Atom-Deal gibt der moderat geltenden Regierung unter Präsident Rohani neuen Auftrieb.
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Teheran/Wien. Am 14. Juli wurde der Atom-Deal zwischen dem Iran und der 5+1-Gruppe (fünf UN-Vetomächte plus Deutschland) nach 13 Jahren besiegelt. Am gestrigen Montag folgte in New York die UN-Resolution zum Atomabkommen, das die Implementierung des Deals einleitet. Der UN-Sicherheitsrat votierte einstimmig für die Abschaffung der Strafmaßnahmen. Tatsächlich aufgehoben werden die Kontosperren, Reiseverbote und Wirtschaftssanktionen erst, wenn Teheran seinen Verpflichtungen im Atomabkommen nachgekommen ist. Ein Waffenembargo bleibt bestehen.
Zeitgleich absolvierte der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel als erster hochrangiger EU-Vertreter samt Wirtschaftsdelegation einen Iran-Besuch bei Präsident Hassan Rohani. Er soll als Türöffner für die Wiederbelebung der deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen dienen, die ein Jahrzehnt auf Sparflamme waren. Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer will im Herbst als erstes EU-Staatsoberhaupt seit 2005 den Iran besuchen.
Neben dem Ende der außenpolitischen Isolation wirbelt der Atomdeal aber auch die inner-iranischen Verhältnisse gehörig durcheinander. Die dem 109 Seiten langen Papier nicht wohlgesonnenen Hardliner stehen mit dem Rücken zur Wand und werden keine Mühen scheuen, den Deal zu beanstanden und Rohani und seinen Außenminister, Mohammad Javad Zarif, zu kritisieren. Doch ihre Munition ist begrenzt, denn die Mehrheit der Bevölkerung erhofft sich vom Deal endlich eine Verbesserung des Alltags, eine Öffnung zum Westen. Sie steht hinter Zarif und Rohani, die als Nationalhelden gefeiert werden.
Hupkonzerte, tanzende Frauen, die schon mal während der Freudensprünge ihr Kopftuch vom Haar gleiten lassen und Partystimmung mit westlicher Musik im Iran folgten der Verkündung der Einigung in Wien. Dass es auch "Obama"-Sprechchöre gab, dürfte die Hardliner doppelt geärgert haben.
Machtkampf vor Wahlen
Die ultrakonservativen Kräfte, die das Sagen in den Bereichen Militär, Parlament, Justiz und Zensur haben, fürchten, dass die Welle der Sympathie für die Reformer und Pragmatiker ihre Macht einschränken könnte. Immerhin stehen Anfang 2016 sowohl Parlamentswahlen als auch Expertenratswahlen an. 290 Abgeordnete und 86 Geistliche, die über den Obersten Geistlichen Führer Ali Khamenei urteilen, sind zu bestellen. Derzeit ist die überwiegende Mehrheit dieser Gremien aus dem Lager der Hardliner. Dies könnte sich ändern. Das ist auch deshalb wichtig, weil der Expertenrat den Nachfolger Khameneis, der schwer krank ist, bestellt.
Der zweitmächtigste Mann nach Khamenei, Chef des Schlichtungsrates und politischer Ziehvater Rohanis, Akbar Hashemi-Rafsanjani, ist das primäre Feindbild der Ultrakonservativen. Er lehnte sich bereits aus dem Fenster und kündigte nach dem Deal "weitreichende Veränderungen" an und brach mit einem Tabu. Es sei nicht unmöglich, dass die US-Botschaft in Teheran - in der US-Bürger von 1979 bis 1981 444 Tage lang als Geiseln gehalten wurden - nach 36 Jahren wieder geöffnet wird. Rafsanjani erinnerte an einen Ausspruch des verstorbenen Revolutionsführers Ayatollah Ruhollah Khomeini, der Ende der 1980er gemeint hatte: "Wenn sich die USA in humaner Weise verhalten, haben wir kein Problem mit ihnen."
Die Hardliner müssen sich nun warm anziehen, denn Khamenei hat sich zumindest hinsichtlich des Deals auf die Seite Rohanis, Zarifs und Rafsanjanis gestellt. Der innenpolitische Schlagabtausch ist nichts Neues. Rohani hatte die Hardliner im Herbst als "politische Feiglinge" bezeichnet. Er bezog sich damit vor allem auf die Vorbehalte gegen die Atomgespräche. "Sobald wir verhandeln, beginnen sie zu zittern. Schert euch zum Teufel und sucht euch einen warmen Ort", hatte er damals gewettert. Kurz darauf hagelte es Kritik. Rafsanjani hielt seine schützende Hand über die Regierung.
Für Khamenei steht nach der Einigung die Aufhebung der für den Iran schmerzhaften westlichen Wirtschaftssanktionen im Vordergrund. Die zentralen Fragen für die kommenden Monate lauten: Kann sich Rohani mit seinem Kurs durchsetzen? Schafft er es, die Hardliner von weiteren Schlüsselpositionen zu verdrängen oder muss er - wie bereits der ehemalige Reformpräsident Mohammad Khatami - die deutlichen Grenzen seiner Macht einsehen?