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Hartes Ringen um Finanz-Einigung

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Merkel vermittelt zwischen London und Paris. | Ringen um höheren Finanzrahmen. | Kaum mehr Widerstand aus dem Osten. | Brüssel. "70 zu 30" schätzten Diplomaten die Chancen für eine Einigung auf den EU-Finanzrahmen für 2007 bis 2013 bereits am frühen Freitagnachmittag. Schon nach bilateralen Treffen in unterschiedlichsten Konstellationen war klar: Der Wille zum Abschluss war da. Bis zuletzt wurde aber um Zugeständnisse aus London zum Briten-Rabatt und den Zeitpunkt der Wirksamkeit einer grundlegenden Reform der Haushaltsstruktur gerungen.


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Eine Schlüsselrolle kam der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihrem ersten EU-Gipfel zu. Sie vermittelte zwischen den beiden härtesten Gegenspielern Tony Blair und Jacques Chirac. Beim Mittagessen habe sie darüber hinaus die Anhebung des gesamten Rahmenbudgets um 13 Milliarden Euro auf gut 852 Milliarden oder 1,045 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens vorgeschlagen. Das sei weitgehend positiv aufgenommen worden, hieß es in Diplomatenkreisen.

Umstrittene Abfederung

Mit 849,3 Milliarden oder 1,03 Prozent waren die Briten in die Verhandlungen gegangen. Die schließlich gefundene Einigung werde wohl dazwischen liegen, hieß es. Denn die Situation sei heikel. Vor allem Schweden und die Niederlande, die unter dem Briten-Vorschlag schon praktisch auf Linie waren, könnten sich erneut auflehnen. Der schwedische Premier Göran Persson habe die 1,03 Prozent als oberstes Limit bezeichnet. Und gewisse Abfederungen für die größten Nettozahler seien ein umstrittener Komplex gewesen, hieß es aus Delegationskreisen. Vor allem wollte Österreich noch die Aufstockung der Förderungen für die ländliche Entwicklung und eine Sonderregelung zur Senkung seines sowieso deutlich steigenden Nettobeitrags erreichen.

Solche Klauseln gibt es bereits für Deutschland, Schweden und die Niederlande. Letztere erhielten ein 850 Milliarden schweres Sonderpaket zur Reduzierung ihres Defizits gegenüber Brüssel - und wären kompromissbereit gewesen, hieß es. Doch auch Mediatorin Merkel konnte den Erfolg am Abend noch "nicht garantieren".

Sie hatte zuvor stundenlang mit Blair und Chirac an einer Formulierung für die Reform der Haushaltsstruktur gerungen. Der Franzose habe der Möglichkeit eines Eingreifens in den aktuellen Finanzrahmen bei den gescheiterten Verhandlungen unter Luxemburger Vorsitz im Juni schon zähneknirschend zugestimmt, hieß es. Diesmal zehrten die Verhandlungen sichtlich an ihm. Er legte sich am frühen Abend einmal schlafen, bevor es in den nächtlichen Endspurt gehen sollte.

Polens Premier Kazimierz Marcinkiewicz, der am Vortag noch mit Veto gedroht hatte, gab sich bereits früher am Freitag wesentlich konzilianter und hielt eine Lösung plötzlich für möglich. Keinerlei Widerstand erwartete Persson auch von den anderen neuen Mitgliedsstaaten im Osten. Obwohl Plafonds für deren Strukturförderungen um rund zwölf Milliarden gekürzt wurden, würden sie effektiv mehr Geld erhalten, erläuterte ein Diplomat: "Und das wissen sie". Allein die Verlängerung der Frist für den Abruf der Gelder von zwei auf drei Jahre stelle das sicher.

Dementsprechend motiviert gaben sich die Briten. Sie stellten sich auf eine lange Nacht ein. "Es wird für keinen ein idealer Kompromiss sein", sagte ein Sprecher Blairs: "Sehen wir einmal, ob wir einen realistischen Kompromiss hinkriegen." Selbst der Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker, dessen Kompromissplan im Juni vor allem London torpediert hatte, sah die Verhandlungen nun "auf gutem Weg. Jeder will eine Einigung und ich glaube, wir werden sie auch bekommen."