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Hans-Peter Raddatz

Von Stefan Melichar

Reflexionen

Der Orientforscher und Autor Hans-Peter Raddatz über die religiösen und politischen Besonderheiten des Iran, den Atomstreit und die Integrationsproblematik. | Wiener Zeitung:Westliche Staaten sind sehr beunruhigt darüber, dass gerade der Iran Atomwaffen entwickeln könnte. Aus welchem Grund?


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Hans-Peter Raddatz: Verglichen mit den westlichen Atommächten, muss man den Iran in der Tat als nukleares Risiko einschätzen. Denn hier kommt eine religiöse Denkweise hinzu, die die Bombe als Geschenk Allahs betrachtet und seinem Willen gemäß einsetzen möchte.

Woher kommt diese Einstellung?

Die schiitische Islam-Variante ist messianisch ausgerichtet. Das heißt, man erwartet eine übernatürliche Entwicklung, die irgendwann die Erlösung bringt.

Sie meinen das Erscheinen des sagenumwobenen "verborgenen Imam", das, wie der iranische Präsident gerne betont, mit einem gleißenden Licht einhergeht. Eine Anspielung auf eine Atombomben-Explosion?

So wie sich Ahmadi-Nejad in der Literatur und in seinen Statements darstellt, muss man ihn sehr ernst nehmen. Er macht den Eindruck eines gläubigen Schiiten, der alles wörtlich nimmt, was man ihm in den Glaubensgrundlagen beigebracht hat.

Auch islamistische Terroristen berufen sich gerne auf Glaubensgrundlagen. Ayatollah Khomeni hat Beten und Töten als untrennbare Einheit bezeichnet. Ist jeder Iraner ein potenzieller Selbstmordattentäter?

Natürlich nicht. Aber man kann schon sagen, dass jeder Iraner oder Muslim, den man hinreichend indoktriniert, in die Gefahr gerät, zum Gewaltinstrument zu werden. Das Problem ist, dass man nicht zwischen Islam und Islamismus trennen kann, weil beide auf den gleichen Grundlagen beruhen. Sie bezeichnen lediglich ein Spektrum unterschiedlicher Friedensbzw. Gewaltbereitschaft. Die schwache Reaktion der friedlichen Muslime auf Attentate bestätigt diese fehlende Trennung.

Sie beschreiben in Ihren Büchern die Grundlagen des schiitischen Islam als die Tradition des Selbstopfers und als die Selbstermächtigung des einzelnen Gläubigen zum Djihad. Wie kann man aus dieser Todes-Ideologie ausbrechen?

Im Gegensatz zum sunnitischen Muslim kann sich der schiitische Gläubige in bestimmten Grenzen ein eigenes Urteil bilden. Khomeni nutzte diesen Freiraum, um den Klerus als politische Führung einzusetzen. So entstand im Iran eine besonders aggressive, totalitäre Ideologie. Dagegen gibt es aber auch Widerstand. So argumentieren manche Intellektuelle, die allerdings in permanenter Bedrohung leben, dass gerade diese Urteilsfähigkeit dazu verpflichtet, die Gewaltherrschaft in ein konstruktiveres Konzept umzuwandeln.

Wie tief verankert sind radikale Ideologien im Bewusstsein des iranischen Normalbürgers?

In der Masse gibt es nicht wenige Namensmuslime, die vielleicht einmal in der Woche in die Moschee gehen und ansonsten Allah einen guten Mann sein lassen. Diese Menschen haben ein schwieriges Dasein zu bewältigen und verschwenden keinen Gedanken auf Attentate und dergleichen. Daneben ist in der jungen Bevölkerung der Anteil derer hoch, die zwar nicht gegen das Regime agieren, aber von der westlichen Zivilisation fasziniert, nach offizieller Lesart "infiziert" sind.

Sie weisen immer wieder darauf hin, dass eine eindeutige Trennung zwischen dem Islam und dem "terroristischen Islamismus" unzulässig sei. Wie sind nun die Aussagen islamischer Repräsentanten in europäischen Ländern zu bewerten, die erklären, der Islam sei eine friedliche Religion?

Das Wort "Der Islam ist Frieden", ist subjektiv richtig - insofern als aus muslimischer Sicht der Frieden eintritt, wenn sich alle dem Gesetz Allahs unterworfen haben. Um dieser Art Frieden Geltung zu verschaffen, müsste man das Gesetz Allahs in der Verfassung verankern. Das würde Religionsfreiheit, Frauenrechte und das rechtsstaatliches Gewaltmonopol außer Kraft setzten. Dann erst könnte sich der islamische Frieden ausbreiten.

