Vorrang für neuen Ratspräsidenten. | Chancen für Tony Blair schwinden. | Brüssel. Das Personalkarussell in Brüssel gewinnt vor dem EU-Gipfel am Donnerstag an Fahrt. Unmittelbar nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen schickte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den bisherigen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Günther Oettinger, ins Rennen. Am Dienstag folgte die österreichische Regierung mit Wissenschaftsminister Johannes Hahn. Damit haben sich schon mindestens 16 der 27 EU-Länder auf ihren künftigen Vertreter in der EU-Kommission festgelegt.
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Fix an der EU-Spitze sind der Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso aus Portugal und der Pole Jerzy Buzek als Parlamentspräsident. Offen bleibt das Rennen um die anderen beiden Top-Jobs: Laut dem Vertrag von Lissabon gibt es künftig einen EU-Ratspräsidenten und einen EU-Außenminister, der auch Vizepräsident der Kommission sein wird. Zuerst müsse der Ratspräsident gefunden werden, heißt es in Diplomatenkreisen. Jene Person, die das Amt als erste ausübt, wird dieses maßgeblich prägen.
Frühstücksdirektoroder Führungsfigur?
Mit der Besetzung entscheiden die Staats- und Regierungschefs, ob sie einen Frühstückdirektor oder tatsächlich eine energische Führungsfigur an der EU-Spitze haben wollen. Der Vertrag lässt beides zu: Den Treffen der Chefs soll der neue Präsident vorsitzen und politische Leitlinien vorgeben, heißt es darin lediglich - der Gestaltungsspielraum ist groß.
Formell mächtiger ist der Außenminister, der künftig sowohl in der Kammer der Mitgliedsstaaten in Brüssel, dem Rat der EU, als auch der Kommission verankert ist und der erste Ansprechpartner für die EU-Außenpolitik sein soll - sozusagen die Telefonnummer der EU für die Staatenlenker der USA, Russlands, Chinas oder Indiens. In österreichischen Regierungskreisen will man bereits wissen, dass der Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker Ratspräsident wird und der britische Außenminister David Miliband den Job künftig für die ganze EU machen soll. Diplomaten mahnen allerdings zur Vorsicht: London lobbyiere noch für Ex-Premier Tony Blair als Ratspräsident, heißt es. Juncker habe sich erst am Dienstag vor allem selber wieder ins Spiel gebracht. Er stehe immer noch für das Amt als Ratspräsident zur Verfügung, meinte der Luxemburger.
Blair hat zwar zweifellos den Vorteil, dass er der einzige weltweit bekannte Kandidat für die EU-Spitze ist, den möglicherweise auch der russische Präsident Dmitri Medwedew und sein Premier Wladimir Putin, US-Kollege Barack Obama oder der Chinese Hu Jintao ansatzweise respektieren. Intern ist er jedoch kaum durchsetzbar, wie immer klarer wird. Das liegt auch an der entschiedenen Benelux-Opposition gegen den Briten, mit der auch Österreich sympathisiert.
Balkenende und van Rompuy im Rennen
Die Niederlande und Belgien schielen mit ihren Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende und Herman van Rompuy nebenbei auf den neuen Chefsessel. Selbst dem früheren österreichischen Kanzler Wolfgang Schüssel werden in Brüssel immer noch Außenseiterchancen eingeräumt.
Noch unklar sind die künftigen Ressorts, welche die bisher nominierten Kandidaten für die EU-Kommission erhalten sollen. Barroso könne sie erst zuteilen, wenn er alle Bewerber kenne, heißt es.
Für Hahn stehen die Chancen auf den Forschungskommissar angeblich nicht schlecht. Der bisherige Amtsinhaber Janez Potocnik aus Slowenien bleibt zwar in Brüssel; der Wirtschaftswissenschaftler soll aber einen anderen Bereich erhalten. Ebenfalls in der Kommission bleiben der Spanier Joaquin Almunia (der wahrscheinlich Wirtschaftskommissar wird), der Italiener Antonio Tajani, der Belgier Karel de Gucht, die Luxemburgerin Viviane Reding, der Este Siim Kallas, der Lette Andris Piebalgs, der Litauer Algirdas Semeta und die Zypriotin Androulla Vassiliou.
Fix nominiert sind der polnische Finanzexperte Janusz Lewandowski, der bisherige slowakische EU-Botschafter Maros Sefkovic und der frühere rumänische Landwirtschaftsminister Dacian Ciolos. Ansonsten ist der bisherige Erweiterungskommissar Olli Rehn aus Finnland ein Fixstarter und rechnet sich sogar Chancen auf den EU-Außenminister aus.
Offen sind große Länder wie Frankreich oder Großbritannien, auf deren Nominierungen Barroso noch wartet. Diplomaten rechnen mit einem Sondergipfel zum Personalpaket Mitte November.