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Der SPÖ-Spitzenkandidat bei der EU-Wahl am 13. Juni, Hannes Swoboda, glaubt im Interview mit der "Wiener Zeitung" nicht, dass Bundeskanzler Wolfgang Schüssel neuer Kommissionspräsident wird. Die EU-Beitritte von Bulgarien und Rumänien bereits 2007 hält er für unrealistisch, eine Mitgliedschaft der Türkei müsse dagegen offen gelassen werden.
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"Wiener Zeitung": Sie haben dazu aufgerufen, der Bundesregierung die "rote Karte" zu zeigen. Wird der 13. Juni zu einer innenpolitischen Abrechnung?
Hannes Swoboda: Es geht darum aufzuzeigen, dass auf europäischer Ebene Entscheidungen getroffen werden, die hier innenpolitische Auswirkungen haben. Und die österreichische Regierung hat gegen die Arbeitslosigkeit und für mehr Beschäftigung zu wenig getan auf europäischer Ebene.
"Wiener Zeitung": Die ÖVP argumentiert aber, die im EU-Vergleich niedrigere Arbeitslosenrate in Österreich gebe der Regierung Recht.
Hannes Swoboda: Also wenn die Arbeitslosigkeit weiter steigt und gleichzeitig der Bundeskanzler sagt, die Jugendarbeitslosigkeit werde in den nächsten Jahren weiter um 40 Prozent zunehmen, ist das keine Erfolgsbilanz.
"Wiener Zeitung": Die SPÖ macht im Wahlkampf mobil gegen die europäische Wasserliberalisierung. Führen Sie an dieser Front nicht einen schwierigen Kampf, wo gerade die neuen EU-Länder auf eine liberalisierte Wirtschaft setzen?
Hannes Swoboda: Umso mehr müssen wir etwas gegen die Liberalisierungstendenzen tun. Das würde nur zu noch mehr Zentralisierung und Bürokratisierung in der EU führen. Die großen Konzerne warten bereits darauf.
"Wiener Zeitung": Die Mehrheit der EU-Länder wird derzeit konservativ regiert. Befinden Sie sich da mit Ihrer Forderung in guter Gesellschaft?
Hannes Swoboda: Wir haben Rückendeckung unter den europäischen Sozialdemokraten und in Ländern wie Frankreich, den Niederlanden oder Dänemark. Jetzt müssen wir unsere Nachbarländer davon überzeugen, dass das nicht unser Modell ist. Die Linken haben immer das Subsidiaritätsprinzip in Bereichen wie dem Nahverkehr oder der kommunalen Wasserversorgung hochgehalten. Wenn es einmal einen Zwang zur Liberalisierung gibt, wird irgendwann auch privatisiert werden.
"Wiener Zeitung": Einer der Wahlslogans der SPÖ lautet "Österreich muss wieder gehört werden!" - bedeutet das, der nächste EU-Kommissionspräsident heißt Wolfgang Schüssel?
Hannes Swoboda: Nein, das glaub' ich nicht. Sondern es geht uns um die Österreicher, und die Bundesregierung ist nicht Österreich. Unsere Interessen müssen in der EU besser vertreten werden, im Rat durch die Regierung und im Parlament. Daher soll die SPE bei dieser Wahl gestärkt werden.
"Wiener Zeitung": Beim SPÖ-Wahlkampfauftakt haben Sie gemeint, vor der Aufnahme neuer Mitglieder müsste die EU gefestigt werden. Soll der Beitrittsprozess mit Bulgarien und Rumänien gestoppt werden?
Hannes Swoboda: Es herrscht nach wie vor große Skepsis, ob die Erweiterung funktioniert. Wir müssen hier die Bevölkerung emotional mitnehmen und bestimmte Probleme stärker angehen vor den nächsten Erweiterungsschritten. Das bedeutet sicherlich keinen Verhandlungsstopp. Aber die Verhandlungen werden eher strenger, denn lockerer werden - wenn die EU nicht zu einer freien Wirtschaftszone verkommen soll.
"Wiener Zeitung": ...was ja manche Mitgliedsländer bevorzugen würden.
Hannes Swoboda: Das ist richtig. Aber die EU wird bei den Beitrittsverhandlungen den Ländern helfen, die notwendigen Standards zu erreichen, und darauf achten, dass vor allem mehr soziales Gleichgewicht erreicht wird.
"Wiener Zeitung": Stellen Sie das Beitrittsdatum 2007 für Rumänien und Bulgarien in Frage?
