Hans Marte, Präsident der Stiftung "Pro Oriente", spricht über Chancen und Grenzen der Ökumene: freundliche Gesten der Patriarchen von Konstantinopel und Moskau, abweisende Radikalität in den Athos-Klöstern - und islamische Gesprächsverweigerung.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wiener Zeitung: Die Stiftung Pro Oriente wurde von Kardinal Franz König 1964 in Wien gegründet, in der Endphase des II. Vatikanischen Konzils, noch ehe das Ökumenismus-Dekret "Unitatis Redintegratio" promulgiert (d.h. öffentlich verkündet) war, und zwar in der Absicht, die Beziehungen zu allen orthodoxen und orientalisch-orthodoxen Kirchen zu fördern - im freien wissenschaftlichen Austausch, ohne Weisungen von oben. War dieser Versuch erfolgreich? Hans Marte: Schon im Jahre 1971 wurde bei einem Treffen von Katholiken mit den Orientalen - mit Kopten, Syrern, Armeniern - ein Durchbruch erzielt mit der "Wiener Christologischen Formel". Der spätere Koptenpapst Shenouda III. machte damals den Vorschlag: Schreiben wir doch einfach nieder, was wir heute unter Christus verstehen. Die Definitionen waren einander sehr ähnlich. Und die Divergenz, die Rom und Byzanz von den Orientalen seit dem 5. Jahrhundert, seit dem Konzil von Chalcedon, trennte, wurde als linguistisches Missverständnis bezeichnet.
Trotz des Appells von Papst Johannes II. im Jahr 2000, dass die Ost- und Westkirche "wie zwei Lungenflügel" sein sollten, scheint die Ökumene-Euphorie des späten 20. Jahrhunderts abgeklungen zu sein.
Wir sind viel realistischer geworden. Spektakuläre Ereignisse gab es nicht - etwa einen Papst-Besuch in Moskau. Doch man begegnet einander heute zumindest auf der oberen und mittleren Ebene anders - man beschimpft sich nicht mehr als Häretiker. 2006 hatten wir in Wien ein Gespräch von Theologen und anderen Wissenschaftern, delegiert teils vom päpstlichen Kulturrat, teils vom Moskauer Patriarchat. Dabei wurde offen über alles gesprochen, von den christlichen Wurzeln Europas bis zu aktuellen ethischen und moralischen Fragestellungen.
Der damalige Moskauer Metropolit Kyrill stellte abschließend fest: Wir sind "jedino myschlenniki", das heißt: "eines Sinnes". Ausgespart blieben nur die Themen Papsttum und unierte Kirchen. Der Dialog mit den orientalisch-orthodoxen Kirchen ist in mancher Hinsicht leichter als mit den orthodoxen Kirchen, die, mit Ausnahme Griechenlands, seit den frühen 1990er Jahren vor allem mit der Wiedererrichtung ihrer kirchlichen Strukturen und der Wiederfindung ihrer national-religiösen Identität beschäftigt sind.
Die Patriarchate Moskau und Bukarest beobachten seit 1989 argwöhnisch die Auferstehung der unierten, nämlich der griechisch-katholische Kirche in der Westukraine und in Rumänien.
Die orthodoxe Kirche in Rumänien hat unter Ceausescu zwar auch gelitten, war aber offiziell geduldet, während die mit Rom unierte Kirche verboten war und alle ihre Bischöfe verfolgt wurden, mit Ausnahme von Kardinal Todea, der unter Hausarrest stand. Die Situation in der Sowjetunion bzw. in der ukrainischen SSR, wo die meisten Unierten leben, war ähnlich.
Die orthodoxe Kirche Serbiens ist in Mazedonien und Montenegro in Nationalitätenkonflikte verwickelt, Kirchenführer tun sich gegenseitig in Acht und Bann.
Die Abspaltungstendenzen in Mazedonien und Montenegro belasten die serbisch-orthodoxe Kirche schwer. Auch innerhalb Serbiens bereitet der abgesetzte und all seiner Funktionen enthobene Bischof Artemije (Radosavljevic) der Kirche große Sorgen, weil er viele Getreue um sich gesammelt hat.
Der neue, ökumenisch offene serbische Patriarch Irinej I. (Gavrilovic) wagt es derzeit nicht, den Papst offiziell für 2013 zum 1700-Jahre-Jubiläum des Edikts von Mailand, in dem Kaiser Konstantin den Christen volle Religionsfreiheit gewährte, einzuladen. Er versucht alles zu vermeiden, was die Einheit der serbisch-orthodoxen Kirche gefährden könnte.
Wie hat sich die Stiftung Pro Oriente nach dem Tod von Kardinal König 2004 entwickelt?
