Die Harmonisierung der Pensionssysteme müsste für den Sozialrechtler Wolfgang Mazal nicht unbedingt mit einer Vereinheitlichung einhergehen. Da dieses Ziel nun aber vorgegeben ist, sollte man sich Zeit lassen, um keine neuen Ungerechtigkeiten zu schaffen. Vor allem bei der Gestaltung der Übergangssituation sei Vorsicht angebracht: Die Parallelrechnung sollte überdacht werden.
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Nimmt man das Vokabel "Harmonisierung" ernst, würde es nicht zu einem Einheitspensionssystem, sondern zu einer wohlklingenden Vielfalt von Systemen führen, die - historisch gewachsenen und sachlich begründbaren - Unterschieden zwischen Berufen Rechnung tragen. Dass wir heute unter "Harmonie" einen "Einton" verstehen, zeigt letztlich, dass das Pensionsthema so stark emotionalisiert wurde, dass wir vermeinen, Unterschiede in der pensionsrechtlichen Stellung nicht mehr ertragen zu können.
Neben dem Umstand, dass einige wenige Unterschiede zwischen den Systemen geradezu schrill unsachlich waren, ist dafür ausschlaggebend, dass populistische Politik aller Couleurs den Mangel an sachlicher Information über die bestehenden Pensionssysteme ausnutzen konnte, um Disharmonie zwischen den Bürgern und die weit verbreitete Mentalität des Neides in Geldfragen zu fördern: Es entstand der Eindruck, als würde das Gesetz geradezu böswillig Gleiches aus unsachlichen Gründen ungleich behandeln.
Wenn der Weg zum einheitlichen Pensionssystem nunmehr unumkehrbar beschritten ist, ist dies wohl auch als Chance dafür zu sehen, die gesellschaftliche Homogenität zu fördern, trägt jedoch die Gefahr in sich, dass man vorschnell alles über einen Kamm schert, und neue Ungerechtigkeiten dadurch schafft, dass man Ungleiches ohne sachliche Gründe gleich behandelt. Diese Gefahr ist vor allem in der Gestaltung der Übergangssituation virulent: Was soll mit bereits nach altem Recht erworbenen Anwartschaften geschehen?
Der in den Überlegungen der Sozialpartner und der Punktation der Regierung zur Lösung dieses Problems gewählte Ansatz ist die so genannte Parallelrechnung: Die endgültige Pension soll sich aus zwei Teilen zusammensetzen, die - entsprechend der im jeweiligen System zurückgelegten Versicherungszeit - nach altem bzw. nach neuem Recht berechnet werden sollen. Dadurch kann man den Bürgern die Angst nehmen, dass bereits erworbene Anwartschaften und Ansprüche im Zuge der Harmonisierung "unter die Räder kommen", gibt den Menschen Zeit, sich auf das neue System einzustellen, ohne das alte System sofort über Bord zu werfen.
Problematisch ist jedoch, dass die Parallelrechnung administrativ aufwändig ist, weil man noch über Jahre und Jahrzehnte zwei Pensionen ausrechnen muss, und dass das Pensionskonto intransparent wird, weil man erst am Ende der Erwerbsbiographie berechnen kann, welcher Anteil der Pension nach altem und welcher nach neuem Recht zu bemessen ist.
Um neue Disharmonien zu vermeiden, ist daher zu raten, die Parallelrechnung zu überdenken und auch andere Übergangsszenarien in Betracht zu ziehen: Man könnte eine betragsmäßige Bewertung der im alten Recht erworbenen Anwartschaften vornehmen und für diese Zeiten einen Pauschalbetrag - als Startkapital - ins Pensionskonto einstellen; es wäre aber auch schon viel gewonnen, wenn man die Zeit der Parallelrechnung so kurz wie möglich gestaltet und rascher wirksame Regelungen für die Vereinheitlichung schafft.
Wichtig für all dies ist, sich für diese - und noch etliche andere - Fragen ausreichend Zeit zu nehmen. Ich habe aus meiner Kenntnis der Verantwortlichen nicht den Eindruck, dass man die Neuregelung verschleppen will. Wer die Politik unter Druck setzt, die komplexe Materie rasch durch das Parlament zu jagen, dem ist offenbar daran gelegen, die Harmonisierungsdebatte in eine neue Disharmonie zu bringen. Damit kann man allerdings vielleicht politisch kurzfristig punkten, dem Staat und uns Bürgern wäre jedoch nicht gedient.
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal lehrt am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien