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Hart an der Grenze zur Gängelung

Von Walter Hämmerle

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Österreicher zu sein, ist schon nicht leicht. Es zu werden, ist aber noch viel schwieriger. Ein Plädoyer für ein großzügigeres Wahlrecht.


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Es ist immer wieder bemerkenswert, auf welch abstruse Ideen eine Politik ohne Hausverstand mithilfe einer willigen Bürokratie kommt. Nur ein kleines Beispiel: Wer hätte gedacht, dass eine junge Frau, Akademikerin, angestellt und ledig, die im Alter von acht Jahren aus dem benachbarten Ausland nach Österreich kam, gleich einen doppelten Strafregisterauszug benötigt, um die hiesige Staatsbürgerschaft beantragen zu können: Einen aus Polen, dem Land ihrer Geburt, das sie wie gesagt als Achtjährige verlassen hat; und, weil sie ein Studienjahr in England verbrachte, auch noch einen Strafregisterauszug von Scotland Yard.

Selbstredend schläft der Teufel nie, und Vorsicht ist bekanntlich die Mutter aller Porzellankisten. Aber irgendwann kippt der politische Wunsch, angehende Österreicher und Österreicherinnen auf Herz und Nieren abzuklopfen, doch in eine bewusst in Kauf genommene Gängelung von unbescholtenen Mitbürgern, die einfach nur den Wunsch haben, den Status vollwertiger Bürger anzunehmen.

Jung, polyglott und gut ausgebildet: Nach den Gesetzen herkömmlicher politischer Logik müsste man solche Menschen mit offenen Armen willkommen heißen. Diesen Schritt würde auch das nackte Eigeninteresse nahelegen. Aber mitunter geschieht es eben, dass die Politik gegen die eigene Vernunft agiert. Nicht nur, aber schon ziemlich oft auch in Österreich.

Dabei kann man durchaus die Überzeugung vertreten, dass die Staatsbürgerschaft ohnehin kaum mehr Vorteile für den Betreffenden bringt. Tatsächlich ist man als Mitglied eines EU-Staates den Österreichern in fast allen Angelegenheiten gleichgestellt; und auch als Drittstaatsangehöriger kommt man in der Regel in den Genuss der allermeisten staatlichen Dienst- und damit auch Sozialleistungen.

Was fehlt, ist im Wesentlichen nur das Wahlrecht (EU-Bürger können immerhin auf Gemeinde- und Bezirksebene mitbestimmen).

Etwas mehr als 6,3 Millionen Bürger waren bei den Nationalratswahlen im vergangenen Herbst wahlberechtigt. Eigentlich hätten es fast eine Million mehr sein können.

Man kann nun trefflich darüber streiten, ob die Forderung nach einem Wahlrecht zumindest auch für EU-Bürger überhaupt relevant ist, wenn sogar die Staatsbürger dieses Recht immer mehr als lästige Pflicht wahrnehmen. Und bei der EU-Wahl hat sich zudem das Interesse der EU-Bürger in ziemlich überschaubaren Grenzen gehalten.

Dennoch ist es ein Fehler, dass die Debatte über ein zeitgemäßeres Wahlrecht zuletzt ausschließlich um die Vor- und Nachteile einer stärkeren Personalisierung kreiste. Die Integrationskraft eines Staates misst sich auch daran, die größtmögliche Zahl von Bürgern zur Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten zu gewinnen.

Es gab einmal eine Zeit, da waren die Menschen - jedenfalls gefühlstechnisch, wenn auch nicht faktisch - mehr auf den Staat angewiesen als umgekehrt. Mittlerweile hat sich diese Abhängigkeit weitgehend umgedreht: Bei immer mehr Problemen ist der Staat auf die Loyalität und Kreativität seiner Bürger angewiesen, um überhaupt Lösungen anbieten zu können.

Ein Grund mehr, möglichst viele, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben, dabei mitreden zu lassen.