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Die Entscheidung des VfGH, den lange umstrittenen Homosexuellen-Paragraphen 209 aufzuheben, scheint eindeutig und doch scheiden sich in der Auslegung die Geister. Während sich die ÖVP weiterhin ein unterschiedliches Schutzalter vorstellen kann, sei das Urteil wiederum für den Koalitionspartner FPÖ definitiv so zu akzeptieren, wie es gefällt wurde - weil es dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche. Die Opposition sieht für weitere Schutzbestimmungen keinen Handlungsbedarf.
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Der Kinder- und Jugendschutz habe Priorität - diese Auffassung zieht sich zwar quer durch alle Parteien und doch könnten die Forderungen unterschiedlicher nicht sein. Die ÖVP, lange Zeit Verteidiger des 209er, zieht nach wie vor ein unterschiedliches Schutzalter für homosexuelle und heterosexuelle Partnerschaften in Erwägung, wie Bundeskanzler Wolfgang Schüssel am Dienstag nach dem Ministerrat betonte. Er verwies auf frühere Vorschläge seiner Partei, eine Straffreigrenze einzuziehen. Eine Strafverfolgung wäre dann bei größeren Altersunterschieden möglich. Für seinen Klubchef Andreas Khol deutet zwar alles darauf hin, dass es künftig ein einheitliches Schutzalter geben werde, trotzdem sieht auch er einen Passus bei "erheblichem Altersunterschied" für denkbar.
Die FPÖ, die sich zuletzt schon mehrmals für eine Herabsenkung des Schutzalters ausgesprochen hatte, zeigt sich für keine Kompromisse mit dem Koalitionspartner bereit. Das Urteil sei so zu akzeptieren, wie es der VfGH gefällt habe, betonte Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer im gemeinsamen Pressefoyer mit dem Regierungschef. Überdies seien in dieser Legislaturperiode schon einige Maßnahmen gesetzt worden, um den Kinder- und Jugendschutz zu verbessern. Sollte es noch Lücken geben, werde man diese schließen.
Ihre Aussage ist der der Opposition somit nicht unähnlich. Nationalratspräsident und SPÖ-Vize Heinz Fischer sieht "keinen weiteren Handlungsbedarf", es seien ausreichend Schutzbestimmungen im Sexualstrafrecht vorhanden. "Ich wünsche mir, dass unsere Rechtspraxis so rasch wie möglich den Erwägungen des VfGH Rechnung trägt", betonte Fischer in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Initiative "Sozialismus und Homosexualität" (SOHO) und sprach von einer "wichtigen, richtungsweisenden Entscheidung" des VfGH. SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim fordert eine sachliche Diskussion. Die SOHO und Rechtsanwalt Helmut Graupner appellierten an Bundespräsident Thomas Klestil für die Niederschlagung offener Verfahren und die Rehabilitation jener, die wegen des 209er im Gefängnis sind.
Die Grünen kündigten für den heutigen Justizausschuss einen Antrag auf die ersatzlose Streichung des Paragraphen an und sehen das Urteil als "klaren Auftrag für weitere Antidiskriminierungsmaßnahmen".
Von den Strafrichtern wird die Entscheidung ausdrücklich begrüßt - diese sahen sich allerdings in einem Dilemma, da sie den Homosexuellen-Paragraphen theoretisch bis auf weiteres vollziehen müssten. Vom Justizministerium kam gestern abend allerdings eine Empfehlung an die Oberstaatsanwaltschaften, "mit § 209 StGB innezuhalten und keine vorwiegend auf § 209 StGB gestützte Untersuchungshaft zu beantragen".