Hannes Swoboda: Ich halte 2007 für irreal. Bulgarien hat aufgeholt, aber über den Standard in Rumänien wissen wir zu wenig. Beide Beitritte kommen erst nach der neuen Parlamentsperiode in Frage, also nicht vor 2009.
"Wiener Zeitung": Wird es zu Beitrittsgesprächen mit der Türkei kommen?
Hannes Swoboda: Leider ist das zu einem Wahlkampfthema geworden. Ich halte das für völlig verfehlt und verfrüht. Wir können nur beobachten, wie die beschlossenen Reformen umgesetzt werden. Es ist vernünftig, mit der Türkei zu reden, aber wir dürfen den Pfad in Richtung EU-Mitgliedschaft nicht zu früh beschreiten. Als Vorbereitung auf einen möglichen Beitritt bin ich für ein Abkommen "Europäischer Wirtschaftsraum plus" in Bereichen wie Sicherheit, Energie oder Umwelt.
"Wiener Zeitung": Wäre das dann die diskutierte "privilegierte Partnerschaft"?
Hannes Swoboda: Ja, man kann es auch "besondere regionale Partnerschaft" nennen. Sie lässt eine Mitgliedschaft der Türkei offen. Sie soll aber nicht anstelle eines EU-Beitritts treten.
"Wiener Zeitung": Die EU-Kandidatin Karin Resetarits hat gemeint, die türkische Bevölkerung wüsste selbst, dass ein Beitritt nicht vor 2024 möglich sei. Sehen Sie das auch so?
Hannes Swoboda: Es ist völliger Unfug, ein konkretes Beitrittsdatum zu nennen. Außerdem brauchen wir die EU-Verfassung. Und es ist noch vollkommen offen, ob sie tatsächlich kommt.
"Wiener Zeitung": Sie sind nicht optimistisch?
Hannes Swoboda: Entweder die Verfassung kommt überhaupt nicht, oder sie kommt in verwässerter Form.
"Wiener Zeitung": Bei welchen Punkten der Verfassung sind Sie besonders kritisch?
Hannes Swoboda: Wir brauchen eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und einen EU-Außenminister. Inakzeptabel wäre auch, wenn die einzig demokratisch gewählte Institution, nämlich das Parlament, wieder beschnitten und nicht das volle Mitspracherecht bei der Budgeterstellung erhalten würde.
"Wiener Zeitung": Kommen wir zurück zum 13. Juni. Die Wahlbeteiligung wird erwartungsgemäß wieder sehr gering sein. Wie kann hier gegensteuert werden?
Hannes Swoboda: Ich glaube, das ist ein Phänomen, mit dem man leben muss. Die Menschen sind unzufrieden. Ich selbst habe mir auch nicht dieses Europa erträumt. Bei Wahlen werden ja immer wieder Denkzettel verabreicht. Die Botschaft der SPÖ ist: Gebt uns den Zettel, nämlich den Wahlzettel, damit wir gemeinsam in Europa etwas bewegen können. Wir machen den Wählerinnen und Wählern ein breiteres Angebot - über die Spesenreform hinaus, dafür sind wir immer eingetreten.
"Wiener Zeitung": Wie lautet Ihr Wahlziel?
Hannes Swoboda: Natürlich wieder die Nummer Eins zu werden und zumindest sechs Sitze zu erreichen, sieben Mandate wären ein Traumergebnis.
"Wiener Zeitung": Heißt der nächste SPE-Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament Martin Schulz oder Hannes Swoboda?
Hannes Swoboda: Ich kämpfe nicht um Positionen, sondern um Einfluss. Mir geht's um die Arbeit für die Bevölkerung.
Zur Person
Hannes Swoboda wurde am 10. November 1946 in Bad Deutsch-Altenburg geboren. Nach dem Rechts- und Wirtschaftsstudium war er in der Wr. Arbeiterkammer tätig in der Finanzwirtschaft, Umweltpolitik und Kommunalpolitik. Seit 1983 Mitglied des Wr. Gemeinderates wurde er 1988 Stadtrat (zuerst für Stadtplanung, dann auch für Verkehr). 1996 wurde Swoboda Mitglied des Europäischen Parlaments.
Die Kandidaten
Für die SPÖ kandidieren am 13. Juni auf den Plätzen 1 bis 6 die bisherigen Abgeordneten:
1. Hannes Swoboda
2. Maria Berger
3. Herbert Bösch
4. Christa Prets
5. Harald Ettl
6. Karin Scheele
7. Jörg Leichtfried
8. Gertraud Knoll
9. Wolfgang Bulfon
10. Sabine Klausner
11. Helmut Bachmann