Sie kritisieren europäische Politiker dafür, die Welt insbesondere in Integrationsfragen durch eine "muslimische Brille" zu betrachten. Wie ist das gemeint?

Die europäischen Eliten haben vom religiösen und vom politisch-historischen Hintergrund des Islam sehr wenig Kenntnis. Ihr plakativer Politikstil kann dieses Problemfeld nicht wirklich erfassen, weil man die Dinge kurzfristig und oberflächlich angeht. Das führt dazu, dass man den Wünschen der Muslime nachgibt, weil es bequem ist und auch "tolerant" erscheint.

Können Sie ein Beispiel geben?

Moscheebau, Islamunterricht und Frauenfragen werden immer problematischer, weil man die Defizite des Islam umgeht. Zum Beispiel wurde in Italien unlängst einer angeblich ungehorsamen Frau die Kehle durchgeschnitten. Ministerpräsident Prodi meinte daraufhin, da nicht alle Muslime mordeten, dürfe man sie nicht unter Generalverdacht stellen. Hier handelt es sich um eine bewährte Formel, die Gewalt indirekt legitimiert. Während nämlich niemand pauschal verdächtigen will, wird zugleich die Kritik am Tatbestand selbst ausgehebelt. Konfliktfelder werden nicht offen und objektiv diskutiert, sondern mit Keulenbegriffen wie "Generalverdacht", "Polemik" oder sogar "Rassismus" erstickt.

Sie stehen der Einwanderungspolitik der EU-Staaten in Bezug auf Muslime generell skeptisch gegenüber.

Nicht ohne Begründung. Wie erwähnt, hängen die muslimischen Zuwanderer einer politisch motivierten Religion an. Ohne hinreichende Kontrolle werden sie sich früher oder später gegen die Grundregeln der demokratischen Verfassung wenden. Dies hat nichts mit Intoleranz zu tun, sondern gehört zum Glauben an Allah. Aus den bekannten Rohstoff- und Exportgründen arrangiert sich Europa mit islamischen Interessen. Diese bestehen wiederum auch darin, große Migrantenkontingente nach Europa zu schleusen, um den Druck des raschen Bevölkerungswachstums zu entspannen.

Sie betrachten einen möglichen EU-Beitritt der Türkei als entscheidenden Schritt des Islam nach Europa. Gerade Österreich opponiert gegen diesen Beitrittswunsch. Deutet das nicht doch darauf hin, dass man sich nicht unreflektiert dem Islam an den Hals wirft?

Das hat manchmal den Anschein. Wir befinden uns allerdings in einem für den Islam günstigen Mainstream, der begrenzte Korrekturen zulässt, aber seine Tendenz beibehält. Österreich wäre nicht der erste Fall, in dem ein EU-Staat seinen Widerstand gegen den Willen der Eurokraten aufgäbe, wenn ihm hinreichend lukrative Gegenleistungen angeboten werden. Vergessen wir nicht, welche massiven Interessen sich mit dem Türkei-Beitritt verbinden. Da es aber Widerstand in der Türkei selbst gibt, darf man vermuten, dass dort die sogenannten "Reformen" immer unwichtiger werden.

Im Zusammenhang mit dem sogenannten "Karikaturenstreit" werfen Sie den europäischen Staaten - etwas überspitzt - vor, das eigene Rechtssystem an die islamische Scharia anpassen zu wollen. Wie hätte man sich damals verhalten sollen?

Bekannt ist die Tendenz zu milden Urteilen für muslimische Straftäter. Der Streit über die Karikaturen machte da keine Ausnahme. Hier islamisiert sich die Demokratie, indem sie die Meinungsfreiheit spaltet. Während die eigene Kultur endlos karikiert oder auch diffamiert werden kann, sind unsere Meinungsführer und die Repräsentanten des Islam höchst aufgeregt, wenn man deren politischen Anspruch ins Lächerliche zieht. Dabei wird verschwiegen, dass bei Missbrauch der Meinungsfreiheit der Klageweg offen steht.

Warum gibt es diese Aufregung immer dann, wenn es um den Islam geht?

Weil die Religion des Islam in erster Linie politische Interessen verfolgt. Langfristig kann sie weder Meinungsnoch Religionsfreiheit dulden. Ansprüche in Richtung Integration oder Kompromiss bedeuten Abweichungen von ihrer Doktrin und erzeugen Aggression. Sehr häufig fällt das Wort von der "Provokation".

Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Aufregung rund um die umstrittenen Äußerungen des Papstes bei seiner Deutschlandreise?

Weil man zu kohärentem Denken nicht fähig ist, hat man ein Zitat aus dem Kontext gerissen und den "Islam der Straße" aktiviert. Die Randalierer, die oft gar nicht wissen, warum sie an den Tumulten teilnehmen, sind ein optimales, weltweit verbreitetes Drohmittel. Um "die Gefühle der Muslime nicht zu verletzen", scheint eine neue Inquisition vonnöten, die unseren "Respekt" sichert und weitere "Provokationen" verhindert. Das bestätigt sich in den neuerlichen Gewaltreaktionen. Die sogenannte "Respektlosigkeit" des Papstes liegt darin, dass er die Religionen aufgefordert hat, den Glauben ohne Gewalt zu verbreiten.

Wir sprechen gerne von westlichen Werten und vergessen dabei ganz, dass wir Jahrhunderte gebraucht haben, um sie zu erlangen. Können wir das von einem Tag auf den anderen vom Islam verlangen?

Von einem Tag auf den anderen nicht, davon ist ja keine Rede. Schon seit den 60er-Jahren hätte man ein gemeinsames Konzept entwickeln können. Aber aus Bequemlichkeit und Unwissen heraus hat man versäumt, den "Dialog" realistisch zu führen. Sollten wir überhaupt noch demokratiefähig sein, ist es an der Zeit, die schweigende Mehrheit der Muslime und ihre konstruktive Mitte zum Sprechen zu bringen.

Geschieht das nicht?

Mit islamischen Repräsentanten, die oft als Sicherheitsrisiko gelten, ist das kaum zu machen. Und auf EU-Ebene wird eine Täuschung der Bevölkerung betrieben. Hier vermarktet man den Islam als "gemeinsames Wertesystem". Tony Blair sieht den Koran als das fortschrittlichste Buch aller Zeiten. Solche Ergebenheitsadressen signalisieren genau das, was die Glaubensgrundlagen der Muslime fordern, nämlich die Nachordnung und Unterwerfung aller nicht-islamischen Systeme.

Wie müsste man Ihrer Meinung nach vorgehen?

Ein Dialog im Sinne europäischer Wissensfreiheit würde ein emanzipiertes, objektives Gespräch voraussetzen. Das heißt, die Partner müssten auch ihnen unangenehme Information zulassen und aufhören, ihre Position, in diesem Fall die islamische, pauschal zu diktieren.

Die österreichische Innenministerin Liese Prokop ergeht sich nicht in Demutsgesten. Sie hat eine Studie präsentiert, laut der 45 Prozent der in Österreich lebenden Muslime "integrationsunwillig" wären. Diese Studie war sehr umstritten. Wie würden Sie eine solche Erhebung durchführen?

Ich würde zunächst einmal zwischen urbanen Muslimgemeinschaften und solchen, die im ländlichen Raum angesiedelt sind, unterscheiden. Je größer eine Muslimgemeinschaft ist, desto weniger integrationsfähig ist sie, weil man sich gegenseitig auf die Einhaltung der Vorschriften hin beobachtet. Ich weiß zwar nicht, welche Randbedingungen bei dieser Erhebung zugrunde gelegt worden sind, halte aber das Ergebnis mit rund 50:50 für realistisch. Natürlich nennt man es "umstritten", weil es nicht der gewünschten Linie entspricht.

Sie bezeichnen andere Orientalisten als wissenschaftlich korrumpiert. Diese nennen Sie im Gegenzug einen Stammtisch-Populisten. Ist das mehr als das übliche wissenschaftliche Hickhack?

Die Mainstream-Orientalisten arbeiten bevorzugt mit ideologischen Begriffen, weil ihnen ihre Gefälligkeitswissenschaft eine geistige Abhängigkeit vorschreibt. Die Vorkriegsorientalistik, also Bereiche wie Koran- und Traditionsforschung, wird weitgehend ignoriert, weil sie aus islamischer Sicht unkorrekte Ergebnisse anbietet. Die Verwendung frühislamischer Historiker ist fast schon verboten, weil diese ganz unbefangen die Gewalt beschreiben, mit der das Imperium Allahs aufgerichtet wurde. Deshalb gilt heute als "Wissenschaft", was dem gewünschten Bild vom Islam entspricht. Aber das ist im Grunde ganz normal in einem generellen Trend der Entdemokratisierung.

Hassen Sie eigentlich den Islam?

