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Washington - Wehende Fahnen auf den Bildschirmen, rotweiße Banner auf den Titelseiten: Zwei Monate nach den Terroranschlägen in New York und Washington schwelgen die amerikanischen Medien weiter in patriotischen Gefühlen und steigern damit ihre Auflagen und Quoten. Um die patriotische Stimmung nicht durch zu viele Berichte über das Leiden in Afghanistan zu gefährden, rief CNN-Chef Walter Isaacson seine Mitarbeiter kürzlich zu mehr "Ausgewogenheit" auf.
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Nach Angaben des Branchenblatts "Editor & Publisher" verzeichneten die meisten Zeitungen seit dem 11. September einen anhaltenden Auflagenzuwachs und erstmals seit 40 Jahren besteht die Aussicht auf ein Wachstum in der Branche. Die "Washington Post", die vor dem 11. September mit einem Auflagenschwund zu kämpfen hatte, konnte ihren täglichen Verkauf um 5 Prozent steigern. Viele Zeitungen nutzen die patriotische Stimmung und versuchen nun wie die "St. Petersburg Times" in Florida, über Verteilaktionen junge Leser zu gewinnen.
Für die großen Nachrichtensender hat sich die Rund-um-die-Uhr-Berichterstattung über den Krieg in Afghanistan und die Milzbrandfälle ebenfalls gelohnt. CNN, Fox News und MSNBC verdreifachten teilweise ihre Quoten. Nach wochenlangen aufgeblasenen Berichten über den Abgeordneten Gary Condit und die verschwundene Regierungspraktikantin Chandra Levy konnten sie dem Zuschauer endlich wieder "harte News" liefern.
Teure Berichterstattung
Doch die Kriegsberichterstattung bringt zwar mehr Zuschauer, sie ist aber auch teuer. Das "Wall Street Journal" errechnete, dass die Medien bereits 100 Millionen Dollar für die kontinuierliche Berichterstattung aus der Krisenregion und die ausgiebigen Recherchen an der Milzbrand-Front ausgegeben haben. Dazu kommen Einnahmenverluste durch entgangene Werbung direkt nach den Anschlägen in Höhe von 500 Millionen Dollar.
Doch die Medienkonzerne wollen am Ball bleiben. "Wir werden, was auch immer nötig ist, ausgeben, um die Story angemessen zu berichten", schwört der AOL Time Warner-Finanzmanager Michael Kelly. Indem man in diesen Zeiten gut und ausgewogen berichte, baue man bei den Zuschauern und Lesern Vertrauen in eine Marke auf. Um dieses Vertrauen und die Ausgewogenheit macht sich allerdings der Chef von CNN, das zu AOL Time Warner gehört, Sorge. Isaacson verlangte von seine Korrespondenten, sie sollten bei Berichten über die Zerstörungen in Afghanistan und das Elend der Bevölkerung darauf hinweisen, dass die Taliban-Führung mörderischen Terroristen Schutz gewähre. Für CNN International, das sich vor allem an ein ausländisches Publikum richtet, scheint diese Anordnung nicht zu gelten.
Während aus den Reihen der CNN-Korrespondenten leises Murren gegen die "pro-amerikanische" Berichterstattung zu vernehmen war, erhielt Isaacson Unterstützung von seinem schärfsten Gegner: Der Vizechef des politisch rechts von CNN angesiedelten Konkurrenten Fox News, John Moody, sagte, die Anordnung sei "keine schlechte Sache". Die Zuschauer bräuchten den Zusammenhang. Davon geht auch das Weiße Haus aus. Es forderte die Sender auf, bei der Ausstrahlung neuer Videobotschaften des mutmaßlichen Top-Terroristen Osama bin Laden Vorsicht walten zu lassen. Präsidentensprecher Ari Fleischer nannte die Videobotschaften "Propaganda".