Pro Oriente hat ihre Bedeutung für den ökumenischen Dialog bewahren können, weil sie ständig bemüht ist, sich mit den jeweils aktuellen Fragestellungen zu befassen. Diese liegen seit der Wende 1989 weit weniger im theologischen als im außer-theologischen Bereich. Die Unterschiede in der politischen Geschichte, der sozio-kulturellen Entwicklung in Ost und West und besonders in den Mentalitäten sind neu aufgebrochen. Das Arbeitsprogramm 2010 war das umfangreichste in der Geschichte der Stiftung.
Es gibt das Gerücht, dass der Bau neuer Moscheen in Bosnien-Herzegowina mit arabischem Geld unterstützt wird.
Der ehemalige Iman Dzevad Hodzic aus Sarajavo sprach das bei der Pro Oriente-Tagung "Sakralisierung des öffentlichen Raumes in Südosteuropa nach der Wende 1989/90" offen an: Es gibt Probleme mit radikalen Kräften, die unter dem Einfluss des wahabitischen Islam stehen.
Eine Stütze für alte, "autokephale", also eigenständige Kirchen ist deren jeweiliges Nationalkloster am Athos.
Ja, diese Klöster sind für die Kirchen wichtige spirituelle Elemente.
Im serbisch-orthodoxen Kloster Hilandar, oder in dessen Nähe, sollen sich Mitte der neunziger Jahre Radovan Karadzic und Ratko Mladic versteckt gehalten haben.
Wir haben mit dem Athos keine direkte Verbindung. Die große Mehrheit der Klöster steht der katholischen Kirche äußerst kritisch gegenüber. Die Vorbehalte bestehen jedoch nicht nur gegenüber der katholischen Kirche, sondern auch gegenüber dem ökumenischen Patriarchat, was dessen dessen Aktivitäten gegenüber der katholischen Kirche betrifft. Gewiss gibt es am Athos auch heiligmäßige Mönche, aber die militant anti-ökumenische Ausrichtung ist erschreckend. Viele Athos-Klöster, aber auch orthodoxe Würdenträger besonders aus Griechenland und anderen orthodoxen Ländern, haben im April 2009 ein Dokument unterzeichnet, das unter "Confession Of Faith Against Ecumenism" im Internet zu finden ist. Darin finden sich etwa Aussagen wie: "Die katholische Kirche ist der Mutterschoß aller Häresien" oder "die Orthodoxie ist allein die wahre Kirche". Und das Ökumene-Verständnis sieht so aus: Die Kirchen des Westens sollen zuhören, was wir über Glauben, Tradition und Sitten zu sagen haben - und dann orthodox werden. Im Jänner 2007 schickten alle zwanzig Athosklöster dem Patriarchen von Konstantinopel einen Brief, in dem sie ihn hart kritisierten, weil er den Papst in Istanbul mit den Worten "Gesegnet bist du, der du kommst im Namen des Herrn" begrüßt hatte.
Also doch weniger Optimismus?
Der Franziskaner Pierbattista Pizzaballo, Leiter der Kustodie im Heiligen Land, sagte einmal: "In Christus sind wir geeint, in allem anderen aber getrennt". Doch ich sehe auch Annäherungen. Die Beziehungen zwischen Rom und Moskau sind recht verheißungsvoll. Metropolit Hilarion, Leiter des Kirchlichen Außenamts in Moskau, und Kardinal Kurt Koch, Präsident des päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, haben im März 2011 sehr gute Gespräche geführt. In Fribourg haben sie sogar gemeinsam zwei Bäumchen gepflanzt.
Der vom Vatikan 1980 begonnene "Theologische Dialog" zwischen römisch-katholischer und orthodoxer Kirche fand 2010 erstmals in Wien statt, ausgerichtet von Pro Oriente.
Ja, aber leider ohne großen Erfolg: Es ging um die Rolle des Bischofs von Rom im ersten Jahrtausend. Man ist sich zwar einig, dass die Kirche einen Ersten, einen Protos , braucht; an der Frage der konkreten Befugnisse scheiden sich jedoch die Geister. Kardinal Christoph Schönborn brachte es auf den Punkt: Der nüchterne Erfolg der Tagung war, dass sie nicht abgebrochen wurde. Schon 1974 hatten sich die Kirchen in Wien zu einer Tagung mit dem Titel "Koinonia" getroffen; sie gab den entscheidenden Impuls für den Beginn des Dialogprozesses im Jahre 1980 auf Rhodos. Bei einer weiteren Plenarversammlung in Baltimore im Jahr 2000 ging man allerdings im Streit auseinander; Ursache war die Frage der unierten Kirchen. In der Folge hat Pro Oriente die Geschichte der Kirchenunionen von Brest 1596 und von Siebenbürgen 1700 quellenkritisch untersucht; 2010 konnte ein erster Teil der Forschungsergebnisse in gedruckter Form vorgelegt werden.
