Geschlechterrollen sind bei Tieren sehr unterschiedlich verteilt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Berlin. Als die Tüpfel-Hyänen sich im Ngorongoro-Krater im Norden Tansanias begegnen, ist sofort klar, wer das Sagen hat. Eines der Tiere wirkt völlig unterwürfig: Es hat den Schwanz eingeklemmt, die Ohren liegen nach hinten, der Kopf ist leicht gesenkt und die Zähne schimmern zwischen den zurückgezogenen Lefzen. Seine beiden Gegenüber drücken genau das Gegenteil aus. Man könnte meinen: Hier stehen die Bosse. Dieser Eindruck ist zwar richtig, passt aber nicht so recht in das unter Zoologen gängige Bild der Tüpfel-Hyänen-Gesellschaft, in der Frauen-Power die Regel scheint und die Männchen wenig zu sagen haben. Nur ist das unterwürfige Tier ein Weibchen, während beide Bosse Männchen sind. Haben also vielleicht doch die Verhaltensforscher recht, die bei Säugetieren häufig die Männchen in der Führungsebene sehen?
Weibchen in der Führungsrolle
Beispiele wie die Gorillas, bei denen normalerweise ein starkes Männchen einen eigenen Harem hat, unterlegen diese Theorie ja recht klar. Nur gibt es eben auch gute Gründe, aus denen die Evolution in Fällen wie bei den Elefanten, den Schwertwalen oder eben den Tüpfel-Hyänen Weibchen an der Spitze der Hierarchie bevorzugt. Jedoch müssen Verhaltensforscher schon genauer hinschauen, um diese Gründe aufzudecken und zu erklären. "Genau das haben wir getan", sagt Oliver Höner vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Seit April 1996 beobachtet er im Ngorongoro-Krater acht Hyänen-Gruppen. Seither untersuchte er mit Kollegen eine ganze Reihe von Möglichkeiten, mit denen die Weibchen sich ihre Führungsrolle sichern. So sind sie nicht nur größer als die Männchen, sondern haben auch eine stark vergrößerte Klitoris, die beinahe die Größe eines Penis erreicht. Obendrein verlangt deren Form den Männchen im entscheidenden Moment einen sehr schwierigen Balanceakt auf dem Rücken der Weibchen ab. Die Weibchen sind Herrinnen des Geschehens - und können sich ihren Partner einfach aussuchen.
Viel wichtiger als solche Äußerlichkeiten aber scheint das Sozialleben. Den Hinweis lieferten die 4133 Konflikte zwischen den Hyänen: Je besser und dichter sein Geflecht aus Beziehungen ist, umso höher steigt ein Tier in der Hierarchie. Die richtigen Verhaltensweisen lernt der Nachwuchs von seiner Mutter. Das wiederum macht die Hierarchie der Tüpfel-Hyänen ähnlich wie eine absolutistische Erbmonarchie bei uns Menschen relativ starr. Weil der Nachwuchs der Clan-Chefin das Verhalten der Oberschicht von Kindesbeinen an lernt und perfekt beherrscht, kann er sich gut im Establishment halten. Das System funktioniert recht zuverlässig: "Alternde Clan-Chefinnen geben zum Beispiel das Zepter oft friedlich an ihre Töchter ab", erklärt Höner.
Manchmal aber werden die potenziellen Thronfolger ungeduldig und versuchen einen Putsch. Das passiere oft, wenn die Chefin gerade auf einem Streifzug weit weg ist. Die Erfolgschancen steigen dann mit der Zahl der Verbündeten, auf die Putschisten zurückgreifen können. Und genau diese entscheiden auch darüber, wer einen Konflikt zwischen zwei Hyänen gewinnt: Als Sieger geht das Tier vom Platz, das mehr Unterstützer hat.
Die Hyänen-Hierarchie
Dabei müssen die Verbündeten gar nicht anwesend sein. Es genügt, wenn eine Hyäne weiß, dass sie im Notfall schnell zu Hilfe kommen würden. Das zeigt sich besonders bei Begegnungen zwischen zwei Hyänen, die beide gerade außerhalb ihrer Gruppe unterwegs sind. Fast immer gewinnt das Tier, das näher an seinem Zuhause ist. Genau deshalb ziehen in diesen Fällen auch eigentlich hochrangige Weibchen bei Begegnungen mit den in der Hyänen-Hierarchie für gewöhnlich tiefer stehenden Männchen den Schwanz ein und legen die Ohren an: Die Männchen sind näher an ihrem Zuhause und bekämen schneller Hilfe.
Solche Erfolgserlebnisse kommen jedoch selten vor, weil die Männchen den Clan, in dem sie geboren wurden, sehr häufig verlassen, nachdem sie im Alter von zwei bis drei Jahren geschlechtsreif werden. So verringern sie das Risiko, sich mit engen Verwandten zu paaren, weil ihre Schwestern, Tanten und Nichten meist zuhause bleiben. Dabei verlieren sie aber auch ihr gesamtes Geflecht an Beziehungen und müssen in der Hyänen-Hierarchie wieder ganz unten anfangen. Da sie zuhause bleiben, vermeiden die Weibchen solche Brüche in ihrer Biografie.
"Auch bei anderen Säugetierarten beeinflussen die Chancen und Risiken der Fortpflanzung ihre Sozialsysteme", erklärt Gottfried Hohmann vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Dabei denkt der Spezialist für Menschenaffen etwa an Gorillas, bei denen sich die Männchen gerne einen Harem halten, um Nachwuchs zu schaffen. Aber auch die Weibchen profitieren vom Leben im Harem, den der Silberrücken vehement verteidigt.
Ähnliche Harems gibt es auch bei bestimmten Krallenäffchen in Südamerika. Nur sind dort die Rollen vertauscht und ein Weibchen hat zwei oder drei Männchen in ihrer Gruppe. Diese tragen auch den Nachwuchs, der nur zu seiner Mutter kommt, wenn der Hunger zu stark wird und die Kleinen gesäugt werden.
Die Erfahrung der Großen
Schwertwale und Elefanten setzen auf Familiengruppen, die von einem erfahrenen, älteren Weibchen geführt werden. Auch das hat seine Gründe: Beide Arten sind auf die Erfahrung und das Gedächtnis ihrer Groß- und sogar Urgroßmütter angewiesen. Die auch als Orcas bekannten Schwertwale spezialisieren sich auf unterschiedliche Beute von Heringen über Robben bis hin zu großen Haien, die sie mit ausgefeilten Methoden jagen und zur Strecke bringen. Die kleinen Schwertwale lernen diese Methoden in einer langen Ausbildung - von den Großen. Die alte Elefantenkuh wiederum erinnert sich bei extremen Dürren, wie sie vielleicht nur zweimal im Jahrhundert auftritt, vielleicht noch an eine verborgene Wasserstelle, an die sie im Teenageralter in ähnlicher Situation ihre eigene Großmutter geführt hat, die wiederum ihr Wissen noch von den Urahnen erworben hat.
Die Natur bietet also auch in Geschlechter- und Dominanzfragen aus mitunter guten Gründen recht unterschiedliche, aber praktisch immer maßgeschneiderte Lösungen an, in denen einmal das eine und das andere Mal das andere Geschlecht die Nase oder den Rüssel vorn hat.