Bundeskanzler Sebastien Kurz ist zu Besuch beim britischen Premier Boris Johnson. Dieser sieht sich nach dem triumphalen Brexit-Vollzug neuen Herausforderungen gegenüber. Ist er ihnen gewachsen oder igelt er sich ein?
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Wenn Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz am Dienstag in der Downing Street vorspricht, darf er sich einen freundlichen Empfang erwarten. Knapp vier Wochen nach dem offiziellen Vollzug des Brexit ist man in London an guten Beziehungen zu den "europäischen Freunden" interessiert.
Das erfuhr schon EU-Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen, als sie, neu im Amt, Premier Boris Johnson ihre Aufwartung machte. Auch sie war sich freilich bewusst, dass sich im Verhältnis der Briten zum Kontinent Entscheidendes geändert hat. Denn während die Tür zur Downing Street prominenten Gästen von jenseits des Ärmelkanals wie immer offen steht, beginnen sich andere Türen zu schließen. Johnson steuert sein Land in eine Zukunft scharfer Abgrenzung von Europa hinein. Mit der jüngsten Vorlage neuer Einwanderungsgesetze hat er klargestellt, dass es für EU-Bürger keinen freien Zuzug ins Vereinigte Königreich mehr geben kann. Ab kommendem Jahr, wenn die Brexit-Übergangsphase vorbei ist, sind die Europäer Bürgern aus dem Rest der Welt gleichgestellt.
Begegnung mit Kurz geradezu erholsam
Scharfe Visums-Bestimmungen werden dafür sorgen, dass nur noch ein Bruchteil derer, die bisher aus der EU zur Arbeit nach Großbritannien zogen, die Erlaubnis erhält, sich dort anzusiedeln. Warnungen durch die heimische Industrie und von Experten vor einer Personalkrise im Pflege-Sektor und in anderen auf EU-Arbeitskräfte angewiesenen Branchen haben Johnsons Minister leichthin abgeschmettert.
Mit der Freizügigkeit ist es also bald vorbei. Damit "gehorche" man "dem Volkswillen" und eigne sich wieder "die Souveränität" über die eigenen Grenzen an, erklärte Johnson. Ab März werden auch die neuen dunkelblauen Pässe, die an jene der Empire-Zeiten erinnern, eingeführt. Sie sollen die burgunderroten EU-Pässe nach und nach ersetzen. Separate Zollstellen und Warteschlangen in den Flughäfen sind bereits geplant. Auf noch längere Schlangen richtet man sich in den Häfen ein, in denen der Warenfluss künftig stocken dürfte. Da Johnson keine Anpassung an EU-Bestimmungen mehr akzeptieren will, hat er britische Unternehmen gemahnt, sich auf "Kontrollen" und "Behinderungen" an den Grenzen vorzubereiten. Nur so könne man sich des "kolossalen Erfolgs" sicher sein, der einem unabhängigen Königreich nach der Abkoppelung von der EU winke. So plant Johnson, in den kommenden zwei Wochen mit den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA zu beginnen.
In London ist ein harter Brexit längst in Vorbereitung. Wer glaubte, dass Johnsons Wahltriumph vom Dezember den Tory-Chef von seinen Hardlinern unabhängiger machen und ihm einen "sanfteren" Kurs erlauben würde, der muss mittlerweile an dieser Möglichkeit zweifeln.
Um zu signalisieren, dass man nicht mehr "den Europäern" zugezählt werden will, sind britische Diplomaten aufgefordert worden, bei internationalen Konferenzen von ihren alten Partnern buchstäblich "abzurücken". Einige dieser Ex-Partner haben deutlich gemacht, dass sie keinen Grund mehr für besondere Rücksichtnahme gegenüber London sehen.
So hat etwa Griechenland erklärt, es wolle die Rückgabe der "Elgin Marbles", des alten Parthenon-Frieses, zur Voraussetzung für einen Handelsvertrag mit den Briten machen. Und Spanien fordert Mitsprache über Gibraltar.
Die britische Regierung blickt dieser Tage mit Sorge nach Dublin, wo die Republikaner von Sinn Féin immer mehr an Einfluss gewinnen - und die Wiedervereinigung Irlands fordern. Geradezu erholsam kommt Boris Johnson da eine Begegnung mit dem Regierungschef Österreichs vor.
Der sonst so selbstbewusste Premier zeigt sich ungewohnt unsicher, seit er "seinen" Brexit umgesetzt und damit sein großes Ziel erreicht hat. Wie die Rolle Großbritanniens in der Welt nun neu gestaltet werden solle, dazu hat er offenbar keinen genauen Plan. Allein schon das Verhältnis zu den USA, das die feste Basis künftiger Handelsbeziehungen hatte sein sollen, ist in Schieflage geraten, seit Donald Trump seinen "guten Freund" Boris Johnson wegen der Huawei-Affäre am Telefon "rasend vor Wut" angebrüllt haben soll. Seinen geplanten Washington-Besuch hat Johnson daraufhin abgeblasen.
Dass das "globale Britannien", das Johnson und den Brexiteers immer vorschwebte, auch heute noch mehr Wunschbild ist als greifbare Realität, zeigte sich jüngst bei der Internationalen Sicherheitskonferenz in München, zu der aus London eine sehr dünne Delegation anreiste. Johnsons Top-Ministern war es wichtiger, zur Regierungsumbildung daheim zu sein. Gemessen am Wunsch Londons, künftig eine zentrale Rolle auf der großen Bühne zu spielen, sei das doch "sehr seltsam", fand auch der schwedische Ex-Premier Carl Bildt.
Regieren fällt Johnson sichtlich schwer
Auch dass sich Johnson bei der Vorbereitung des für den Herbst geplanten UN-Klimagipfels in Glasgow bislang schwertut, wird ihm vorgehalten. Zwar besteht die Regierungszentrale darauf, sich mit ehrgeizigen neuen Zielvorgaben "an die Spitze der Bewegung" gegen Klimawandel gesetzt zu haben. Aber die just von Johnson entlassene Energie-Staatssekretäin und bisherige Klimagipfel-Präsidentin Claire Perry O’Neill warnte ihre Landsleute, sie könnten den Versprechen Johnsons "nicht trauen". Der Premier, sagte sie, habe "kein wirkliches Interesse" an Klimafragen.
Erstaunlich wenig Anteilnahme zeigte der Regierungschef auch, als die Opfer der jüngsten Flutkatastrophen in England und Wales sich etwas Zuspruch "von oben" erhofften. Der Premier habe sich inzwischen in der Downing Street "eingeigelt", meinen auch konservative Parteigänger.
Vielleicht wisse Johnson ja nicht, was er nach seinem Wahlsieg und dem Vollzug des Brexit mit seiner stolzen Unterhaus-Mehrheit anfangen solle, spekulieren derzeit viele Beobachter in London. Nach der dramatischen Kampagne der vergangenen Jahre fällt dem Premier das Regieren sichtlich schwer.