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Harald Lesch: "Wetterphänomene verschärfen sich"

Von Sandra Fleck

Klimawandel
"Das Kalte wird kälter": Harald Lesch verbindet Vivaldis "Vier Jahreszeiten" mit dem Klimawandel.
© John McArthur

Der Wissenschaftsjournalist und das Merlin Ensemble Wien erinnern in Vivaldis "Die vier Jahreszeiten" an den Klimawandel.


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Eines der meistgespielten Stücke, "Die vier Jahreszeiten" von Antonio Vivaldi, zu modernisieren, ist das Bestreben des Merlin Ensembles Wien unter der Leitung von Martin Walch. Wie soll das vor sich gehen? Harald Lesch, Astrophysiker, Naturphilosoph und Wissenschaftsvermittler im Deutschen Fernsehen, wird während der Vorstellung am Mittwoch, 3. August, vom Ursprung des Universums und dem Zeitalter der Menschen sprechen. Das Theater im Park wird mit Lesch zum Kontrapunkt der Wohlfühlmusik.

"Wiener Zeitung": Wenn Vivaldi seine Komposition an das Heute anpassen müsste, wie würden "Die vier Jahreszeiten" klingen?

Harald Lesch: Es wäre Heavy Metal. Schon jetzt gibt es richtig heftige Stellen mit Donner, Blitz und Hagel. Wenn das Orchester hinter mir loslegt, spüre ich förmlich diesen Musikdruck. Das fegt über mich hinweg. Vivaldi würde heute deutlich mehr Passagen reinhauen, die einerseits ganz still sind, wo überhaupt kein Ton zu hören ist, eventuell nur eine flache Linie, und dann schießt auf einmal alles los und schlägt drauf mit allem, was zur Verfügung steht. Das Harmonische und Fröhliche wie beim Hirtentanz, das neben dem Dramatischen, fast schon Tragischem, immer wieder in allen vier Jahreszeiten auftaucht, würde es nicht mehr geben. Zwar bin ich kein Musikwissenschafter, aber man kann in alle vier Jahreszeiten mehr Power legen, weil sie in der Atmosphäre ist und die Klimakatastrophe darstellt.

Vom Ideal der Jahreszeiten ausgehend: Was wird sich verändern?

In Europa wird subtropisches Klima herrschen. Aufgrund der höheren Temperaturen wandern die Klimazonen vom Äquator zu den Polen hinauf. Die biologisch-aktiven Grünphasen werden immer länger. Die Natur hat kaum Zeit, sich zu erholen. Verändert sich die Flora, verändert sich auch die Fauna. Unsere neuen tierischen Mitbewohner können Verbreiter von Krankheitserregern sein. Auch Pflanzen aus wärmeren Zonen breiten sich aus, es findet eine biologische Wanderung statt.

Vivaldi war Europäer und in unserem Raum herrschen viele alte Bauernregeln. Kann man sich daran noch orientieren?

Man konnte sich noch nie an Bauernregeln orientieren. Am besten ist noch immer die: "Regnet es im Mai, ist der April vorbei." Das kann man nicht ernst nehmen. Das Wetter in der untersten Schicht der Atmosphäre ist viel zu komplex, als es in Regeln abzubilden. Es handelt sich bestenfalls um Erfahrungswerte. Sicher ist, dass wir monsunartige Regenereignisse in Europa nie hatten.

Wie entstehen eigentlich klimatische Jahreszeiten?

Die Erde dreht sich in einer geneigten Rotationsachse um die Sonne. Dadurch kommt es immer wieder zu Veränderungen der Einstrahlmöglichkeit für die Sonne, die in Intensität und Dauer im Jahresverlauf variiert. Daher die berühmten 21er-Tage: Frühlingsbeginn am 21. März. Da sind Tag und Nacht gleich lang. Am 21. Juni steht die Sonne am höchsten und wir haben den längsten Tag. Dann haben wir den 21. September und Dezember. Mit Sommeranfang treffen die Sonnenstrahlen mittags in einem Winkel von rund 60 Grad auf die Erdoberfläche. Bei Frühling- und Herbstbeginn liegt er bei 40 Grad.

