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Harte Zeiten für arbeitslose Dänen

Von Thomas Borchert

Politik

Kopenhagen · In Dänemark will eine umfassende Koalition aus Gewerkschaften, Arbeitgebern, Regierung und fast allen Oppositionsparteien das Arbeitslosengeld kürzen und weitere | Einschränkungen bisheriger Rechte durchsetzen. Am Mittwoch spendeten auch die großen Zeitungen in Kopenhagen einhelliges Lob, nachdem sich die Tarifpartner am Vorabend überraschend auf eine | Verkürzung der Bezugsdauer für Arbeitslosengeld von fünf auf vier Jahre geeinigt hatten.


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"Jetzt kann die Regierung den durchgreifenden Umbau der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik fortsetzen, dessen Zeugen wir schon seit einigen Jahren sind", schrieb etwa die sozialliberale Zeitung

"Politiken".

Das zwischen dem Gewerkschafts-Dachverband LO und dem Arbeitgeberverband DA im stillen ausgehandelte Maßnahmenpaket, das der sozialdemokratische Regierungschef Poul Nyrup Rasmussen im Oktober dem

Parlament als Gesetzesentwurf vorlegen wird, enthält zahlreiche Veränderungen für Arbeitslose, die nach Meinung von Beobachtern noch vor wenigen Jahren in Dänemark zu Massendemonstrationen geführt

hätten.

Künftig soll jeder Arbeitslose schon nach drei statt bisher sechs Monaten eine Arbeit annehmen müssen, die außerhalb seines früheren Tätigkeitsfeldes liegt. Statt früher nach zwei Jahren müssen alle

Arbeitslosen künftig nach einem Jahr an Beschäftigungsmaßnahmen teilnehmen. Bei Betroffenen bis 25 Jahre gilt diese "Aktivierungspflicht" in Zukunft schon nach sechs Monaten. Sie erhalten außerdem

ein geringeres Arbeitslosengeld. Bisherige Sonderrechte für 50 bis 59 Jahre alte Arbeitslose werden für alle unter 55jährigen gestrichen.

Ausländer, die Arbeitslosengeld erhalten, müssen Sprachtests sowie bei Bedarf Kurse absolvieren und verlieren den Anspruch auf die Zuwendungen, wenn sie keine ausreichenden Dänisch-Kenntnisse

nachweisen können.

"Politiken" schrieb, es hätte früher wohl allseits ein "brüllendes Gelächter" gegeben, wenn jemand vorhergesagt hätte, daß eine sozialdemokratisch geführte Regierung und die mit ihr verbundenen

Gewerkschaften Arm in Arm mit den Arbeitgeberverbänden und allen Parteien im "Folketing" gleich eine ganze Herde einst unantastbarer "heiliger Kühe" im dänischen Wohlfahrtsstaat zur Schlachtbank

führen würden. Tatsächlich war schon in den vergangenen Jahren fast nur Zustimmung zu hören, nachdem die Regierung zuvor den Bezug von Arbeitslosengeld von sieben auf vier Jahre begrenzt und jungen

Leute die Bezugsrechte für Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe zusätzlich rigoros zusammengestrichen hatte.

Dabei lagen die Arbeitslosenzahlen niedriger als noch vor einigen Jahren: Eine lang andauernde Hochkonjunktur hatte die Arbeitslosenquote von mehr als 13 Prozent 1993 auf derzeit sechs Prozent sinken

lassen. Im nächsten Jahr soll sie nach Angaben der Arbeitsämter auf unter fünf Prozent fallen, was Dänemark erstmals seit zwei Jahrzehnten wieder Vollbeschäftigung bescheren würde.

"Von der Verkürzung der Bezugsdauer ist doch kaum jemand betroffen", sagt LO-Chef Hans Jensen. Der linke Flügel in den eigenen Reihen wirft ihm vor, alte Arbeitnehmerrechte aus lauter Freude über die

derzeitige Hochkonjunktur mit einem leergefegten Arbeitsmarkt viel zu billig verkauft zu haben. Erst bei der unausweichlich kommenden Talfahrt der Wirtschaft werde man merken, daß Arbeitgeber und

Staat kaum zu Gegenleistungen in Form von zusätzlichen Ausbildungsplätzen, Beschäftigungsmaßnahmen verpflichtet worden seien, monierte auch der Arbeitsmarktforscher Henning Jörgensen.