Zum Hauptinhalt springen

Hard Brexit vertreibt EU-Wissenschafter

Von Eva Stanzl

Wissen

Bei einem Hard Brexit würden Forschern im Vereinigten Königreich mit einem Schlag mehrere Milliarden Euro fehlen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Vor dem geplanten Brexit kommt die britische Wirtschaft ins Straucheln. Das Bruttoinlandsprodukt sank von April bis Juni erstmals seit 2012, teilte die britische Statistikbehörde Freitag mit. Dennoch hält Premier Boris Johnson daran fest, notfalls einen Austritt ohne Abkommen per 31. Oktober durchziehen zu wollen. Für Wissenschaft und Forschung wären die Folgen eines Hard Brexit katastrophal, sagt Hermann Hauser, in Österreich geborener Ingenieur, Computer- und Risikokapital-Unternehmer in Großbritannien.

"Wiener Zeitung": Großbritannien stellt sich auf einen harten Brexit ein. Auf europäische Top-Wissenschafter will Premier Boris Johnson aber dennoch nicht verzichten. Um sicherzustellen, dass die britische Wissenschaftslandschaft keine Verluste erleidet, hat er ein beschleunigtes Visa-Verfahren für Spitzenforscher aus der EU angekündigt. Bisher hatten europäische Forschende kein Visum gebraucht, wohingegen die Verfahren für Nicht-EU-Forscher langwierig und teuer sind. Reicht Johnsons Schritt, um die Probleme eines No Deal Brexit zu lindern?

Hermann Hauser: Ach, woher denn. Es ist vor dem Hintergrund der Lage eine vernünftige Initiative, aber ein typischer Fall, wo Boris Johnson der Headline wegen PR macht. Außerdem ist die Idee nicht neu. Spezielle Visa für außergewöhnliche Leute aus Drittstaaten, die Besonderes leisten, existieren in England seit zehn Jahren, das gibt es auch für Unternehmer. Jetzt soll es halt auf die EU ausgeweitet werden.

Bei einer Forschungsreise von Austrian Cooperative Reserarch im Mai, kurz nachdem Premierministerin Theresa May ihren Rückzug von der Parteispitze der Konservativen angekündigt hatte, wurde die Unsicherheit deutlich. Niemand wisse, was zu erwarten sei, daher herrsche Business as Usual, hieß es an der Universität Cambridge und am Imperial College London. Hat sich die Stimmung gedreht?

Es weiß noch immer niemand, wo es hingeht. Es ist möglich, dass Boris Johnson einen No Deal radikal durchzieht. Aber es besteht auch die Möglichkeit, dass er einlenkt. Er ist ein Mann, dessen einziges Prinzip sich danach richtet, was gut für Boris Johnson ist und was ihm als Politiker hilft.

Die akademische Welt ist jedenfalls vom Brexit stark enttäuscht, weil sie international ausgerichtet ist und weltweite Verbindungen sehr wichtig sind. Schon bei der Abstimmung votierten 70 Prozent der Akademiker für den Verbleib in der EU, in der Royal Society waren es sogar 90 Prozent. Die größte Gefahr geht davon aus, dass das Vereinigte Königreich künftig nicht mehr beim Rahmenprogramm "Horizon Europe" (das 2021 bis 2027 insgesamt 100 Milliarden Euro an Forschungsförderungen ausschüttet, Anm.) dabei ist. Brüssel zeigt große Bereitschaft, es dabei zu haben, aber mit Boris Johnson ist alles wieder in Frage gestellt.

Das Vereinigte Königreich nimmt nach Schweden, Dänemark, Frankreich und den Niederlanden Platz 5 in der Gruppe der führenden Innovationsländer in Europa ein. Inwieweit gefährdet ein Hard Brexit diese Position?

Ein No Deal Brexit, besonders wenn England nicht Teil von "Horizon Europe" wird, ist eine Gefahr. England hat fünf Milliarden Euro zu diesem Programm beigesteuert, aber acht Milliarden zurückbekommen und somit großen Profit gemacht. Spitzen-Universitäten wie Cambridge zählen zu den Gewinnern der Förderpreise des Europäischen Forschungsrats (ERC) für exzellente Grundlagenforschung. Und England kann dann möglicherweise auch nicht am European Innovation Council zur Innovationsentwicklung teilnehmen, wodurch es noch einmal zehn Milliarden verlieren würde. Diese Größenordnungen könnten dem Land schaden.

Wie leicht ist es für Top-Unis wie Oxford und Cambridge, ihren lange etablierten Ruf zu verlieren?

Diese Universitäten sind hochrenommiert, kommen gut aus und werden wahrscheinlich überleben. Aber die Verbindungen mit Europa und die ERC Grants fehlen. Das heißt nicht, dass Cambridge untergehen wird, aber es wird ihm Schaden zufügen.