Analyse hat mit Hass nichts zu tun. Es handelt sich hier um eine Formulierung, die es so nur bei Islamisten und deren westlichen Helfern gibt, und die den gemeinsamen Radikalismus verdeutlicht. Gemäß ihrer Sicht muss man dieses Studienobjekt lieben oder selbst Muslim sein, um den Islam zu studieren. Dieser Logik entsprechend müsste man auch den Holocaust lieben, um die Vernichtungsstrategie der Nazis zu verstehen. Kein Wunder also, dass immer mehr Orientalisten konvertieren. Indem die Inhalte ins Psychologische gezogen werden, verliert die Wissenschaft ihre objektive Distanz. Der Intellekt wird insgesamt überflüssig, und es genügt, die Vertreter konträrer Standpunkte persönlich zu diffamieren, statt sich mit ihren Argumenten zu beschäftigen. Da dieser Trend immer weniger Differenzierung zulässt, werden die von ihm beeinflussten Wissenschafter oft zu Opfern ihrer Engstirnigkeit, sehen überall Feindbilder und gleiten in Verschwörungstheorien ab.

Gegen Sie gibt es eine Art Mordaufruf. Wie gehen Sie damit um?

Indem der Fall den Islamisierungsgrad der Justiz widerspiegelt, bestätigt er meine Analyse bedauerlich genau. Während die Staatsschützer Maßnahmen getroffen haben, und die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat, igeln sich das Bundeskriminalamt (BKA; Anm.) und das erstinstanzliche Gericht islamisch ein. So will man gegen den Bedroher kein Verfahren eröffnen. Dabei klingen ihre Begründungen fast wie Rechtsgutachten orthodoxer Imame und sind im Fall des BKA tatsächlich von Muslimen verfasst. Was den Bruch von Rechtsnormen angeht, könnte der Vorgang Pilotwirkung für die kommenden Entwicklungen erlangen.

Wie meinen Sie das?

Wir gehen schwierigen Zeiten entgegen, die jedoch auch ihre Chancen haben. Mein Fall eignet sich, die Anpassung der deutschen Rechtsinterpretation an den islamischen Anspruch aufzuzeigen. Umso mehr kommt es auf die Fähigkeit der Führungsebenen an, zwischen Respekt vor dem Islam und der Verantwortung für Staat und Gesellschaft zu unterscheiden.

Zur Person

Hans-Peter Raddatz wurde am 18. August 1941 geboren. Er studierte Orientalistik, Volkswirtschaftslehre und Ethnologie an den Universitäten Hamburg und Bonn. Nach der Promotion arbeitete er für internationale Banken und Firmen im Nahen Osten und in den USA. Heute ist Raddatz als Autor tätig, tritt bei Fernseh- und Podiumsdiskussionen auf und ist parteiloser Politik- und Medienberater.

Seit Mai 2001 veröffentlichte Raddatz im Münchner Herbig-Verlag eine Reihe von Büchern, in denen er eine kritische Betrachtung des Islam und der eigenen Gesellschaft vornimmt. Seine Analysen stützen sich auf orientalistische Forschung, naturwissenschaftliche Systemanalyse und die praktische Erfahrung mit dem Leben im Orient.

In seinen Büchern und Artikeln kritisiert Raddatz die Art und Weise, wie der "Dialog" zwischen westlicher und islamischer Welt bisher geführt wird. Er wirft europäischen Politikern vor, islamischen Interessen - besonders in Migrationsfragen - mit Unwissenheit gegenüber zu treten.

Raddatz fordert in Hinblick auf eine funktionierende Koexistenz von Muslimen und Nicht-Muslimen in Europa eine klare Trennung von Religion und Staat, die allseitige Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols und die Gleichberechtigung der Frau. Dabei sieht er sich als Wissenschaftler, der "nicht im Elfenbeinturm" lebt.

Raddatz möchte die "Unangemessenheit ideologischer Dogmen" und deren Gefahrenpotenziale für Europa verdeutlichen. Zu diesem Zweck versucht er mittels Begriffsbildungen, wie zum Beispiel "Euran" oder "Eurient", dem Leser komplexe Sachverhalte auf greifbare und nachvollziehbare Weise näher zu bringen. Einige dieser Wortschöpfungen haben sogar Eingang in den erweiterten Sprachgebrauch gefunden.

Allerdings stoßen Raddatz' Positionen und Engagement bei manchen Muslimen auf Ablehnung. So wurde im September 2005 ein "Gebet" ins Internet gestellt, das als Mordaufruf gegen den Wissenschaftler gedeutet werden kann.