In Vivaldis "Frühling" hören wir, wie der Landschaft Leben eingehaucht wird und die Insekten schwirren. Klingt eine Neukomposition nach Hochwasser?

Wenn es wirklich zu solchen massiven Überflutungen kommt wie in der Eifel, dann hört man keine Geräusche der Natur mehr, sondern vermehrt technische; vor allem Tatütata, schreiende Menschen, die auf Dächern sitzen und auf Hubschrauber warten, oder Häuser, die unter dem Wasserdruck zusammenbrechen. Am nächsten Morgen wird Vogelzwitschern zu hören sein, weil sich das Wetter genauso schlagartig beruhigt, wie es zu toben beginnt.

Wie hat Vivaldis Musik Sie berührt?

Wenn man mitten im Orchester steht, hört man die einzelnen Instrumente ganz unmittelbar. Das ist ein unglaubliches Gefühl. Stehe ich zwischen den Musikern, hört sich das bei den Violinen ganz anders an als neben dem Cembalo oder hinter dem Fagottisten. Direkt vor dem kleinen Ensemble bekommt man diese physikalische Erfahrung viel stärker mit als im Publikumsraum.

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mitten in der Aufführung der 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven - also quasi Hochleistungssport.

Ich würde förmlich aus dem Saal fliehen. Musik hat viel Kraft. Stünde ich in einem riesigen Orchester für Unwetter, wäre das nicht auszuhalten. Musik ist die menschliche Ausdrucksform schlechthin und gleichermaßen Auseinandersetzung und Erfahrung der inneren Welt. Die Kombination Mensch und Instrument ist eine besondere Form, die es braucht, um Töne zu erzeugen, die es auf natürliche Art und Weise nicht gibt.

In Vivaldis Winter kann man Eiskristalle wachsen hören, bevor es zu extremen Winden kommt. Was dürfen wir hier kompositorisch und klimabedingt erwarten?

Ein Bild sich langsam bildendender Kristalle lässt sich nicht mehr malen. Es macht knack, alles ist eiskalt und Flüsse sind durchgefroren. Hochdruckgebiete, die uns im Sommer Höchsttemperaturen bescheren, sorgen im Winter für niedrigste Temperaturen. Ein Wind würde bedeuten, dass man einen Druckunterschied hat. Aber bei diesen stabilen Wetterlagen, wie wir sie im Moment erleben, kommt die Polarströmung ungebremst auf den Kontinent. Wir Europäer haben den Vorteil, dass der Nordatlantik und die Nordsee auf dem Weg liegen. Dort ist Wärme aus dem Sommer gespeichert, sodass die Temperaturen nicht wie in Kanada oder den USA auf minus 50 Grad fallen. In den Städten Chicago oder New York, in denen die Kälte zwischen den Hochhäusern beschleunigt wird, ist nicht mehr von Wind zu sprechen, sondern von brutalem Sturm.

 

Wird der Herbst eher länger oder kürzer?

Der Herbst, wenn er überhaupt noch existiert, wird abrupt einsetzen. Vom Sommer geht es ohne Übergangsphase in einen kurzen Herbst, in dem Blätter rasch fallen. Das kann passieren, ohne dass es zu einer Herbstfärbung kommt, weil die Bäume vertrocknen oder es zu Baumschäden durch den Borkenkäfer kommt. Das Farbenspiel wird nicht lange sein und Stürme fegen durch die Wälder. Ich möchte kein Katastrophenszenario geben, aber letzten Endes werden sich die Wetterphänomene, die wir kennen, verschärfen. Das Kalte wird kälter und das Warme wird heißer.

Die "Vier Jahreszeiten" im Klimawandel Von Harald Lesch und Martin Walch Theater im Park am Belvedere Mittwoch, 4. August, 20 Uhr https://theaterimpark.at/