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Handwerk hat fetten Boden

Von Kerstin Viering

Wissen

Krähen verwenden nicht nur Werkzeug, sie stellen es sich auch her. | Wie sie damit ihre Speisekarte bereichern. | Berlin. Wer geschickt mit Werkzeugen umgehen will, muss lange üben und dabei so manchen Frust wegstecken. Diese Erfahrung machen nicht nur menschliche Nachwuchshandwerker, sondern auch junge Geradschnabelkrähen. Warum sich die langwierige Ausbildung für die Vögel trotzdem lohnt, erläuterten jüngst Wissenschafter um Christian Rutz von der University of Oxford im Fachjournal "Science". Die Erfindung des Handwerks hat demnach einiges mit einer Vorliebe für fette Speisen zu tun.


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Schon vor Jahren sind Geradschnabelkrähen als besonders begabte Werkzeugnutzer aufgefallen. Stöckchen oder Drähte setzen sie in Laborversuchen sehr geschickt ein, um in kleinen Löchern oder Spalten nach Insektenlarven zu stochern. Dabei ist es für sie nicht nötig, das passende Werkzeug schon vorzufinden. Problemlos können sie ein Blatt zurechtrupfen oder einen Draht zu einem Haken biegen, um besser an die Beute heranzukommen. Ein solches Talent fürs Werkzeugmachen hatten Wissenschafter noch vor wenigen Jahrzehnten nur dem Menschen zugetraut.

Ob auch wildlebende Geradschnabelkrähen diesen Hang zum Handwerk haben, war freilich lange unklar. Denn die schwarzen Vögel mit dem blau-violetten Schimmer im Gefieder, die nur auf Neukaledonien und einigen benachbarten Pazifikinseln leben, sind im Freiland schwer zu beobachten. In den dichten Wäldern ihrer Heimat können sich die scheuen Tiere mühelos vor neugierigen Forscheraugen verbergen. Nur mit viel Geduld und unter Einsatz von modernster Kameratechnik konnten die britischen Zoologen ein paar Einblicke in den Krähen-Alltag gewinnen.

Demnach haben die Vögel ein besonderes Faible für Lichtnussbäume. Wo immer diese bis zu 20 Meter hohen Wolfsmilchgewächse stehen, sind auch die Krähen zur Stelle. Und sie arbeiten mit allen Tricks. Sie knacken die harten Nüsse, indem sie diese auf den Boden fallen lassen, und angeln in morschen Stämmen nach schmackhaften Käferlarven. Dazu schieben sie einen Zweig oder Blattstiel in ein Loch im Holz und stupsen den darin hockenden Insektennachwuchs so lange an, bis er sich in dem Werkzeug verbeißt und herausgezogen werden kann. Bis junge Vögel dieses Kunststück beherrschen, dauert es allerdings sehr lange. Selbst erfahrene Erwachsene müssen oft geraume Zeit stochern, bis sie Beute in den Schnabel kriegen.

Das Larven-Angeln ist also eine sehr aufwendige Möglichkeit, sich den Magen zu füllen. Zumal der Lebensraum der Allesfresser noch reichlich andere Nahrungsquellen bietet - von Früchten und Nüssen über Eidechsen, Spinnen und Insekten bis hin zu Aas. Wozu also die Mühe? Um das erkunden, haben die Forscher die Speisekarte der Vögel unter die Lupe genommen. An der Westküste Neukaledoniens haben sie 22 Krähen eingefangen, ihnen ein bisschen Blut und ein paar Federstückchen abgenommen und sie dann wieder freigelassen. Außerdem haben sie Testhäppchen von Krähen-Menüs gesammelt und analysiert.

So ließ sich ermitteln, was der jeweilige Vogel in den letzten Monaten gefressen hatte. Denn die einzelnen Futterbestandteile enthalten unterschiedliche Kombinationen von schwereren und leichteren Varianten der Elemente Kohlenstoff und Stickstoff. Das Verhältnis dieser sogenannten Isotope überträgt sich wie eine Art chemischer Fingerabdruck auf Blut und Federn. Der Anteil der Käferlarven in den Mahlzeiten lässt sich so relativ leicht ermitteln. Denn die zeigen ein ganz typisches Muster von Stickstoff-Isotopen, das sie von allen anderen Krähen-Snacks unterscheidet. Das hängt vermutlich mit den Aktivitäten von Bakterien im Darm der Larven zusammen.

Das Stochern lohnt sich

Den Analysen zufolge sind die aus den Baumstämmen gefischten Leckerbissen eine sehr wichtige Nahrungsquelle für die Vögel. Zwar liefern sie nicht mehr Protein als die anderen getesteten Nahrungsmittel, dafür aber besonders viel Fett. Die Forscher haben ausgerechnet, dass je nach Größe schon zwischen zwei und neun Larven reichen, um den täglichen Energiebedarf einer Krähe zu decken. Da kann man schon mal ein bisschen länger stochern.