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Harte Zeit für Mautpreller

Von Werner Grotte

Politik

Jeder ihrer 39 100-kW-Volkswagen-Vans ist gut 100.000 Euro wert und mit modernster Technik hochgerüstet. Die beiden "Maut-Scouts" darin überprüfen neben Mautsündern auch Vignetten und werden im Ernstfall sogar von der Exekutive zu Unfall- oder Verkehrssicherung herangezogen. Eigens von der Gendarmerie ausgebildet, tragen sie seit Jahresbeginn sieben Tage die Woche rund um die Uhr dazu bei, den erwarteten 600-Millionen-Mauteinnahmetopf zu füllen. Die "Wiener Zeitung" fuhr einen rasanten Einsatz mit.


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"Da unten, der Rote, der ist nur eine Minute vor uns und hat ein altes Delikt offen", tönt es von vorne, und der geräumige Van beschleunigt. Vergeblich sucht man den "Roten" vor der Windschutzscheibe: "Am Computerdisplay müssens schauen, ganz unten", erklärt Beifahrer Dejan. Tatsächlich, auf einer übersichtlichen Laptop-Maske erkennt man nacheinander parallel alle soeben am Van vorbeiziehenden Lkw mit Kennzeichen, Nationalität, Ladegut, Güteklasse - und potenzielle Mautsünden. In weisser Schrift, oben, wenn sie nicht sündigen. Der "Rote" prangt ganz unten; er hat nicht bezahlt. Und wir kommen ihm immer näher.

Der "gläserne Lkw"?

Genauso könnte man es formulieren. Ein großer Wurf der Technik, der am ehesten mit dem Mobilfunk zu vergleichen ist. Das System funktioniert so: Alle Lkw und Busse in Österreich über 3,5 Tonnen, die das 2.000-Kilometer-Autobahn- und-Schnellstraßen-Netz der Asfinag befahren, müssen seit Jahresbeginn mit einer sogenannten "GO-Box" ausgerüstet sein. Diese wird vom Fahrer - ähnlich wie beim Wertkartentelefon - entweder schon vor Fahrtantritt aufgeladen; größere Speditionen bezahlen wahlweise aber auch per Abbuchung vom "Konto" im Nachhinein, mittels Debit-, Kredit- oder Tankkarte.

Wichtig ist nur, dass bezahlt wird. Und deshalb ist jede GO-Box im Mikrowellen-Hochfrequenzbereich mit insgesamt 400 bundesweit flächendeckend installierten Mautportalen verbunden. Zusätzlich bringt die Autobahnbetreibergesellschaft Asfinag noch mobile Funkstationen zum Einsatz. Sie registrieren regelmäßig alle Bewegungen der GO-Box, sobald der Lkw eine mautpflichtige Autobahn oder Schnellstraße befährt.

Die Jagd beginnt

Im Einsatzwagen der Maut-Kontrolleure können sowohl die Daten aller Lkw in der Nähe erfasst werden, als auch die der vom "System" bereits ertappten Mautpreller, die sich in zumutbarer Entfernung befinden. Auch für Delikte, die bis zu drei Monate zurückliegen.

So wie beim "Roten". Der sich übrigens nach kurzer Aufholjagd mit Blaulicht und 160 km/h in Richtung Korneuburg als "Blauer" (Lkw) mit slowenischem Kennzeichen entpuppt. Das "System" hat ihn wegen einer bereits etliche Tage zurückliegenden Mautprellerei gespeichert, nun ist er offensichtlich wieder in Österreich unterwegs. Nach dem Überholvorgang setzt sich der Einsatzwagen vor den Blauen, ein aktiviertes Leuchtschild im Heck fordert den Fahrer international zu "follow me" auf. Vorsichtig, "weil es gibt welche, die biegen plötzlich ab und sind weg", wie Dejan versichert, wird er auf den nächsten Rastplatz gelotst.

Kein Deutsch, kein Geld

Der Fahrer ist völlig perplex und will kein Deutsch können. Pikanterweise ist aber zufällig Dejan als gebürtiger Kroate dabei, der neben perfektem Deutsch auch alle slawischen Sprachen beherrscht. Der Fahrer wird aufgeklärt, dass er (oder ein Speditionskollege) zweimal ohne Maut zu bezahlen in Österreich unterwegs war und dass nun eine Buße von gesamt 220 Euro fällig ist.

Nun will der Slowene auf seiner Auslandsreise aber weder Geld, noch Kredit- oder Tankkarte mithaben. "Das glaubt ihm zwar keiner, aber wir geben ihm eine Chance. Es geht ja schließlich um kein Verbrechen, sondern um eine Verwaltungsübertretung", entscheidet Dejans Co-Part Wolfgang, mit 57 Jahren ebenso erfahren wie gutmütig. Stur nach Vorschrift könnte er Frachtpapiere und Zulassung konfiszieren, den Lkw (Ladegut: acht Paletten Stahlwolle für das Lagerhaus Stockerau) mit "Radkrallen" festsetzen und den Fahrer im Schneesturm stehen lassen.