Könnte ein wissenschaftliches "Little Britain" entstehen, das für internationale Top-Leute unattraktiv ist?

Unattraktiver, würde ich sagen. Schon allein in Cambridge reden viele Forscher davon, dass sie wieder nach Hause zurückgehen und Forscher aus Europa nicht mehr nach England kommen. Auch die Immigration aus Europa ist deutlich zurückgegangen. Insgesamt hat sie sich zwar nicht verändert, aber das liegt daran, dass die Rückgänge aus der EU durch Zuwächse aus anderen Staaten, wie Pakistan, Indien und dem asiatischen Raum wettgemacht werden. Was das mit dem Land tut, muss sich weisen. Ich würde aber sagen, dass Europäer sich leichter in die britische Gesellschaft eingliedern als Asiaten oder die steigende Anzahl an Personen aus China, die derzeit aufgenommen werden.

Sie verbrachten Ihre Kindheit in Tirol, besuchten das Gymnasium in Kufstein und eine Sprachschule in Cambridge. Nach dem Studium der Physik in Wien promovierten Sie an der Uni Cambridge und wurden als Gründer der britischen Firma Acorn bekannt, die den ARM Prozessor für Mobiltelefone erfand. Wäre Ihre Karriere nach dem Brexit möglich?

Eine Karriere wie meine halte ich auch in Zukunft für möglich, aber man muss den harten Weg einschlagen. Ich ging schon 1973 nach England, als es noch nicht in der EU war. Ich musste somit eine Aufenthaltsbewilligung bekommen, wobei die Bürokratie damals noch papiergeladen und viel langsamer war, weswegen sich meine Anwesenheit hier eines Tages mit dem Prozedere überschnitt: Ich hatte Acorn bereits gegründet, als die Behörden entdeckten, dass ich gar nicht mehr hier sein hätte dürfen. Damals habe ich aber schon 400 Leute in England beschäftigt. Also bekam ich eine Aufenthaltsbewilligung für immer. Ich bin jedoch österreichischer Staatsbürger geblieben.

Inwieweit ließen sich die Brexit-Auswirkungen durch eine stärkere Zusammenarbeit der Briten mit den USA kompensieren?

50 Prozent der Exporte aus England gehen nach Europa, nur 14 Prozent gehen in die USA. Das zu kompensieren ist kurzzeitig unmöglich. Der Hauptgrund, warum US-Präsident Donald Trump an einem Deal mit England interessiert ist, ist weil er die EU zerschlagen will. Außer China ist sie die einzige Union, die stark genug ist, um ihm Pari zu bieten. Zudem will er seine Agrarexporte forcieren, weil US-Farmer unter dem Handelskrieg mit China leiden.

Welche Auswirkungen erwarten Sie für Unternehmensgründungen im britischen Silicon Valley nahe Chambridge, Silicon Fen?

Wir werden weniger Europäer haben, aber der Effekt wird hier nicht allzu groß sein. Nicht nur die Akademiker, sondern auch die Startups wären lieber bei der EU, aber das Startup-System wird deswegen nicht zusammenbrechen, so eklatant ist das nicht. Somit sind die größten Veränderungen darin zu befürchten, dass England beim Pendant zu den ERC Grants, den EIC Grants, nicht dabei ist. Mit den Geldern will das European Innovation Council Ergebnisse von europäischen Universitäten kommerzialisieren. Die USA haben fünf Mal mehr Venture Capital als Europa, Europa aber produziert mehr Startups als die USA. Also fördert die EU den Aufbau dieser Gründer mit zehn Milliarden Euro über sieben Jahre. Bei einem Hard Brexit kann England möglicherweise nicht mitmachen. Das schadet beiden, England aber noch viel mehr.

Wie viel eigenes Venture Capital hat England? Und kann es die Effekte eines Brexit tatsächlich, wie vor der Abstimmung angekündigt, aus eigener Tasche kompensieren?

In englische Unternehmen ist noch immer mehr Venture Capital investiert als in alle anderen europäischen Firmen. Es ist so: Die Amerikaner haben pro Nase fünf Mal so viel Geld für risikoreiche Unternehmen wie wir Europäer und ein Viertel unseres Risikokapitals ist in England. Startups werden daher weiterhin nach England gehen. Aber die Insel wird immer weniger attraktiv, weil Europa beim Risikokapital aufholt. Bei modernen Technologien im Finanzdienstleistungsbereich manifestiert sich übrigens ein Gegentrend. Bisher war London der führende Cluster, nun aber wird Berlin sehr attraktiv und billiger, viele Fintec-Unternehmen gehen also weg. Was die europäische Forschungsförderung betrifft, so kann die defizitäre englische Regierungskasse sie vermutlich nicht kompensieren.