Viel dramatischer als das bisweilen von Eitelkeiten verdüsterte Spannungsfeld zwischen Rom, Konstantinopel und Moskau sind aber die Konflikte zwischen Christen und Muslimen, man denke an die Massaker unter Kirchenbesuchern in Beirut oder unter Kopten in Ägypten, man denke an die Ermordung des einzigen christlichen Ministers in Pakistan. Es gab 2000/2003 hoffnungsvolle Dialoge zwischen der Katholischen Kirche und den Iranern, mit Andreas Bsteh von den Steyler Missionaren als Vertrauensmann des Vatikans. Ist davon etwas geblieben?
Wir haben keinen allgemeinen Auftrag für einen Dialog mit dem Islam. Aber da faktisch alle Kirchen des Nahen Ostens Probleme mit dem Islam haben, ist er auch für uns ein Thema geworden. Seit Mitte der neunziger Jahre arbeitete Pro Oriente die syrische Tradition wissenschaftlich auf. 2006 erweiterten wir auf syrischen Wunsch hin diesen Dialog zu einem "Forum Syriacum", das sich hauptsächlich mit der Begegnung dieser Kirchen mit dem Islam befasst.
Kardinal König hat schon 1965 einen Vortrag in der Al-Azhar-Universität in Kairo gehalten.
Ja, und in der ersten Zeit nach der islamischen Eroberung gab es viele Gespräche zwischen christlichen und islamischen Autoritäten (ich denke an Johannes von Damaskus), aber später, und eigentlich bis heute, kann man nur noch von einem "Dialog des Lebens" sprechen, d.h. man lebt nebeneinander. Der Islam ist in den letzten 500 Jahren weitgehend stehen geblieben, was auch muslimische Politiker einräumen. Die Kopten sagen uns, man könne mit den Muslimen ebenso wenig reden wie mit den Kommunisten. Es fehle eine eigentliche Theologie, sie zitierten nur, was im Koran stehe. Da er als unmittelbares Wort Gottes geglaubt wird, ist die wissenschaftliche Erforschung des Korans nicht gestattet, mit Ausnahme einer islamischen Akademie in Ankara, die das seit etwa drei Jahren vorsichtig gestattet.
Als Papst Benedikt XVI. nach den letzten Massakern, insbesondere in Alexandria zu Silvester 2010, die ägyptischen Behörden ermahnte, sie mögen die Christen mehr in Schutz nehmen, brach die Al-Azhar Universität den Dialog mit dem Vatikan ab.
Die Regensburger Rede des Papstes im Jahr 2006 hat das Verhältnis Katholiken-Muslime schwer belastet.
Die Rede hatte aber auch positive Auswirkungen: So haben etwa 138 islamische Gelehrte darauf mit einer Erklärung reagiert - nicht beleidigt, sondern erstaunlich maßvoll.
Zusammen mit Österreich und Spanien will Saudi-Arabien ein Zentrum für religiösen Dialog in Wien einrichten.
Ausgerechnet die Saudis! Auf dem von der Menschenrechtsorganisation "open door" erstellten Verfolgungsindex stehen sie weit oben. Unter jenen 40 Ländern, in denen es die stärksten Christenverfolgungen gibt, befinden sich 35 islamische Staaten. Die andern sind altkommunistische Diktaturen wie Nordkorea und Laos sowie Eritrea, ein neukommunistisches Land. Der Großscheich der Al-Azhar-Universität warnte uns vor diesem Projekt. Offenbar fühlt sich diese wichtigste gesamtislamische Institution übergangen.
Gibt es eine Strategie der Annäherung? Wo werden auf der Gegenseite härtere, wo weichere Positionen erwartet?
In Nigeria leben 60 Millionen Christen und 50 Millionen Muslimen. Ich war kürzlich dort. Obwohl das Land seiner Verfassung nach säkular ist, haben die zwölf Bundesstaaten im Norden des Landes die Scharia eingeführt. Kein Christ bekommt dort noch einen Job in einer staatlichen Einrichtung. Das ist Diskriminierung pur. Der nigerianische Prälat Obiora Ike sagte nach einem Schweigemarsch am 8. April 2011 in seiner Predigt im Stephansdom: "Wir lassen uns das Gottesgeschenk der Menschenwürde und der Menschenrechte nicht nehmen."