In weiterer Folge würde Anzeige erstattet, "und samt Gerichtskostenersatz mit allem Drum und Dran könnte dieser Mautsünder bis zu 800 Euro berappen", rechnet Dejan vor. Und das ist noch nicht alles. "Wenn der Betrag nach 72 Stunden nicht bei uns einbezahlt ist, kann Lkw samt Ladung sogar beschlagnahmt und versteigert werden", zitiert Wolfgang das Bundesstraßen-Mautgesetz. Aber zum Glück wird diesmal nicht so heiß gekocht, wie es einem bei dem Wetter gerne wäre. Der "Blaue Rote" ruft seinen Chef an, Dejan verdeutlicht diesem die Konsequenzen - und siehe da: In einer Stunde soll ein in der Nähe lebender Freund des Chefs auftauchen und den Fahrer samt Wagen auslösen. Die Spannung löst sich. Dejan: "Sie sollen uns fürchten, aber nicht hassen".

Sünder am laufenden Band

Jetzt heißt es also warten - doch noch bevor der Geldbote eintrifft, verfängt sich ein weiterer "Roter" am Funk-Display. Diesmal ein Österreicher, noch dazu von einer namhaften Spedition, der seiner GO-Box Klasse zwei (für Zweiachser) eingegeben hat, obwohl er einen Vierachser mit Aufleger fährt. Ihm nach also, der Slowene bleibt am Parkplatz zurück, nur seine Papiere kommen sicherheitshalber mit.

Schnell ist auch der vierachsige Zweiachser eingeholt und zur Rede gestellt. Er spricht von Irrtum. "Das Gegenteil können wir ihm nicht beweisen, zahlen muss er ohnehin", sinniert Dejan. Als auch dieser Lenker kein Geld mithaben will, werden die "Maut-Scouts" ärgerlich, zumal der Slowene auch noch wartet, die Schichtablöse im Stützpunkt ebenso. Der Achsenvergesser verspricht schließlich, das Geld in einer halben Stunde "geliefert" zu bekommen, was auch anstandslos passiert. Er kommt mit 110 Euro und ebenfalls ohne Anzeige davon.

Perfektes Teamwork

Am Rückweg steht bereits der slowenische Mautsünder mit den Euro-Scheinen in der Hand, bekommt eine penibel ausgedruckte Quittung (abgesehen vom Durcker verfügen die Wunderautos über Kühlschrank, Sitzheizung und sogar über einen Kopierer) und kann endlich weiterfahren. Zwischen beiden Aktionen ebenso wie bei der Rückfahrt zum Asfinag-Stützpunkt tauchen wiederholt "Rote" am Bildschirm auf, manche davon nur ein paar Minuten entfernt. Aber Wolfgang und Dejan müssen zur Ablöse: "Die lassen wir den Kollegen in St. Pölten ins Netz gehen. Dort arbeiten sie ja mit dem gleichen Verfahren".

Tatsächlich sind solche Einsatz-Teams 39 mal bundesweit unterwegs, ingesamt 130 männliche und weibliche "Maut-Scouts" in drei Schichten, also rund um die Uhr an sieben Wochentagen. "Die Leute sollen uns permanent auf den Straßen sehen und wissen, dass wir Mautsünder auch kontrollieren", betont Asfinag-Sprecher Marc Zimmermann.

Harte Schule, keine Waffen

Der Westen Österreichs wird von Asfinag-Mitarbeitern abgedeckt, der Osten (Wien, NÖ, Burgenland) von "Group 4"-Securities. Allen gemein ist die einheitliche, neunwöchige Zusatz-Ausbildung in der Gendarmerieschule Traiskirchen mit besonderen Schwerpunkten in Fahrtechnik, Straßenverkehrsrecht und Unfallversorgung. Bewaffnet werden sie nur mit Pfefferspray. "Wir waren 500 Bewerber, 36 davon haben es letztlich geschafft", erinnert sich Wolfgang an die strenge Auslese. Er selbst war lange Jahre Speditionsfachmann, bis er wegrationalisiert wurde. In seinem neuen Job ist er "enorm motiviert, weil man mit Menschen zu tun hat und Verantwortung trägt".

Seriöse statistische Zahlen über Kosten und Einnahmen des neuen Maut-Kontrollsystems will die Asfinag noch nicht nennen, "aber wir rechnen damit, dass sich die Teams mit ihren Einnahmen selbst finanzieren". Und somit entscheidend dazu beitragen, den erwarteten jährlichen 600 Millionen-Mauteinnahme-Berg zu erklimmen. Na dann: Gut Maut.

http://www.go-maut.at .

http://www.asfinag.at .