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"Hard Power allein ist zu wenig"

Von Walter Hämmerle

Politik

Großrazzia gegen Dschihadisten in Österreich. Interview mit Extremismusforscher Nico Prucha.


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Wien. 13 Festnahmen, 900 Beamte im Einsatz, zahlreiche Durchsuchungen: Die Staatsmacht demonstrierte am frühen Freitagmorgen eine ziemlich unmissverständliche Botschaft. Adressiert war diese an islamistische Extremisten in Österreich und ihre Sympathisanten. Und sie lautete ins Umgangssprachliche übersetzt: Wir beobachten euch, wir wissen, wer und wo ihr seid!

Bei der Großrazzia in Graz, Wien und Linz, an der 900 Polizisten beteiligt waren, wurden Propagandamaterial, Datenträger und Bargeld beschlagnahmt sowie 13 Personen unter dem Verdacht der Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen im Zusammenhang mit der Rekrutierung für den Bürgerkrieg in Syrien vernommen. Laut Schätzungen sollen 160 Dschihadisten aus Österreich, rund die Hälfte Tschetschenen, den Weg in den Bürgerkrieg gefunden haben. Hauptzielperson der Aktion war laut Medien ein im Sandschak geborener serbischer Staatsbürger und mutmaßlicher Hassprediger mit Verbindungen zum Islam wahhabitischer Prägung aus Saudi-Arabien.

Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem in Wien lebenden deutschen Extremismusforscher Nico Prucha, der ab Jänner am Londoner King’s College forscht.

"Wiener Zeitung": Wie gut wissen die Behörden über die islamistische Extremistenszene Bescheid?Nico Prucha: Aus meiner Sicht ganz gut. Die Szene ist ja relativ klein und lässt sich von daher einfach überwachen.

Was bewirken solche medienwirksamen Großrazzien, wie sie am Freitag etwa in Österreich stattgefunden haben? Wirken solche Aktionen, ist es nur Aktivismus?

Das ist ähnlich wie beim rechtsextremistischen Milieu: Auch hier gibt es die diversen militanten Proponenten und zusätzlich einen gewissen Stamm an Sympathisanten, der mobilisiert und unterstützt. Indem der Staat sein Gewaltmonopol offen und gut sichtbar ausspielt, zeigt er, dass er bestimmte Gefahren und Gefährdungen erkannt hat. Solche Aktionen können durchaus Teil einer Präventionsstrategie sein, aber Machtdemonstrationen allein reichen dafür nicht aus.

Was muss getan werden, um die Radikalisierung junger Muslime zu verhindern?

Neben der Hard Power braucht es auch Soft Power, also Maßnahmen im sozialen Bereich etwa mithilfe von Sozial- und Jugendarbeitern. Ein gutes Beispiel, wie man das umsetzen könnte, ist Indonesien, ein Land mit 250 Millionen vorwiegend muslimischen Einwohnern, das diesbezüglich kaum wahrgenommen wird. Die Mehrheit der 200 Millionen Muslime sind Sunniten, es gibt hier jedoch kaum Extremisten und religiös motivierte Gewalt, weil vor allem auf sozialer Ebene viel Präventionsarbeit geleistet wird.

Mit Verlaub: Indonesien war bis vor kurzem eine Diktatur mit einer etwas anderen politischen Kultur.

Trotzdem könnte sich das Land zu einem Vorbild für den Westen entwickeln, wie mit dem Problem umgegangen werden kann. Hier stemmen sich etwa religiöse Autoritäten gegen die theologischen Argumente der Dschihadisten und widerlegen diese. Natürlich schreckt Indonesien aber auch nicht davor zurück, bei Bedarf auf Hard Power zurückzugreifen.

Was ist das Erfolgsgeheimnis der Extremisten?

Den Extremisten ist es gelungen, sich als legitime Repräsentanten der sunnitischen Strömung im Islam darzustellen. Dazu instrumentalisieren sie bekannte historische Figuren, Symbole, Erzählungen und Rollenbilder - männliche wie weibliche - für ihre Zwecke. Das ist Teil ihrer Propagandastrategie und stellt die westlichen Staaten vor das Dilemma, wie damit umzugehen ist, ohne noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Die Propaganda des IS zielt auf ein bestimmtes Publikum. Aktivisten vor Ort passen die Botschaften an die Verhältnisse in Österreich an, indem sie die Ereignisse aus Sicht eines Wiener Muslims darstellen.