Feig sein darf man nicht, meint Kurt Rothleitner. "Wenn so ein Riegel auf dich zustürmt, musst du als Verteidiger voll dagegenhalten", sagt der Wiener, der noch einer sportlichen Minderheit angehört. Wenn der 28-Jährige in geselliger Runde erzählt, dass er in der Kampfmannschaft des Lacrosse-Vereins Vienna Monarchs einen Stammplatz hat, erntet Kurt meistens Lacher von den Uneingeweihten.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Denn mit 105 Kilo Kampfgewicht auf gerade einmal 1,73 Meter wirkt er auf den ersten Blick nicht unbedingt wie ein Modellathlet. Und überhaupt: Was, bitteschön, soll denn Lacrosse sein?
Zur Erklärung: Lacrosse wurde ursprünglich von Indianerstämmen in Nordamerika gespielt, es diente zur Ertüchtigung der Krieger und wurde mitunter sogar statt einer Schlacht ausgetragen, um Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Stämmen zu klären. Heute wird es nicht in der Prärie, sondern auf Kunstrasen gespielt und ist vom Charakter her eine Mischung aus Eishockey und American Football. Auch den kriegerischen Touch hat es bis heute behalten, zumindest beim Herren-Lacrosse: Bodychecks und Körperkontakt sind nämlich ausdrücklich erlaubt (bei den Damen ist das anders, doch dazu später). Wie beim Football verlangt auch Lacrosse verschiedene Spielertypen, und das kommt dem eher kleinen, aber stämmigen Kurt Rothleitner, der gemeinsam mit seiner Frau Anne die Vienna Monarchs nicht nur auf dem Feld, sondern auch PR-mäßig betreut, gerade recht: "Einen Spieler wie mich kannst du im Sturm oder in der Verteidigung einsetzen. Da muss ich nämlich nicht so viel laufen, sondern vor allem meine Masse einsetzen", sagt er schmunzelnd. "Grundsätzlich sollte man natürlich schon konditionell vorbereitet sein, aber man kann mit der richtigen Position und technischem Können einiges kompensieren", fügt Kurt hinzu. "Die Mittelfeldspieler wiederum sind immer drahtig und schnell, da sie das ganze Spiel lang Sprints hinlegen müssen, und zwar über ordentliche Distanzen."
Geschickt und zweikampfstark. Geschicklichkeit beweisen die Spieler aber auch - schließlich müssen sie mit einem bis zu 1,82 Meter langen Schläger (Crosse oder Stick genannt) mit Netz einen tennisballgroßen Hartgummiball an der gegnerischen Mannschaft vorbei in deren Tor bugsieren. Zehn Mann treten dabei gegeneinander an, und nicht selten bleibt einer nach einem Zweikampf kurz liegen. Vor allem Schlüsselbeine neigen bei harten Zweikämpfen zum Brechen. Vergleichsweise harmlos, wenn auch nicht weniger spektakulär schaut es aus, wenn ein Spieler den Ball erobert hat und damit übers Feld läuft, während von hinten mit dem Schläger auf ihn eingedroschen wird. "Ja, blaue Flecken kriegt man davon vielleicht am Unterarm, aber gebrochen hab ich mir dabei noch nie was", wiegelt Kurt ab. Er selbst findet jedenfalls Fußball um einiges gefährlicher: "Wenn du da im Amateurbereich zuschaust, wie sie einander von hinten reinsteigen, kannst du richtig froh sein, dass du nur´ Lacrosse spielst."
Raffinesse statt Kraft. Richtig gesittet geht es bei den Damen zu. "Bei uns ist nämlich Körperkontakt verboten", erzählt Monarchs-Obfrau Anne Rothleitner, deren Team seit drei Jahren existiert (die Herren-Mannschaft der Vienna Monarchs gibt es seit 2003). Während die Herren mangelnde Fitness und Geschicklichkeit durch pure Kraft ausgleichen können, sind bei den Damen Taktik und Raffinesse umso wichtiger. Statt Schulter-, Ellbogen- und Handschutz sowie Helm (der Tormann hat außerdem einen Brustpanzer) tragen die meisten Spielerinnen nur Augen- und Mundschutz. Wilde Szenen gibt es aber auch hier, wie etwa die "Austrian Lacrosse Open" Anfang Mai mit Gastmannschaften aus ganz Europa gezeigt haben. Mehrmals musste die Rettung gerufen werden, letztendlich stellten sich aber die meisten Verletzungen als harmlos heraus. Insgesamt war es jedenfalls mehr eine Leistungsschau und ein Werbetag für diesen aufregenden Sport als ein harter Kampf um den ersten Turnierplatz (den die Monarchs übrigens ohne Niederlage für sich entschieden haben).
Der nächste Spieltag findet diesen Samstag in Wien-Hernals auf der Anlage des Post SV (1170 Wien, Lidlgasse 10) statt: Dann treffen die Monarchs-Damen auf die Vienna Cherokees und die Graz Gladiators, während die Herren die Bratislava Bats und die Ljubljana Dragons empfangen. Im Laufe der Saison gibt es nämlich nur ein halbes Dutzend Spieltage, an denen dafür gleich mehrere Mannschaften aufeinandertreffen.
Um die Österreichische Lacrosse Liga (ÖLL) interessanter zu machen, sind unter den acht Herren- und vier Damenmannschaften neben heimischen Vereinen erstmals auch Mannschaften aus den östlichen Nachbarländern dabei. Und da es sich bei den Spielern um Hobby-Lacrosser handelt, wollen die Veranstalter den Reiseaufwand natürlich möglichst klein halten.
Trainiert wird aber öfter, und zwar zweimal in der Woche auf Kunstrasen, solange es draußen warm ist - im Winter übersiedelt man dann in eine Turnhalle. Seit zwei Jahren gibt es neben dem Herren- und dem Damenteam auch eine Jugendmannschaft. "Wir haben zuletzt viele Vereinsmitglieder dazubekommen", erzählt Herrentrainer Andreas Seidler, der sich über jeden Neuzugang freut. "Den Ball mit dem Stick zu fangen und zu passen, ist eigentlich gar nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick aussieht", meint er. Nur, wie gesagt: Ganz feig sein darf man halt nicht.