Auch alle unsere Partnerkirchen im Nahen Osten halten einen Religionsdialog mit dem Islam für sinnlos. Es geht ihnen einzig und allein um gleiche Bürgerrechte und vor allem um Religionsfreiheit. Sie geben Papst Benedikt XVI. Recht, wenn er sagt: Religionsfreiheit ist die Freiheit der Freiheiten.
Die Position des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel ist prekär, weil er einer kleinen lokalen Gemeinde von nur noch 1500, vielleicht sogar nur 1000 Seelen vorsteht. Trotzdem scheint der türkische Staat sich um eine Entspannung zu bemühen, wohl auch wegen der Verhandlungen mit der EU.
Dem türkischen Staat geht es darum, in der Gemeinschaft der Völker gut dazustehen und eine Vorreiterrolle in der Region zu spielen. Zwei Kirchen in Anatolien, eine orthodoxe und eine armenische, wurden im vergangenen Jahr für je einen Gottesdienst wieder eröffnet. 14 im Ausland lebende Metropoliten erhielten im letzten Oktober die türkische Staatsbürgerschaft. Damit scheint die Nachfolge auf dem Patriarchensitz gesichert, da dieser nur von einem türkischen Staatsbürger besetzt werden darf. Als ranghöchster Politiker seit 1952 besuchte im Jänner 2011 Vizepremier Bülent Arinc den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios.
Die Regierung in Ankara lehnte aber kurz darauf den Antrag des Vatikans auf einen Rechtsstatus für die Katholische Kirche ab. Das dürfte die Arbeit des österreichischen St. Georg Kollegs und des St. Georg Krankenhauses nicht gerade leichter machen.
Das ist richtig. Doch der Premierminister hat in letzter Zeit gegenüber der christlichen Minderheit konziliantere Töne angeschlagen, und z.B. die Genehmigung der erwähnten Gottesdienste gegenüber islamischen Fundamentalisten mit den Worten verteidigt: "Warum sollen die Christen eine Gefahr für den Staat sein, es sind doch nur so wenige."
Zahlenmäßig viel stärker als die Orthodoxen und die Katholiken sind in der Türkei die Armenier. Die Wunden des Genozids von 1915/17 sind noch nicht verheilt. Der Krieg, den die Armenier 1991 gegen das islamische Aserbaidschan führten, war doch letztlich auch ein Religionskrieg.
Auch ich sehe solche Motive. Das österreichische Außenministerium wird am 21. Juni in Wien eine Kaukasus-Konferenz durchführen. Pro Oriente ist in die Vorbereitungen eingebunden, weil auch die führenden religiösen Würdenträger aus Aserbaidschan, Georgien und Armenien eingeladen sind.
Zur PersonHans Marte wurde 1935 in Feldkirch, Vorarlberg, geboren. Nachdem er das humanistische Gymnasium absolviert hatte, studierte er an der Juridischen Fakultät der Universität Innsbruck. Von 1963 bis 1969 war Marte als Richter in Bregenz tätig. Von 1969 bis 1971 war er zuständig für Auslandskulturangelegenheiten beim Bundesministerium und leitete danach bis 1974 das österreichische Kulturinstitut in Warschau. Von 1974 bis 1982 gehörte er als Kulturrat der österreichischen Botschaft in Moskau an. 1986 wurde er zum Sektionschef im Wissenschaftsministerium ernannt und war in dieser Funktion für wissenschaftliche Bibliotheken, Bundesmuseen und Denkmalschutz zuständig. Von 1993 bis 2000 leitete er als Generaldirektor die Österreichische Nationalbibliothek.
Von 1989 bis 2003 war Marte überdies Präsident des Vereins zur Erforschung der Geschichte der Juden in Österreich und von 2001 bis 2008 auch Präsident der österreichischen UNESCO-Kommission.
1990 wurde Marte Kurator der Stiftung Pro Oriente, der er seit 2001 als Präsident vorsteht. Die Stiftung setzt sich sich für die Annäherung der römisch-katholischen Kirchen an die Kirchen des Ostens ein.
Partner-Kirchen von Pro Oriente sind die Patriarchate von Konstantinopel, Alexandria, Antiochia, Jerusalem; die Orthodoxen Kirchen von Russland, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Georgien, Zypern, Griechenland, Polen, Albanien, Finnland, der Tschechischen und der Slowakischen Republik, Estlands; die Koptische, Syrische, Armenische, Malankara-Syrische, Äthiopische und Eritreische Orientalisch-Orthodoxe Kirche sowie die Assyrische Kirche des Ostens, zu der auch die Chaldäisch-Katholische Kirche gehört, die im Irak von Islamisten verfolgt wird.
Hans Haider, geboren 1946, lebt als Kulturjournalist und Publizist in Wien. Theater- und Architekturkritiker der "Wiener Zeitung".
LinkWebsite Pro Oriente