der Beitritt zur Union keinen großen Umbruch bedeuten, meint Trawa. Denn sie hätten bereits lernen müssen, sich im System der freien Marktwirtschaft zu behaupten - oft mit Hilfe ausländischen Kapitals.
Größere Wachstumschancen in der Union hätten hingegen Klein- und Mittelbetriebe, gibt sich Piotr Wronski, Leiter der Industrie- und Handelskammer Wielkopolska (Großpolen) überzeugt. In Großpolen, einem der reichsten Gebiete des Landes, sind 92 Prozent der Unternehmen Klein- und Mittelbetriebe. Gerade sie könnten etwa vom Wegfall des Zolls oder von Subventionen profitieren. "Wir reiben uns schon die Hände, dass wir der Union beitreten", erklärt Wronski.
Nicht alle teilen diese Meinung. Die Landwirtschaftskammer hat ihren Mitgliedern empfohlen, beim Referendum zum EU-Beitritt mit "Nein" zu stimmen. Polnische Landwirt-Innen dürften keine schlechteren Bedingungen haben als ihre deutschen NachbarInnen.
Mit einer Reportage aus Polen beginnt die "Wiener Zeitung" morgen eine Serie über EU-Beitrittskandidatenländer.